Pläne

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Tom hatte ein neues Glas vor mir abgestellt, während ich nervös mit dem Bierdeckel spielte und seinem Blick auswich. Dann atmete ich tief durch:

"Nach Lilys Tod war mir alles egal. Ich hab aufgehört in die Schule zu gehen, ich hab mit niemandem mehr gesprochen. Meine Eltern waren so in ihre eigene Trauer eingewebt, dass sie sich nicht um mich kümmern konnten. Sie konnten mich kaum ansehen. Lily und ich haben uns schon immer ähnlich gesehen und wahrscheinlich hab ich sie an sie erinnert."

Jetzt, da ich angefangen hatte zu sprechen, war es als könnte ich nicht wieder aufhören bevor ich alles gesagt hatte. Ich hatte nie jemandem wirklich von der Zeit nach Lilys Tod erzählt. Die Gedanken, die mir jahrelang durch den Kopf geflogen waren auszusprechen, fühlte sich fremd an.

"Und das einzige woran ich denken konnte, war dieser scheiß Typ und das, was er mir weggenommen hat. Ich wollte ihm genauso weh tun, wie er mir weh getan hat. Also hab ich angefangen ihn zu beobachten. Seine Routine gelernt", ich lachte bitter, "er hatte schon wieder 'ne Neue. Und ich habe gewartet, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war. Eines Abends hatte ich ihm dabei zugesehen, wie er sich die Kante gegeben hatte und sturzbesoffen nach Hause gewankt ist. Ich bin bei ihm eingebrochen, als ich sicher war, dass er sich schlafen gelegt hatte."

Ich hielt inne. Ich war nicht stolz darauf, was ich getan hatte, aber es tat mir auch nicht leid. 

"Ich hatte eine Eisenstange dabei. Er lag auf seinem Bett, total durch. Ich bin langsam auf ihn zugegangen und dann... hab ich zugeschlagen."

Den Rest kannte er aus dem Polizeibericht: drei geprellte Rippen, ein gebrochener Arm, Blutergüsse. Eigentlich war er noch viel zu glimpflich davon gekommen. Die Polizei griff mich am nächsten Tag auf. Ich hatte Glück gehabt. Mein Alter und der Tod von Lily hatten die Richterin milde gestimmt. Ich war mit einer ganzen Menge Sozialstunden und einer Bewährungsstrafe davongekommen. 

"Meine Eltern waren so schockiert, dass sie nicht mal mehr mit mir gesprochen haben. Sie sind aus Korea hierhergekommen, damit Lily und ich ein gutes Leben haben. Und jetzt war Lily tot und ich war eine vorbestrafte Schulschwänzerin. Ich hab es irgendwann nicht mehr daheim ausgehalten. Und irgendwie... keine Ahnung wie... haben wir seitdem nicht mehr miteinander gesprochen. Es gab nicht Mal einen Streit oder so. Wir haben einfach aufgehört einander anzurufen."

Ich konnte den Blick nicht deuten, mit dem Tom mich ansah, aber es lag zumindest kein Mitleid darin und irgendwie fühlte ich mich damit besser.

"Warum willst du das alles wissen?"

Tom zog die Nase kraus.

"Ich kenn dich nicht, aber in zwei Wochen brechen wir zusammen in eine Villa mit einer Horde Sicherheitsleute ein. Ich muss dir vielleicht mein Leben anvertrauen. Und das mach ich nicht gern bei einer Fremden."

"Aber ich weiß doch auch nichts von dir."

Tom lehnte sich zurück, ein verschmitztes Grinsen im Gesicht:

"Schieß los!"

Ich überlegte eine Sekunde und entschied mich dann für die Frage, die mir schon eine Weile durch den Kopf ging:

"Warum hast du mich ins Auto gezogen?"

"Huh?"

"In der Nacht als ich dir hinterher gerannt und in den Wagen gesprungen bin. Ein Tritt oder Schlag von dir hätte genügt und ich wär auf der Straße gelandet. Stattdessen hast du mich ins Auto gezogen."

Tom starrte ein paar Sekunden nachdenklich vor sich hin, als würde ihm das erst jetzt bewusst werden.

"Hm... Weißt du", sagte er schließlich, "ich glaub ich hab 'ne Schwäche für wahnsinnige Leute. Deswegen hab ich dich reingezogen. Und deswegen bin ich auch der einzige, der Felix vermisst."

Charlie, die Einbrecher und der Diebstahl des JahrhundertsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt