Epilog

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„Bist du sicher, dass das so dickflüssig sein muss?"

Skeptisch sah Olivia über Pyotrs Schulter in den Topf, in dem schon eine Weile etwas köchelte, das trotz seiner Mühen kein Abendessen werden wollte.

„Bin ich", antwortete dieser ungehalten. Dann zögerte er, plötzlich weniger sicher:

„Oder?"

„Charlie?"

Ich legte mein Handy weg, auf dem ich gerade einen Artikel gelesen hatte, der die gleiche Überschrift trug wie zahllose andere, die in den letzten Tagen erschienen waren: „Noch immer keine Spur des Multimillionärs Warburton". Keiner von uns war sonderlich überrascht, dass Edavane so gut aufgeräumt hatte, aber ich schätzte, früher oder später würde Warburtons Leiche irgendwo auftauchen.

Schulterzuckend stand ich auf, ging auf den Herd zu und erhaschte einen Blick auf mein Gesicht, das sich in dem dunklen Fenster darüber spiegelte. Es war zerkratzt und zerschrammt, meine Arme waren noch immer verbunden und ich hinkte leicht, aber immerhin war die Panik aus meinen Augen verschwunden, die sich in den Tagen nachdem wir aus der Villa entkommen waren, geweigert hatte, mich loszulassen. Noch ein paar Wochen und ich würde wieder wie ich selbst aussehen und mit viel Glück würden dann auch die Albträume aufhören, in denen ich unablässig von goldenen Vögeln verfolgt wurde.

„Charlie? Das Essen."

Olivia wedelte ungeduldig vor meinem Gesicht herum und holte mich so aus meinen Gedanken. Ich spähte unschlüssig in den Topf auf eine dickflüssige, weißliche Masse, die vielleicht in einem anderen Leben mal eine Suppe geworden wäre. In den letzten Jahren bestanden meine Abendessen meistens aus Sachen, die ich mir im Minimarkt warm gemacht hatte und ich war wirklich die Letzte, die man um Kochtipps bitten sollte, aber selbst ich erkannte einen verlorenen Fall, wenn ich ihn sah. Um Pyotr und Olivia nicht zu verletzen, zögerte ich, unsicher, wie ich ihnen sagen sollte, dass was immer da im Topf köchelte, mit Sicherheit kein Abendessen mehr werden würde.

„Weiß nicht..."

Kurzentschlossen nahm Olivia einen Löffel und kostete. Ein Ausdruck von purem Horror kroch über ihr Gesicht.

„Äh... Wie wär's mit Chinesisch?", fragte sie mit bemüht neutraler Stimme.

„So schlimm?", entgegnete Pyotr ungläubig.

Sie nickte.

„Kann gar nicht sein!"

Beherzt schnappte er sich einen Löffel und tauchte ihn in die Suppe. Eine Sekunde später sah er uns entsetzt an.

„Okay, wo ist das Takeout Menu?"

Ich lachte und begann in der Schublade zu wühlen, in der wir die ganzen Flyer sammelten, die uns in regelmäßigen Abständen unter der Tür durchgeschoben wurden.

Olivia sah auf ihre Uhr, während Pyotr resigniert unser „Abendessen" wegwarf.

„Sie müssten eigentlich jeden Moment da sein."

Nach zwei Wochen konnte Rosa heute endlich Tom aus dem Krankenhaus holen und zur Feier des Tages hatten Olivia und Pyotr beschlossen, dass es ausnahmsweise mal mehr als Tiefkühlpizza und Nudeln zum Abendessen geben musste. Mit mäßigem Erfolg offensichtlich.

Ich hatte Tom nicht mehr gesehen, seit wir ihn panisch in die nächste Notaufnahme gefahren hatten. Rosa war die einzige, die ihn besuchte, da wir nicht zu viel Aufmerksamkeit in dem kleinen Provinzkrankenhaus auf uns ziehen wollten, in dem er lag. Selbst sie hatte ich in den letzten Wochen kaum zu Gesicht bekommen, da sie entweder an der Arbeit war oder Tom nicht von der Seite wich und ich wusste nicht mal welche Story sie erzählt hatte, um Toms Verletzungen, ein paar gebrochene Rippen und geprellte Organe, zu erklären. Wahrscheinlich hatte sie den Ärzten was von einem Autounfall aufgetischt, aber ob sie ihr das abgekauft hatten? Immerhin konnte Rosa sehr überzeugend sein, wenn sie wollte.

Charlie, die Einbrecher und der Diebstahl des JahrhundertsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt