Der geplatzte Deal

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Noch bevor wir den Eingang erreicht hatten, kamen uns drei von Warburtons Bodyguards entgegen.

"Wir haben den Buchhalter. Und die Bücher."

Pyotr gab Ian einen Schubs nach vorne, ohne jedoch seinen Arm loszulassen.

Die Wachmänner sahen uns misstrauisch an, dann sagte einer von ihnen - offensichtlich der Anführer:

"Durchsucht sie!"

"Nicht nötig", warf Tom ein, "wir übergeben euch nur schnell die Bücher und den Typen hier und dann sind wir wieder weg."

Ein wiederliches Grinsen erschien auf dem Gesicht des Mannes:

"Glaub ich kaum."

Ich zuckte zusammen, als die Hände des Wachmanns rau über meine kaputten Arme glitten und einige der Schnitte wieder zum bluten brachten. Als er mir feixend einen Klapps auf die Stirn verpasste, dorthin wo ein tiefblauer Fleck Zeuge des Schlags von Edavanes Bodyguard war, gab es auf der ganzen Welt niemanden, den ich in diesem Moment mehr hasste. Ich brauchte all meine Selbstbeherrschung, um nicht zurückzuschlagen.

"Sind sauber!", rief einer der beiden schließlich dem Anführer zu.

"Gut. Bringt sie rein."

Wir folgten ihnen ins Innere der Villa. Statt wie uns das letzte Mal in die Bibliothek zu bringen, führten sie uns eine Treppe hoch in das zweite Stockwerk.

Obwohl ich wahrscheinlich noch nie in meinem Leben nervöser gewesen war, brannte sich jedes Detail in mein Hirn ein: die abweisenden Betonwände, das schwere Holz der vereinzelt herumstehenden dunklen Möbel, die Glastreppe, welche mir Übelkeit verursachte, die düstere, abstrakte Kunst an den Wänden. Ich sah, dass Tom vor mir die Treppe langsam nahm, als würde ihm jeder Schritt Schmerzen bringen.

Wir kamen vor einer Tür zum Stehen.

"Da rein!"

Die Wachmänner hatten offenbar nicht vor uns zu folgen. Zögerlich betraten wir den Raum und fanden uns in einer Art länglichen Frühstückszimmer wieder.

Die Wände waren genauso grau und abweisend wie im Flur, aber eine große Glasfensterfront gab den Blick auf die Tannen frei, die das Haus von allen Seiten umschlungen und ein schwerer, tiefroter Teppich nahm die Mitte des Raumes ein. Darauf war ein Sessel und ein kleiner Tisch platziert. Eine Karaffe Kaffee verströmte einen verführerischen Duft.

Warburton saß in dem Sessel und betrachtete uns mit einem neugierigen Blick. Obwohl es noch nicht mal acht war, war er tadellos gekleidet. Wir blieben in gebührenden Abstand zu ihm stehen.

Amüsiert warf er einen Blick auf seine Uhr:

"Ihr seid fünf Stunden zu früh. Wo ist Miss Hall?"

Innerlich atmete ich erleichtert auf. Warburtons Frage klang aufrichtig. Er hatte also auch keine Ahnung, wo Rosa war. Immerhin.

"Nach ihrem letzten Aufenthalt hier hatte sie wenig Lust zurückzukehren", antwortete Olivia.

"Bedauerlich. Und das ist?"

Warburton zeigte auf Ian, der wegen des Knebels nichts anderes tun konnte, als hasserfüllt zurückzustarren.

"Edavanes Buchhalter. Und hier sind die Geschäftsbücher", Olivia legte die Bücher auf den Boden und gab ihnen einen Tritt nach vorne.

Gleichzeitig stieß Pyotr Ian nach  vorne, der strauchelnd zum Stehen kam. Warburton betrachtete die Bücher mit hochgezogenen Augenbrauen.

"Offline? Wie reizend."

"Okay, das war's. Wir haben unsere Seite des Deals eingehalten", sagte Pyotr tonlos.

"Wir machen uns dann Mal auf den Weg", fügte Tom gezwungen leichthin hinzu und als wären wir eine Person, wandten wir uns gleichzeitig in Richtung Ausgang. Wir hatten es offensichtlich alle eilig hier raus zu kommen.

"Eine Sache noch."

Warburtons Stimme stoppte uns mitten in der Bewegung. Ich drehte mich um. Ein unheimliches Lächeln war auf seinem Gesicht erschienen.

"Vier Millionen."

"Was?"

"So viel war das Manuskript wert, das ihr von mir gestohlen habt. Glaubt ihr wirklich, dass ich das so einfach vergesse?"

Warburton stand langsam auf und nickte hinter sich in Richtung Tür. Ich drehte mich um und sah, dass einer seiner Wachmänner in den Raum getreten war, eine Pistole in der Hand. Ein schwerer Eisblock fiel mir in den Magen und mein Atem kam seltsam schnell.

Warburtons Hailächeln wurde einen Hauch breiter.

"Dachtet ihr, ihr könnt hier einfach rausmarschieren?"

Olivia und ich wechselten schnelle Blicke. Keiner von uns schien eine rettende Idee zu haben. Sie war leichenblass geworden, doch ich konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn fieberhaft arbeitete. Tom trat unruhig von einem Bein aufs andere, aber Pyotr stand unbeweglich da, als wäre er zu einer Statue erstarrt. Sein Blick war eisig auf Warburton gerichtet. Ich sah mich gehetzt um. Nichts. Die einzige Tür, der einzige Ausweg, wurde von dem pistolentragenden Gorilla versperrt. Die Fenster sahen zu solide aus und selbst wenn nicht hatte ich wenig Lust, mich zweimal an einem Tag durch Glas zu werfen.

Pyotr drehte sich zur Tür und ich wusste, dass er berechnete, wie schnell er bei dem Wachmann sein konnte und wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass er eine Kugel abbekam, bevor er ihn erreicht hatte. Er schien zu dem selben Schluss zu kommen wie ich. Keine Chance.

"Mach schnell und dann bring sie hier raus", Warburton sprach mit seinem Wachmann. Das war's. Ich schloss die Augen und spürte plötzlich, wie sich Toms Hand in meine schob und sie beruhigend drückte.

Ich wartete auf den Knall der Pistole. Die Sekunden dehnten sich zu einer zähen Unendlichkeit. Als der erste Schuss den Raum durchschnitt, erschütterte er mich bis aufs Mark.

Charlie, die Einbrecher und der Diebstahl des JahrhundertsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt