9. Kapitel

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Als ich die Tür öffnete, schlug mir ein fauliger Gestank entgegen. Noch immer war keine Menschenseele zu sehen. Die Gaslampen brannten nur noch schwach, weshalb ich  die Augen leicht zusammenkneifen musste, um etwas erkennen zu können. Als ich weiter ging, wurde es plötzlich glitschig und rutschig unter meinen Schuhen. Ich sah auf den Boden und erkannte was es war. Es war eine grosse Blutlache in der ich stand. Bei einem leisen Geräusch schrag ich hoch. Schon jetzt war ich in Alarmbereitschaft. Was war passiert? Auf der Holztreppe erkannte ich noch mehr Blut und einige Meter danach sah ich auch die Ursache. Mir wurde schlecht. Doch das war nicht alles. Im ersten Stock, als ich um eine Ecke ging, lag noch jemand. Ich kannte diese Personen nicht. Doch er atmete noch leise. Die letzten Meter zwischen uns, legte ich im Sprint zurück. «Kannst du mich hören?» stiess ich hervor. Er konnte nur kaum sichtbar nicken. Blut rann aus einer Bauchverletzung. Notdürftig improvisierte ich mit einem Fetzten meines Hemdes als Verband. Er versuchte sich auf die Beine zu stellen, doch das gelang ihm nicht. Also lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Wand um sich zu erholen. Mit einer Handbewegung wies er mich an weiter nach Überlebenden zu suchen. Ich rannte einen Gang ohne Türen entlang. Als dann schließlich doch eine Tür kam, wäre ich fast daran vorbei gelaufen. Ich spähte in den Raum hinein er war komplett leer. Keine Möbel keine Lampen. Aus einer Ecke hörte ich ein wimmern. "Hallo?" rief ich in den Raum hinein. Zuerst erhielt ich keine Antwort. Doch dann fragte eine weibliche Stimme: «Wer bist du?» Ohne zu zögern antwortete ich: «Ich bin Aurea. Eine Bekannte von Alberto.» Ich vernahm ein erleichtertes Aufatmen. «Ich bin Milena. Hast du schon jemanden gefunden?» Ich erzählte ihr von dem Toten in der Eingangshalle und dem Verwundeten die Treppe herauf. «Von mehr kann ich noch nicht berichten.» sagte ich. Während ich sie stützte gingen wir weiter den Gang entlang. Milena war nicht ernsthaft verletzt und erzählte mir, dass insgesamt zwanzig Leute in diesem Haus wohnten. Aber keiner war mit irgendeinem verwandt. Der Großteil war wohl in der Stadt um private Erledigungen zu tätigen. Sie wusste nur von fünf Leuten die heute im Haus waren. Also mussten wir nur noch zwei finden, in der Hoffnung sie würden noch leben. Ich brachte Milena zu dem anderen Verletzten, damit sie sich um ihn kümmern konnte. Ich lief durch die ganzen Gänge, schaute in jedes Zimmer, aber keiner war auffindbar. Während meines Streifzuges hinterließen meine Schuhe blutrote Fußspuren. Ich kam an einer Treppe vorbei die in das Erdgeschoss führte. Rote Spritzer säumten die Wände und den Boden. Ich ging einige Stufen nach unten, nur um festzustellen, dass dort eine weiter Leiche lag. Erneut musste ich gegen den Brechreiz ankämpfen. Wer hat das diesen Menschen angetan?  Was war hier vorgefallen? Das hatte niemand verdient. Ich sprach ein Ave Maria.

Im zweiten Stock fand ich eine angetrocknete Blutspur. Jemand hatte sich den Gang entlang geschleift, trotz eines starken Blutverlustes. Die Spur endete vor einer kleinen Tür, hinter der sich eine kleine Besenkammer befanden. Ich spähte durch den Türspalt und sah eine kauernde Gestalt am Boden sitzen. «Bist du tot?» fragte ich, kam mir aber irgendwie komisch vor, da die Person ja vielleicht wirklich tot war. «Nein», kam eine geflüsterte Antwort. Obwohl die Gestalt nur flüsterte erkannte ich die Stimme. Es war Alberto. Mit großen Schritten durchquerte ich den kleine Raum. «Wie schwer bist du verletzt?» fragte ich. «Kaum. Nur am Bein und an der Brust.» entgegnete er. Und versuchte sich aufzurichten , sank aber sofort wieder in sich zusammen. «Lass uns zur Treppe beim Foyer laufen. Da treffen wir noch zwei andere.» nach einem Moment des Schweigens fügte ich hinzu: «Ich habe zwei Leichen gefunden.» Der Schock war Alberto im Gesicht anzusehen. Er wurde bleich wie eine Wand.

Stillschweigend gingen wir zum Foyer. Während des Laufens stützte er sich bei mir auf der Schulter ab. Wir redeten kein einziges Wort miteinander. Den beiden anderen ging es schonmal nicht schlechter, als ich sie verlassen hatte. Mittlerweile waren auch Camilla und weitere Bewohner eingetroffen. Sie diskutierten wie es weiter gehen sollte. Zwei Leichen lagen mit Tüchern überdeckt im Eingangsbereich. Camilla versorgte Milena und den Mann. «Danke. Ich bin Pablo.» stellte er sich vor. Sein blutbefleckter Schnurrbart wackelte beim Sprechen. «Keine Ursache.» sagte ich. Doch ich musste mich erst einmal um Alberto kümmern. Der stand gekrümmt vor Schmerzen an eine Wand gestützt. Sanft zwang ich ihn dazu sich auf eine Treppenstufe zu setzen. Während er sein Hemd versuchte auszuziehen, inspizierte ich die Schramme an seinem Bein. Sie war nur oberflächlich. Ich wusch sie mit etwas Wasser aus. Dann wandte ich mich an die Wunde an seiner Brust. Es waren mehrere tiefe Schnitte, die einige Zentimeter ins Fleisch  schnitten. Erst wusch ich diese mit Wasser aus und desinfizierte sie mit Alkohol. Alberto zog die Luft scharf ein vor Schmerz. Als er meinen besorgten Blick bemerke, unterdrückte er jeden Laut. Ich wickelte ein sauberes Stück Stoff um die Brust, damit kein Dreck mehr in die Wunde kam. «Können wir bitte reden», sprach ich ihn an. Mit einem Nicken zog er mich etwas Abseits. «Ich habe so viele Fragen. Und ich weiss nicht, was zwischen uns ist oder eben nicht.» fing ich an. Bevor ich weiter reden konnte, drückte er seine Lippen auf meine. Fast schon automatisch legte ich meine Arme um seinen Hals. Ich spürte wie Alberto mich mit seinem Oberkörper gegen die kalte Steinwand. Wir wurden jäh von Camilla unterbrochen. «Aurea, wir brauchen deine Hilfe.» Mit einem Nicken löste ich mich von Alberto und folgte Camilla wieder ins Foyer. Doch ich hatte mehr Fragen denn je an Alberto. Im Eingangsbereich sah ich eine Priester. Ich war mir sicher diesen schon einmal gesehen zu haben, allerdings wusste ich nicht wo. Camilla, der Priester und einige Bewohner besprachen wie die Beerdigung ablaufen soll. Plötzlich überkam mich die Traurigkeit. Wären sie überhaupt gestorben, wenn ich hier nicht eingezogen wäre? Alberto gesellte sich zu uns und nahm mich in den Arm, als merkte er was in mir vorging. Er drücke mich an sich und war einfach für mich da. Vereinzelte Tränen rollten mir über die Wangen.

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