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Ich hatte keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war, aber als ich wieder zu mir kam, war ich eindeutig nicht mehr in einem fahrenden Auto. Der Geruch der Skimaske - nasse Wolle und Schweiß - verursachte mir Übelkeit. Ich konnte kaum atmen. Um mich herum war es still. Vielleicht hatte ich Glück und die Einbrecher hatten mich einfach irgendwo zurück gelassen. Ich wagte es nicht mich zu bewegen.

Mein Kopf dröhnte von dem Schlag.

Wo war ich? Es war kalt, aber nicht kalt genug, als das ich draußen sein könnte. Ich saß auf dem Boden, mit dem Rücken an etwas Kaltes, Glattes gelehnt. Eine unbestimmte Angst stieg in mir hoch. War ich in einem Keller? Wohin hatten sie mich geschleppt? Würden sie mich hier umbringen? Würde mich jemand finden? Meine Gedanken sprangen zu Mira. Sie war wahrscheinlich die Einzige, die mitbekommen würde, dass ich verschwunden war. Würde sie nach mir suchen? Oder würde sie denken, dass ich abgehauen war? Wäre schließlich nicht das erste Mal. Ich versuchte mich zu beruhigen. Die Polizei hatte gesehen, wie ich in den Wagen gezogen wurde. Sicherlich würden sie nach mir suchen. Und wie weit konnten die Einbrecher schon gekommen sein? Wahrscheinlich würde jede Sekunde die Tür niedergetreten werden und ein ganzes Einsatzkommando würde reinplatzen und mich retten.

"Sie ist wach!"

Oder auch nicht. Das war die Stimme der Frau aus dem Auto.

Jemand zog mir die Skimaske runter und ich sog gierig die frische Luft ein. Ich blinzelte.

Vor mir stand ein Mann, der von der Statur und Körperbau her mein Messerdieb sein musste. Auch er trug keine Maske mehr. Ich starrte in ein Gesicht mit einer langen Nase, das von kurzen, tiefbrauen Locken umrahmt wurde. Auf seiner dunklen Haut tanzten vereinzelt ein paar Sommersprossen. Seine Augen waren grün wie die des anderen Mannes, aber weniger hart und dafür lebendiger, spöttisch.

"Morgen!"

Er grinste, lehnte sich zurück und stopfte sich eine Handvoll Gummibärchen in den Mund.

Ich sah mich um. Ich schien in einer Art verlassener Fabrikhalle zu sein, der Lieferwagen stand nicht weit entfernt von uns. Auf dem Boden lagen alte Stahlteile, es war dreckig. Einige der Fensterscheiben waren zersprungen. Draußen war es vollkommen dunkel und das einzige Licht kam von ein paar Arbeitslampen, die auf dem Boden standen. Der Ausgang, eine schwere Eisentür, war einige Meter von mir entfernt. Ich war nicht gefesselt. Nichts würde mich davon abhalten aufzuspringen und loszurennen. Allerdings war es nicht sehr wahrscheinlich, dass ich es bis dahin schaffen würde, denn die Frau aus dem Auto lehnte nicht weit weg von mir an der Wand und sie sah schnell aus.

Ich saß auf dem Boden, den Rücken an einem Betonpfeiler. Der Mann hatte sich vor mir in einen Stuhl fallen lassen und musterte mich.

"Du bist jetzt offensichtlich mein Problem."

Ich versuchte ruhig zu atmen. Wenn sie mich hätten umbringen wollen, hätten sie das schon lange getan.

"Muss ich nicht sein. Du kannst mich einfach gehen lassen. Ich verspreche, ich werde kein Wort sagen."

"Und dein Messer?"

Mit einer zufriedenen Geste zog er es aus der Tasche und sah es nachdenklich an.

"Ist ein simples Taschenmesser. Dafür riskierst du dein Leben?"

Ich wich seinem Blick aus und starrte stur auf den Boden.

"War ein Geschenk."

Er lachte auf:

"Von deinem Freund?"

"Nicht wirklich."

"Muss dir ziemlich wichtig sein, wenn du dafür in ein Fluchtauto springst. Oder du bist einfach nur total bescheuert. Wahrscheinlich beides."

"Lass mich einfach gehen, ich verschwinde, wir haben uns nie getroffen."

Er schüttelte den Kopf:

"So einfach ist das nicht. Du hast unsere Gesichter gesehen. Wenn es nach Pyotr ginge, würde ich kurzen Prozess mit dir machen."

Pyotr? Das musste der blonde Mann gewesen sein.

Sein Zeigefinger und sein Daumen formten sich zu einer Pistole, die er auf mich richtete. Mein Magen zog sich zusammen.

"Peng. Aber das ist nicht mein Stil. Und seiner übrigens auch nicht. Egal wie Macho er tut."

"Tom, heute noch."

Die Stimme der Frau unterbrach ihn. Er verdrehte die Augen. Die unbedachte Art wie sie mit ihren Namen vor mir umgingen machte mir Angst. Sie erwarteten offensichtlich nicht, dass ich hier wieder raus kam und sie verriet.

"Also die Sache ist die: wir haben nicht vor, dich gehen zu lassen. Du bist ein Risiko für uns. Und wo solltest du auch hin? Ins Gefängnis?"

"Eh? Warum Gefängnis?"

Er zog sein Handy aus der Tasche, tippte auf das Display und hielt es mir hin. Ich starrte auf ein Video einer Nachrichtensendung. Die Sprecherin sah ernst in die Kamera.

"Es wurden Schmuckstücke im Wert von fünfstelligen Beträgen gestohlen. Die Einbrecher flohen durch einen Minimarkt, in dem sich offenbar eine Fluchthelferin aufhielt. Die Polizei sucht nach Hinweisen zum Aufenthaltsort von Charlotte Cheng. 1,72 groß, schlank, schulterlange schwarze Haare. Zuletzt gesehen in einem schwarzen T-Shirt und einer schwarzen Hose. Cheng ist vorbestraft und potentiell gewaltbereit."

Ich fühlte mich als würde ich in ein Loch fallen, als ich mein Foto auf dem Display sah und meine Beschreibung hörte. Das Bild von mir war aus meiner Polizeiakte. Meine Haare waren seitdem etwas kürzer und ich hatte abgenommen, aber abgesehen davon hätte niemand Zweifel, dass ich das war. Meine tiefliegenden Augen, meine harten Gesichtszüge und meine leicht abstehenden Ohren verrieten mich.

"Aber... aber ich hab euch nicht geholfen. Ich bin unschuldig."

"Schon klar", er steckte kichernd das Handy weg, "jemand Unschuldiges würde natürlich auch einer Horde Einbrechern hinterher rennen und ins Fluchtauto springen. Tolle Story, Charlotte."

"Charlie", entfuhr es mir unwillkürlich.

"Gut, dann eben Charlie. Ich bin übrigens Tom."

Zufrieden steckte er sich eine weitere Handvoll Gummibärchen in den Mund.

"Also Charlie, willst du unseren Plan für dich hören oder nicht?"

Charlie, die Einbrecher und der Diebstahl des JahrhundertsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt