Die Jagd beginnt

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"Falls ja, weißt du ja eh schon, was ich meine. Egal, komm erstmal in die Schule und dann besprechen wir die Lage."

Okay, wirklich eindeutig ist die SMS jetzt nicht. Aber ich denke, ich muss wohl von dem Schlimmsten ausgehen.

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Auf den Schulgängen wird wild getuschelt und man sieht hin und wieder ein Grüppchen, das dicht zusammengedrängt über einer Zeitung steht.

Beim Anblick dessen wird mir kotzübel und ich muss mich zusammenreißen, um nicht jemandem eine reinzuhauen.

Leila wartet schon vor der Tür des Aufenthaltraumes der Oberstufe und schließt mich erst einmal in ihre Arme. Sie ist genauso fertig wie ich und uns rollen beide ein paar Tränen über die Wangen.

Sie zieht mich in eine ungestörte Ecke, so dass wir reden können, ohne dass uns jemand belauscht.

Ohne, dass wir es wissen, sagen wir beide gleichzeitig:

"So etwas würde Jared nie machen!"

Wir blicken uns einen kurzen Moment verwirrt an, sind dann aber froh, dass wir beide gleicher Meinung sind.

"Mal ganz ehrlich, wie kann sich diese Zeitung überhaupt erlauben so etwas zu schreiben! Erstens stimmt es einfach nicht und zweitens gibt es auch ein Personenschutzgesetz!", ruft Leila.

"Ich kann einfach nicht fassen, dass sie ihn so beschuldigen. Jeder, der unseren Jared kennt, weiß doch, dass er der liebste und gutherzigste Mensch ist, den diese Schule überhaupt kennt."

Leila regt sich richtig auf und ich nehme sie noch einmal stumm in den Arm.

"Ja, ich weiß Leila. Ich bin genauso außer mir vor Wut wie du. Aber leider können wir nicht ungeschehen machen, was die Zeitung geschrieben hat. Wir können nur versuchen, dass Gegenteil zu belegen."

Gedankenverloren streichele ich ihre Schulter, als ich realisiere, was ich gerade gesagt habe.

Sofort löse ich mich aus der Umarmung und schaue Leila ins Gesicht.

"Leila, das ist es! Wir müssen einfach beweisen, dass Jared unschuldig ist! Und am Besten auch noch bis vor der Gerichtsverhandlung nächsten Freitag.

Wenn ich daran denke, dreht sich mein Magen gleich nochmal um.

Leila sieht mich immer noch mit wässrigen Augen an.

"Und wie sollen wir das machen?"

„Ha. Gute Frage. Ich weiß es nicht.", sage ich und sofort hört sich der Plan richtig dämlich an in meinen Ohren. Als ob wir das jemals beweisen könnten.

Die Schulglocke klingelt und widerwillig setzen Leila und ich uns in Bewegung, um nicht zu spät zu Französisch zu kommen. Wobei Französisch ja gerade sowas von egal ist.
Alles ist egal.

„Ich verstehe es einfach nicht.", sage ich und dieses Mal rollt mir keine Träne die Wange hinunter, sondern in meinem Bauch ist einfach nur ein dicker Knoten und mir ist wirklich übel.
Egal wohin ich blicke, es scheinen alle nur über Jared zu reden und sich das Maul zu zerreißen.
„Ich verstehe nichts.", wiederhole ich und vergrabe meinen Kopf während dem Laufen in meinen Händen.
Vielleicht laufe ich ja ausversehen gegen eine Wand und wache endlich aus diesem schrecklichen Alptraum auf. Wobei das alles hier ganz sicher kein Traum ist. Alles ist so schrecklich real.

Betäubt lasse ich mich auf meinen Platz in der letzten Reihe nieder.
Jared's Platz ist logischerweise nach wie vor unbesetzt und die verächtlichen Blicke der anderen auf seinen leeren Stuhl bohren sich tief in mein Herz.
Ich kann nicht glauben, dass irgendjemand auch nur ansatzweise glauben kann, dass jemand so Gutmütiges und Tolles so etwas Schreckliches tun könnte.
Leila hat sich neben mir auf Nats Stuhl gehockt und hält meine Hand.
Alles ist so ein Alptraum.

Als Nat zur Tür hineinkommt, will ich einfach nur zu ihm hinrennen und mich in seine Arme werfen. Aber Nats Blick ist kühl und abweisend und als er Leila auf meinem Stuhl hocken sieht, macht er sich gar nicht erst die Mühe in unsere Reihe zu kommen, sondern setzt sich gleich auf Leilas alten Platz.
Wow Nat. Man muss es ja auch nicht gleich übertreiben mit der Fürsorge.

In meinem Herz sticht es noch mehr.
Ich verstehe Nat einfach nicht.
Das ist so schrecklich, wie er mich manchmal behandelt. Es tut mir so weh.
Dass er sich verhält, wie es ihm gerade passt.
Ich weiß so sehr, dass Chris recht hat. Wieso würde Nat mit jemandem wie mir zusammen sein?
Ganz sicher nicht, weil er sich unsterblich in mich verliebt hat. Sonst wäre er ganz anders zu mir.
Das bricht mir das Herz.
Es bricht mir alles das Herz.
Die absolut abartige Situation mit Jared.
Dass Nat mich nicht wirklich liebt.
Ich klammere mich an Leilas Hand und versuche mich selber zusammen zu halten und an irgendetwas anderes zu denken.
Wenn ich mich jetzt in meinen Gedankenstrudel hineingebe, dann komme ich da nicht mehr raus und heule am Ende wie ein Wrack.
Und das will ich nicht.
Ich will, dass Nat sieht, dass es mich nicht verletzt, wie er mit mir umgeht. Ich will nicht die Schwächere in der Beziehung sein.
Ich will, dass alle merken, dass ich selbstbewusst bin in meiner Meinung, dass Jared niemals jemanden vergewaltigen würde und ich ihn verteidige.

Leila und ich verbringen die gesamte Mittagspause damit, im Internet nach Fakten über Jareds angebliche Straftat zu suchen. Das meiste was wir finden sind Zeitungsartikel und die klingen alle ziemlich erfunden. 

Ich verstehe gar nicht, wie so etwas überhaupt an die Presse gelangen kann, schließlich hat die Polizei ja auch eine Schweigepflicht. Außerdem ist Jared ja kein Star oder so, dessen Leben alle auf Schritt und Tritt verfolgen.

Die einzige Möglichkeit ist, dass jemand absichtlich Informationen an die Presse weitergegeben hat. Aber wer würde so etwas Schreckliches tun?

Mir fällt einfach keine Antwort auf diese Frage ein. Solange ich Jared kenne, war er immer freundlich und zuvorkommend zu Allen. Während ich über diese Frage nachgrüble, trommele ich mit meinen Bleistift auf den Tisch, um durch den gleichmäßigen Takt irgendwie eine Lösung zu finden. Aber vergebens. Mein Kopf ist nach fünf Minuten Bleistifttrommlerei noch genauso leer wie zuvor.

"Lou", ruft Leila, die an einem PC ein paar Schritte von mir entfernt sitzt. "Komm mal her, vielleicht habe ich was gefunden."

Mein Blick richtet sich von der Tischplatte auf und schnellt zu ihr. Ist es wirklich möglich, dass sie auf etwas gestoßen ist, dass uns weiterhelfen könnte? In Null komma Nichts stehe ich hinter ihr und starre auf den Bildschirm des Computers. Leila hat einen Artikel aufgeschlagen, welcher in der örtlichen Zeitung vor sechs Jahren veröffentlicht wurde.

"Schau mal, Lou. Dieser Artikel ist ganz ähnlich wie der von Jared. Es geht darum, dass ein Junge von unserer Schule geflogen ist, weil er angeblich mit Drogen gedealt hat. Wenn man allerdings hinunterscrollt, schreiben die Leute in den Kommentaren etwas ganz anderes und verteidigen ihn."

Leila dreht sich um und schaut mich an. In ihren Augen funkelt es und ich weiß, dass ihr genauso viel wie mir daran liegt, den Fall aufzuklären.

Der Pausengong ertönt und wir drucken den Zeitungsartikel zwei mal aus. Jeder von uns steckt eine Version ein und wir gehen langsam in Richtung unseres Klassenzimmers. Wir sind zwar immer noch niedergeschlagen von den Ereignissen des Tages, doch nun haben wir eine Fährte, die wir verfolgen können.


Die Lügen hinter deinem LächelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt