Ein Angebot

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Ich atmete tief durch und versuchte mir einzureden, dass Leute sich normalerweise nicht vorstellten bevor sie einen umbrachten. Was immer sie also mit mir vorhatten, ich hatte noch immer eine Chance hier rauszukommen. Mit mehr Mut als ich strenggenommen fühlte, antwortete ich:

„Hab' ich eine Wahl?"

Tom zuckte fast gleichgültig mit den Schultern.

„Nicht wirklich."

Noch bevor er weitersprechen konnte, wurde hinter ihm eine Stahltür mit einem lauten Quietschen geöffnet und der blonde Mann von vorhin kam in den Raum gestapft. Als er mich sah, zogen sich seine Augenbrauen missmutig zusammen.

„Ist sie immer noch hier?"

„Wo hast du sie denn erwartet? Auf dem Grund der Themse?"

„Egal wo. Hauptsache nicht hier."

„Pyotr, wir haben darüber gesprochen."

Die Frau hatte nicht ihre lässige Haltung an der Wand geändert, sie hatte nicht mal die Stimme erhoben und doch war eine unausgesprochene Warnung in ihren Worten gewesen.

„Das heißt nicht, dass mir die Sache gefallen muss."

„Ich hab' dich nicht um Erlaubnis gebeten."

„Seid ihr beiden fertig?"

Tom verdrehte die Augen und wandte sich wieder mir zu:

„Also, Charlie", er betonte meinen Namen spöttisch, „wir haben ein bisschen Recherche zu dir angestellt und einige spannende Sachen rausgefunden."

„Kann ich mir nicht vorstellen."

Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten, aber mein Herz hatte begonnen verräterisch schnell zu schlagen und mein Mund war trocken geworden.

Tom lehnte sich in seinem Stuhl vor, sodass sein Gesicht nicht mehr weit von meinem entfernt war und lächelte verschmitzt:

„Charlie Cheng, zwanzig, wohnt alleine über einem Minimarkt, Schule abgebrochen, Vater: Han Cheng, Mutter: Margaret Cheng, Schwester: Lily Cheng."

Bei dem Namen meiner Schwester legte sich ein dunkler Schleier auf mein Herz. Ich sprang auf und ignorierte den Schmerz, der dabei in meinem Kopf aufplatzte:

„Ich weiß nicht, was für ein blödes Spiel du spielst, aber wenn du mich aufhalten willst, dann bitte. Ansonsten bin ich raus hier."

Ich wünschte mir, dass ich in diesem Moment nicht so schrill und verletzlich geklungen hätte, aber jeder klare Gedanke war wie weggewischt. Mir war kalt, mein Kopf dröhnte und ich hatte keine Lust auf irgendwelche Psychospielchen. Es war klar, dass sie viel mehr über mich wussten, als mir lieb war, aber das hieß nicht, dass sie mich zwingen konnten hier still rumzusitzen. Ohne mir zu erlauben, über die Konsequenzen nachzudenken, ging ich zielstrebig auf den Ausgang zu.

„Bleib stehen!"

Pyotrs wütende Stimme hallte mir nach, aber ich ignorierte ihn.

„Wo willst du hin, Charlie", in Toms Worten lag ein unterdrücktes Lachen, „du kannst nicht in deine Wohnung zurück. Da warten sie auf dich. Und wenn ich mir deine Vorstrafe ansehe, denke ich nicht, dass sie dir deine Unschuld abkaufen."

Die Wahrheit seiner Worte schnitt mich. Er hatte Recht, ich hatte keinen Ort an den ich gehen konnte, ich hatte niemanden. Und vor allem hatte ich keine Lust für einen Diebstahl im Gefängnis zu landen, den ich nicht mal begangen hatte. Zögerlich blieb ich stehen, drehte mich um und sah, dass Tom Pyotr lässig am Arm zurückgehalten hatte.

Charlie, die Einbrecher und der Diebstahl des JahrhundertsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt