19| Zeiten ändern sich

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Es war wieder soweit.
Ich wachte schweißgebadet mitten in der Nacht auf.
Mittlerweile war das wirklich schon Normalzustand.
So viel zum Thema: heute Nacht keine Alpträume.. alles klar..

Danke für nichts.

Ich schaltete das Licht an, setzte mich auf und lehnte meinen Rücken gegen die Wand. Meinen Ellenbogen stützte ich auf das Knie, um meinen Kopf auf meiner Hand ruhen zu lassen. Völlig erschöpft und verschwitzt blieb ich für ein paar Minuten in dieser Position sitzen, bis sich mein Puls wieder beruhigt und sich mein Atem nicht mehr anhörte, als hätte ich grade einen Marathon hinter mir.

Heute machte ich mir nicht die Mühe ein neues Oberteil aus dem Schrank zu kramen und es anzuziehen, die Wäsche türmte sich schon und ich hatte keine Lust mir noch mehr Arbeit anzuhäufen. Ich zog mein verschwitztes weißes Shirt einfach aus und warf es, immer noch an der Wand lehnend, auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch.
Natürlich landete das Shirt nur halb auf der Rückenlehne des Schreibtischstuhls. Kurz darauf rutschte es auch schon die Lehne hinunter und landete zerknuddelt auf dem Laminat.
Ich stöhnte auf.

Astrein..

Ich legte mich wieder zurück in die Kissen, zog die Bettdecke bis unters Kinn und atmete den frischen Duft des Waschpulvers ein, mit dem ich mein Bettbezug gewaschen hatte.
Der Geruch erinnerte mich an alte Zeiten. An eine Zeit, in der meine Familie noch eine wirkliche Familie gewesen war. Naja, wir waren noch nie eine Bilderbuch-Familie gewesen, aber es war mehr, als ich jetzt hatte.
Es war eine Zeit, in der noch alles in Ordnung gewesen war.
Eine Zeit, in der ich noch in Ordnung war.

Vor meinem inneren Auge begannen die Züge der Gegenwart zu verschwimmen. Meine Zimmerdecke, die durch das seichte Licht der Nachttischlampe beleuchtet wurde, veränderten sich und wurde von einer Welle der Erinnerungen eingenommen.

~Seoul. Vor genau 3 Jahren~
„Mom?", schallte meine Stimme durch das ganze Haus. „Mom, wo sind meine Sportsachen? Ich kann sie nicht finden! Eomma?!". Immer weiter drang ich in die Tiefen meines Riesen Kleiderschrankes im Ankleidezimmer vor und wühlte mich, jeden kleinsten Winkel absuchend und mit den Händen abtastend, bis zur hölzernen Rückwand durch. Ich musste mich wirklich beeilen und konnte keine Rücksicht auf die säuberlich gefalteten Anziehsachen nehmen, von denen bereits ein großer Teil kreuz und quer über dem purpurroten Teppichboden verteilt lag und nun den Boden zierten.
Ich stieg über den Wäscheberg, den ich in kürzester Zeit angehäuft hatte, durchquerte das Zimmer und kam am Türrahmen zum stehen. Ich hoffte inständig, dass meine Eomma mich von dieser Position aus besser hören konnte, bevor ich noch den ganzen Kleiderschrank auseinander nahm.
„Eomma, ich muss mich beeilen, der Kampfkurs fängt bald an und ich kann nicht schon wieder zu spät kommen. Baekhyun wartet schon auf mich und unser Trainer lässt uns sonst wieder Extrarunden.." - „Kookie? Was hast du gesagt? Ich war unten im Keller und hab kein Wort verstanden."
Erleichtert, die Stimme meiner Eomma zu hören, atmete ich hörbar aus, bevor ich kurzerhand die freischwebende Wendeltreppe aus Glas hinunter in den Eingangsbereich huschte, um meine Eomma dort abzufangen. „Mom, ich brauche meine Sportsachen, wo sind" - „Meinst du die hier Liebling?" Meine Eomma hob etwas aus dem Wäschekorb, den sie auf dem Arm trug, hoch und zeigte es mir. Augenblicklich verteilte sich der frische Waschpulver Geruch und ich zog ihn mit einem tiefen Atemzug gierig ein. Kurz benebelt von dem herrlichen Duft, schüttelte ich leicht den Kopf, nickte dann eifrig auf die Frage meiner Eomma, schnappte mir die Sportsachen aus ihrer zierlichen Hand, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und eilte die Wendeltreppe wieder hinauf ins Badezimmer, während ich ein „Danke, du bist die Beste" herunter zu meiner Eomma rief, bevor ich die Badezimmertür zuwarf und mich hastig umzog.

Plötzlich vernahm ich ein durchdringendes Piepen in meinem Kopf. Ich schlug die Augen auf und realisierte, dass es das Piepen meines Weckers war. Anscheinend war ich eingeschlafen. Das Licht war auch noch angeschaltet.
Mir fiel wieder ein, woran mich der Geruch des Waschpulvers erinnerte. Es war nur ein kurzer Augenblick aus der Vergangenheit gewesen, doch ich sehnte mich so sehr nach diesem Moment zurück, dass es beinahe schmerzte, da diese Zeit nun schon längst vorbei war.
Sie existierte nun nicht mehr.
Genauso wenig existierte noch der Teil meines Herzens, der in dieser Zeit glücklich und zufrieden war.
Dieser Teil meines Herzens wurde mir erbarmungslos heraus gerissen und an seiner Stelle klaffte seit geraumer Zeit nur noch ein schwarzes, schmerzendes, nie heilendes Loch.
Jede Nacht wurde ich erneut an dieses Loch erinnert, damit ich auch bloß nie vergaß, wie scheiße sich mein Leben entwickelt hatte.

Naja, wenigstens hatte ich die schlimmste Zeit hinter mir und ich war zumindest wieder in Sicherheit, aber die gähnende Leere in meinem Inneren war jederzeit gegenwärtig und vermag mit nichts gefüllt werden zu können. Einmal herausgerissen, immer herausgerissen. Ich versuchte auch gar nicht erst, dieses Loch zu füllen. Das Risiko, den Schmerz eines solchen Loches erneut erleiden zu müssen, wollte ich nicht eingehen. Lässt man niemanden an sich heran, liefert man keine Angriffspunkte, so konnte mir auch niemand etwas anhaben.
Der Schmerz schnürte mir in schwachen Momenten immer noch die Kehle zu. Es bildete sich jedes Mal ein riesiger Kloß in meinem Hals. Tränen bahnten sich den Weg an die Oberfläche und ich drohte in ihnen zu versinken, wie ein Schiff, was von Wellen ergriffen und in die Tiefe des Meeres hinabgezogen und verschlungen wurde. Am Grund des Meeres verkümmerte dieses Schiff dann, von allen alleingelassen und dazu verdammt zu einem verlorenen Wrack zu werden.
Auf nimmer Wiedersehen.

Your love is killing me. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt