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Draco – 5. Jahr

Mit geschlossenen Augen halte ich mein Gesicht in die warme Herbstsonne. Einen kurzen Moment lang scheint alles ganz friedlich. Als ich die Augen wieder öffne sehe ich Crabbe und Goyle, wie sie sich, einige Meter entfernt, die Tasche eines Hufflepuff-Erstklässers zuwerfen und diesen dahinter her jagen lassen. Als der auch noch über einen Stein stolpert und mit dem Gesicht im Dreck landet, kann ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen. So ein Trottel.

Ich sitze auf einem großen Stein am Rande des verbotenen Waldes. Ich betrachte den grünen Apfel in meiner Hand. Der Saft rinnt mir das Kinn hinunter, als ich hinein beiße. Während ich kaue, starre ich auf den See hinaus. In den letzten Jahren bin ich öfter her gekommen. Irgendwie hat dieser Ort etwas beruhigendes an sich, seit dem Vorfall mit dem Bild des jungen Grindelwald. Das Gefühl, endlich zu wissen, wer ich bin breitet sich warm in meinem Inneren aus. Es wird allerdings schnell wieder verdrängt von einem drückenden Schmerz in der Brust, als mir bewusst wird, dass ich der einzige bin, der das weis. Dieses Jahr erst wurde ich zum Vertrauensschüler ernannt, da wär ich ja schön blöd, wenn ich mir den dadurch gewonnenen Respekt durch ein Outing wieder zunichte mache! Der große Draco Malfoy, eine Schwuchtel. Ich kann mir das Gerede schon vorstellen. Und daran, es meiner Familie zu erzählen, will ich gar nicht erst denken. Eine Gänsehaut schüttelt meine Körper, als ich an die Schmerzen des Cruciatus-Fluchs denken muss, den mein Vater gern zu Erziehungsmaßnahmen, wie er es nennt, einsetzt.

Wobei, ganz der einzige, der es weis bin ich nicht. Mein bester Freund Blaise weis es. Schließlich war er der erste Junge (bzw. der erste Mensch überhaupt), den ich geküsst habe. Anfang des letzten Schuljahres war es. Es war schon spät abends, sodass der Gemeinschaftsraum bis auf uns leer war. Blaise hatte aus den Vorräten seines Vaters eine Flasche Feuerwiskey in seinen Koffer schmuggeln können, die wir am Abend geleert hatten, um das neue Schuljahr einzuleuten. Betrunken, wie wir waren starrten wir ewig ins Feuer, das im Kamin brannte. Bis heute weis ich nicht, wie lange wir da stumm saßen. Ein kaum verständliches "'Sch bin schwul", purzelte plötzlich aus meinem Mund, ohne dass ich vorher darüber nachgedacht hätte. Blaise drehte seinen Kopf zu mir und ich versuchte, in seinen vom Alkohol glasigen Augen eine Reaktion zu erkennen. Dann plötzlich, ohne Vorwarnung, beugte er sich zu mir rüber und küsste mich. Es war ein seltsamer, betrunkener Kuss, aber trotzdem irgendwie schön. "'Sch auch", lallte er, nachdem er sich wieder von mir gelöst hatte. "Okay", war die Reaktion meinem betrunkenen Hirns. Dann starrten wir wieder in die Flammen, ohne ein weiteres Wort.

Lange haben wir nicht darüber geredet. Oder über etwas anderes. Eigentlich haben wir gar nicht mehr miteinander geredet. Es war einfach zu peinlich. Nach den Weihnachtsferien aber setzte sich Blaise eines Abends zu mir und erklärte, er wolle nicht, dass diese seltsame, betrunkene Situation unsere Freundschaft zerstöre. Wir einigten uns, so zu tun, als sei der Kuss nie geschehen, waren wir doch die einzigen, die das Geheimnis des jeweils anderen kannten. Und irgendwen braucht man schließlich zum Reden.

"Malfoy!", wenn man vom Teufel spricht. Blaise taucht hinter mir auf und setzt sich auf einen der Steine neben mich. "Hast du schon gehört? Es gibt das Gerücht, Potter sei schwul... oder bi... oder pan... oder was es da nicht noch alles gibt... jedenfalls nicht hetero", verkündet er mit einem seltsamen Blick in den Augen. "Aha", antworte ich möglichst desinteressiert, "und nun?" Blaise sieht mich verständnislos an. "Verstehst du das denn nicht?" Nachdem er nur einen weiteren skeptischen Blick von mir erntet, fährt er fort: "Sollte das stimmen, sollte Potter sich outen - Harry Potter! - wird das für so viel Aufregung sorgen, dass wir das ganz nebenbei auch machen können. Verstehst du, im Vergleich zu einem schwulen Harry Potter sind wir beide doch nur halb so interessant!" Langsam leuchtet mir seine Theorie ein. "Nun, das setzt aber erstens voraus, dass dieses Gerücht stimmt, und zweitens, dass Potter sich outet. Ich an seiner Stelle würds nicht machen.", relativiere ich Blaise' Enthusiasmus. "Hm, stimmt auch wieder", murmelt der und starrt auf den See.

Ich versuche, ebenfalls möglichst gelangweilt in die Ferne zu starren, doch irgendwie gelingt mir das nicht. Irgendetwas haben Blasie' Worte in mir ausgelöst. Aus irgendeinem Grund hat diese Nachricht über Potter mein Inneres auf den Kopf gestellt. Dieser kleine, kurze Krampf in meinem Herzen, als Blaise sagte, Potter sei vielleicht schwul, was hat der zu bedeuten? Genervt seufze ich auf. Warum kann dieser scheiß Gefühlskram nicht ein mal einfach sein?! Ich will gar nicht an die Zeit zurück denken, als mich das Bild von Grindelwald nächtelang wach gehalten hat. Wäre es nicht viel sinnvoller, wenn man wüsste, was in seinem eigenen Körper und Hirn vorgeht? "Es gibt gleich Abendessen, lass besser rein gehen. Die beiden Vollidioten Crabe und Goyle sind auch schon los.", unterbricht mich Blaise in mein Gedanken. Auf dem Weg zum Schloss versucht mein bester Freund, die Stimmung aufzulockern, indem er erzählt, wie ein Gryffindor-Mädchen heute in Kräuterkunde fast von irgend so einem Gestrüpp gefressen wurde.

In der großen Halle sitzen viele Schüler schon an ihren Tischen. Auf einer der Bänke erkenne ich das schwarze Haar eines gewissen Gryffindors. Ich kann es mir nicht verkneifen, ihn im Vorbeigehen anzurempeln, sodass seine Brille in seiner Suppe landet. "Hey Potter", raune ich ihm zu, laut genug, dass er und seine Freunde es hören, aber nicht so laut, dass es die ganze Schülerschaft mitbekommt – ein bisschen Stil hab ich schließlich noch! "Hab gehört du bist ne Schwuchtel", zische ich und setze meinen fiesesten Blick auf. Einen kurzen Moment lang glaube ich, Panik in seinen Augen zu sehen, doch er fängt sich schnell wieder. "Ach ja?", zischt er in der selben Lautstärke zurück, "Ich hab gehört, du wärst eine." Glücklicherweise habe ich es über die Jahre gelernt, mir mit keinem Zucken anmerken zu lassen, was in meinem Inneren vorgeht. Sonst wären mir jetzt sämtliche Gesichtszüge entgleist. Es gibt so ein Gerücht über mich? Woher? Wortlos starre ich Potter mit zur Faust geballter Miene an. Auf einmal fällt mir auf, wie unfassbar grün seine Augen sind. Kleine hellere Flecken in der Iris lassen sie leuchten wie Smaragde. Verwirrt wende ich mich schnell ab, bevor sich dieser Gedanke seinen Weg in meine Mimik bahnt.

- Pauline

Angst, Potter? - Träum weiter!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt