10. Ob das so eine gute Idee war...?

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Zufrieden kuschle ich mich näher an die Wärmequelle unter mir und vergrabe mein Gesicht an der weichen Haut. Meine Lippen streichen diese vorsichtig und als ich über diese lecke, überkommt mich Appetit auf Süßigkeiten. Der Körper unter mir erzittert leicht und ich kann ein unterdrücktes Stöhnen hören. Moment WAS?! Panisch reiße ich die Augen auf und starre den Hals vor meinem Gesicht an und wandere langsam nach oben. Perfekt geschwungene Lippen, interessante Gesichtszüge... warte, was denke ich da?! Ich entdecke die grünen Haare und stelle irgendwie erleichtert fest, dass es Jian ist, auf dem ich liege. Okay, nächste Frage. Wieso liege ich AUF ihm? Als ich eingeschlafen bin, war es genau anders herum. Wann haben wir die Stellung getauscht?

Nach weiterem Grübeln stelle ich fest, dass ich auch keine Möglichkeit habe aufzustehen. Ji hat seine Arme fest um meine Hüfte gelegt und schläft noch tief und fest. Ich hingegen habe sie um seinen Nacken geschlungen und da er mit dem Kopf darauf liegt, geht das auch nicht. Zu allem Überfluss sind auch unsere Beine mehr oder weniger verknotet und ich glaube, ich liege doch recht ungünstig, da mein Knie an einer sehr, sagen wir mal privaten, Stelle liegt. Vorsichtig schiele ich zu der Uhr, um vier Uhr morgens. Gefrustet vergrabe ich mein Gesicht wieder an dem vorhergehenden Platz. Das beruhigende streicheln durch meine Haare lässt mich wieder einschlafen.

"Guten Morgen, Sang. Wach auf." "Noch fünf Minuten.", versuche ich zu verhandeln. Die Brust, auf der ich liege, vibriert, als unser Gast anfängt zu lachen. "Das hast du vor einer Viertel Stunde auch schon gesagt. Nichtmal deine Wecker hast du mitbekommen.", sofort sitze ich gerade auf seiner Hüfte und erschrocken starrt er mich an. Seit wann hat er so tiefbraune Augen? Verwirrt löse ich mich von ihm, befreie mich irgendwie von ihm und ziehe den perplexen Jungen hinter mir ins Bad, drücke ihm eine Zahnbürste in die Hand und beginne schließlich mein morgendliches Ritual. Zwischen uns entsteht ein unangenehmes Schweigen. "Wie geht es dir?", versuche ich ein Gespräch aufzubauen. "Scheiße", murmelt er, "Ich habe Angst vor den Reaktionen der anderen. Weißt du, es ist mir unangenehm vor anderen Schwäche zu zeigen. Tut mir leid, dass du das miterleben musst. Irgendwie fühle ich mich geistig ausgelaugt und auch sonst habe ich das Gefühl, dass mein ganzes Leben für nichts war, ist und sein wird. Ich könnte mich genauso gut vor ein Auto schmeißen oder was weiß ich. Interessieren würde es ja eh keinen." Und schon schlage ich ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass sein Kopf nach rechts fliegt und ein unangenehmes Klatschen durch den Raum dringt: "Sag so etwas nie wieder, hast du mich verstanden?! Ich würde um dich trauern. Gut, ich kenne dich jetzt seit nicht mal einer Woche aber trotzdem sind wir irgendwie Freunde geworden!" Plötzlich umarmt er mich erneut und ich spüre wieder, wie die Tränen über mich laufen. Ach richtig, wir haben immer noch nur Unterwäsche an.

"Wir müssen uns langsam anziehen. Immerhin müssen wir in die Schule.", murmle ich und schiebe ihn sanft von mir, um mit einem angefeuchteten Lappen die salzigen Spuren wegzuwischen. Schnell schlüpfen wir in unsere Uniformen, diesmal jeder in seine eigene, nehmen unsere Taschen und verlassen mit einem Sandwich in den Händen das Haus. Meine Eltern sind schon seit einer Weile auf Arbeit. Umso näher wir dem großen tristen Gebäude kommen, umso unruhiger wird mein Weggefährte.

"Ji, beruhige dich. Dir wird keiner weh tun." "Und was, wenn die anderen zu uns kommen? Ich will nicht mit ihnen reden. Sie haben mir mehr als deutlich gemacht, dass ich nicht erwünscht bin.", seufzt er und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. "Sieh es nicht so eng. Nur, weil ihre Eltern dich nicht mögen, heißt das nicht, dass sie dich nicht leiden können. Gib ihnen noch eine Chance." "Sang, nicht jetzt. Nicht heute. Ich bin noch nicht bereit dafür. Sie wissen, wie empfindlich ich bei so etwas sein kann." "Keine Sorge, wir schaffen das schon.", lache ich aufmunternd.

"Jian!", angesprochener zuckt zusammen und starrt mich hilfesuchend an, weshalb ich ihn schnell in die Klasse ziehe und währenddessen erfolgreich Taeho und Jeup ausweiche. Immer wieder versuchen sie mit ihrem enttäuschten Freund zu reden. So auch jetzt. "Taeho, lasst Ji in Ruhe. Ihm geht es wirklich nicht gut. Er ist nervlich komplett am Ende.", dränge ich ihn leicht ab. "Aber ich möchte mich entschuldigen! Bitte! Ich fühle mich so schlecht, weil ich nichts gesagt habe.", aus weinerlichen Augen sieht er mich an. "Tut mir leid. Gebt ihm etwas Zeit, sich zu beruhigen, ja?", ergeben nickt er und geht mit hängenden Schultern zu seinem Platz, auf diesem Weg erklärt er auch den anderen Beiden den Sachverhalt.

"Jian! Gehst du mit mir aus?", sofort wirble ich herum. Wo kamen die Fangirls her? Wie schaffen die das immer wieder wie aus dem Nichts aufzutauchen? "Tut mir leid, aber mein Herz gehört jemand anderem.", versucht er sich aus seiner unangenehmen Situation zu befreien. "Tu doch nicht so. Du willst uns doch nur loswerden.", sie rücken ihm immer mehr auf die Pelle und ich fange an wirklich nachvollziehen zu können, wieso er sich so schlecht fühlt und irgendwann diesen Zusammenbruch haben musste. Gerade, als ich mich einmischen will, geht die Tür auf und wir werden alle auf unsere Plätze gescheucht. Gleich hinterher ein Mathetest (der bei mir zum Glück noch nicht gezählt wird, da ich noch nicht die Gelegenheit hatte den ganzen Stoff nachzuholen). Ein dumpfes Geräusch neben mir lässt mich verwirrt die Stirn runzeln. Jian schreibt zwar irgendwas auf, aber er wirkt nicht mal annähernd konzentriert. Besorgt mustere ich ihn. Seine Augen schnellen hin und her und schaffen es nicht, sich auf ein bestimmtes Ziel zu fokussieren.

Auch während dem Rest der Stunde sehe ich immer wieder zu ihm. Lange hält er das glaube nicht mehr aus. "Mr. Kim! Jian geht es nicht gut. Kann ich ihn zum Krankenzimmer bringen?", melde ich mich schließlich. Stumm nickt er und sofort ergreifen wir mit unseren Sachen die Flucht.

Vor dem Raum vergewissern wir uns, dass niemand da ist und schon liegt er wieder in meinen Armen und versucht sich irgendwie zu beruhigen. "Wieso seid ihr nicht in eurem Unterricht?", ertappt starre ich die junge Frau an. "Meinem Freund geht es nicht so gut, weshalb wir zur Krankenschwester wollten. Aber ich bin noch neu hier und weiß nicht, wo ich lang muss.", langsam wiege ich ihn hin und her. "Da hast du aber Glück, junger Mann. Aber ich sehe schon, Wie wäre es, wenn ich ein paar kurze Tests mit ihm mache?" "Das wäre nicht so gut wir haben eben einen in Mathe geschrieben und das hat ihm nicht wirklich gut getan." "Oh, ein Missverständnis. Nicht so eine Art von Test. Ich rede mit ihm, um einschätzen zu können, wie es ihm geht.", erleichtert nicke ich und so folge ich ihr und ziehe Ji hinter mir her und dirigiere ihn durch die Flure. Immerhin ist er alleine kaum in der Lage zu laufen.

Ich werde vor der Tür geparkt und unruhig trete ich von einem Bein aufs Andere, während ich auf die Krankenschwester und Ji warte.

"Sang, nicht wahr? Also er braucht viel Ruhe. Da mir seine Familiensituation jedoch bekannt ist, wäre es vielleicht das Beste, ihn in eine Anstalt einliefern zu lassen." "Nein! E-Er kann mit zu uns kommen! Wir kümmern uns gerne um ihn!", werfe ich ein, ohne lange zu überlegen. "Sicher? Er braucht viel Ruhe und Schlaf, sollte auch regelmäßig etwas essen. Vielleicht wäre es auch ganz gut sich jemandem anzuvertrauen. Die häusliche Situation und der Streit mit seinen Bezugspersonen haben ihm stark zugesetzt. Aber da ist noch etwas anderes. Allerdings weigert er sich strikt dagegen, es mir zu sagen. Jedoch setzt es ihn irgendwie unter Druck. Von den Symptomen her würde ich fast sagen, dass er einen Burn Out hat. Oder zumindest etwas ähnliches. Gute Besserung und pass gut auf ihn auf, ja?"

Dankbar lächelnd nicke ich und betrete das Zimmer, um den Älteren zu mir zu bringen. War sein Gesicht vorhin auch schon so eingefallen und blass?

"Kommt gut nach Hause, Jungs.", verabschiedet uns die schwarzhaarige und so befolgen wir ihren Rat. Jedoch bezweifle ich ein wenig, dass wir schnell voran kommen. Naja, Hauptsache ist, dass er mir nicht umfällt.

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