Kapitel 13 Zu schwach

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Erstellt am: 24.09.2018

„Nami!" Endlich hatte ich sie gefunden. Sie saß vor dem kleinen See, an dem ich damals auch gesessen hatte, als ich zum ersten Mal Nora traf. Mich überkam Gänsehaut, wenn ich daran zurückdachte.
Nami rührte sich nicht, als sie mich hörte. Langsam ging ich auf sie zu. War sie noch wütend auf mich?
„Nami, hör zu ... ich habe das nicht so gemeint, ich wollte dich damit nicht verletzen ... es war dumm von mir so etwas zu sagen, es tut mir leid." Ich sah zu ihr, plötzlich erhob sie sich langsam, mit dem Rücken zu mir. Sie machte mir Angst, wenn sie so abweisend war, ich wollte, dass sie wieder lachte, dass sie mich mit ihrer positiven Aura umgab. Mit einem Ruck hatte sie sich umgedreht. Sie rannte auf mich zu und umarmte mich. Ich erstarrte. Ihr Kopf lag auf meiner Brust und sie weinte. Warum? Warum umarmte sie mich plötzlich? Was bedeutete das? Yato hatte gesagt, wir sollten wie Bruder und Schwester sein ... Geschwister umarmten sich, dennoch fühlte es sich keinesfalls geschwisterlich an, mein Herz hämmerte gegen meine Brust, an der Nami immer noch schluchzte. Langsam erwachte ich aus meiner Starre und legte meine rechte Hand auf ihren Kopf. Sie blickte langsam auf, ihr von Tränen überströmtes Gesicht, wirkte leicht überrascht, auch wenn ihr Anblick mich fertig machte, versuchte ich aufmunternd zu lächeln. Sie machte einen Schritt von mir fort und wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht, sofort vermisste ich ihre Nähe.
„Es tut mir leid.", wiederholte sie meine Worte. Ich schüttelte den Kopf. „Das ist nicht deine Schuld.", erklärte ich. Sie drehte sich wieder um und setzte sich an den See. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte, wollte sie mich bei sich haben oder nicht? Sie brauchte vermutlich ihre Ruhe. Langsam drehte ich mich um und setzte dazu an, zu verschwinden, als sie plötzlich sagte: „Bitte geh nicht." Ihre Stimme war so anders als sonst, keine Freude schwang darin mit, nur tiefer ernst. Ich setzte mich neben sie, gemeinsam starrten wir in die Ferne, vor uns der klare See. Diese Nami, die so ernst und verletzt war, machte mir Angst, dass konnte doch nicht nur von meinen blöden Worten die ich zu ihr gesagt hatte kommen, oder?
„Yukine, fragst du dich auch manchmal, wer du wohl vor deinem Tod warst?", sie sah mich nicht an, als sie diese Frage stellte.
Ich dachte eine Weile darüber nach. „Natürlich interessiert es mich, wer ich früher mal war, aber das ist doch Vergangenheit und man sollte doch eher in die Zukunft blicken, als an der Vergangenheit zu hängen."
Sie sah mich wieder an. Ich konnte in ihrem Blick keine Gefühlsregung erkennen, sie wirkte monoton.
„Du hast vielleicht recht ... dennoch wüsste ich gerne, ob ich Familie hatte, ob ich den gleichen Charakter wie jetzt hatte. Ob ich beerdigt wurde ... hatten Leute an meinem Grad gestanden und um mich geweint? Oder war vielleicht gar keiner gekommen ..." Ihre Mimik wurde trauriger. Ich spürte Wut in mir aufkochen. Wie konnte sie so etwas sagen! Ich ergriff aus reinem Reflex ihre Hand, vor Schreck sah sie mir direkt in meine Augen und ich erwiderte mutig ihren Blick. „Das ist völliger Unsinn! Natürlich haben Leute an deinem Grab gestanden und um dich geweint, hätte ich dich vor meinem Tod schon gekannt, wäre ich jeden Tag zu deinem Grab gegangen, hätte es gepflegt und getrauert!" Nami wirkte leicht geschockt, dann wurde ihr Gesichtsausdruck endlich wieder warm und ein kleines Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Das ist nett von dir Yukine, aber ich möchte nicht, dass du meinetwegen traurig bist."
Ich spürte wie meine Wangen glühten, das Feuer loderte so heftig in mir.
Sollte ich ihr sagen, was ich für sie empfand? Würde sie dasselbe empfinden? Oder würde das nur unsere Freundschaft gefährden? Ich wollte nicht, dass unsere Freundschaft daran zerbrach, also lies ich es.

··· ☾ ···

Yukine interessierte nicht, wer er früher einmal war ... war das bei allen Shinkis so? War ich die einzige, die neugierig war?
Ich würde alles geben, um mehr zu erfahren.
Yukine und ich saßen noch eine ganze Weile am See und schwiegen. Wir hatten uns nicht viel zu sagen, dass es uns beiden leid tat, wussten wir bereits. Ich blickte ihn an, musterte ihn von oben bis unten. Sein blondes Haar fiel ihm in seine orangenen Augen. Wieso hatte er mich damals vor diesem Ayakashi gerettet? Ich war doch nur eine Fremde. Er hatte sich mit mir beschäftigt und mir geholfen. Yukine war alles, was mir wichtig war. Ich stand entschlossen auf. Yukine sah zu mir hoch. „Komm, wir gehen zurück zu Yato." Ich lächelte ihn an und reichte ihm die Hand. Ich wünschte, ich könnte all meine negativen Gedanken einfach so verbannen, doch das war mir einfach nicht möglich. Nach außen hin, konnte ich positiv und glücklich wirken, doch innerlich war ich zerbrochen. Fast genauso, wie die Frau in dem teuren Laden, die von einem Ayakashi besessen war. Ich erschrak bei dem Gedanken.
Yukine nickte, nahm meine Hand an und zog sich daran hoch, danach lies er sie nicht mehr los. Ich wurde nervös und erinnerte mich an Hiiros Worte.
„Hat er es dir nicht gesagt? Bist du dir seiner Gefühle dir gegenüber, noch gar nicht bewusst geworden?"
Unsinn, Yukine würde niemals solche Gefühle für mich empfinden, schließlich bereitete ich ihm nur Ärger und selbst wenn ... Hiiro hatte recht, Shinkis durften sich nicht lieben. Ich wollte keinesfalls, dass Yato verletzt wurde.
Der Gedanke, dass ich nicht lieben durfte, deprimierte mich noch mehr. Diese Nora war so unfair, sie sprach einem die eiskalte Wahrheit mitten ins Gesicht. Ich senkte meinen Kopf so, dass meine Haare mir in mein Gesicht fielen und mein von Wut und Trauer verzehrtes Gesicht bedeckten. Langsam, entglitt ich dem lockeren Griff seiner Hände. Wir blieben vor Kofukus Haus stehen.
„Yato!", schrie Yukine, so laut er nur konnte. „Yato, wir haben uns vertragen und wollen nur noch schlafen, lass uns endlich herein!" Wir warteten und horchten in die Stille, dann sah ich vom Fenster des Dachbodens heraus Umrisse einer Gestalt, die auf uns herabblickte. Es dauerte einige Sekunden, dann drehte sie sich um und verschwand. Wenige Zeit später, öffnete sich die Haustür einen Spalt, ehe sie erneut ins Schloss fallen konnte, trat Yukine sie offen und ging voller Wut auf den Gott im Trainingsanzug los. „Was hast du dir dabei Gedacht, du stinkende Jogginghose? Wir hätten dort draußen erfrieren – oder von Ayakashi gefressen werden können, was hättest du dann gemacht? Vermutlich diese Nora benutzt nicht wahr? Na warte Yato, das werde ich mir merken!" Yato stand da, während Yukine weiter auf ihn ein schimpfte, jedoch würdigte er ihn keines Blickes, seine eisblauen Augen waren allein auf mich gerichtet. Ich fühlte mich unwohl in meiner Haut, ich hatte das Gefühl, etwas falsches getan zu haben. Bevor ich mich noch vor ihm rechtfertigen musste, schlüpfte ich an den beiden vorbei und stahl mich schnell die Treppe zum Dachboden hinauf. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf und schluchzte. Wer war Yukine für mich? Yukine war die Person für mich, mit der meine eigentlichen Erinnerungen anfingen, die Person für die ich alles tun würde, die Person für dich ich sterben würde. Yukine war für mich die Person, die ich liebte. Lieben, das war mir nicht gestattet, dennoch konnte ich mich nicht dagegen wehren. So etwas wie Liebe, hatte ich noch nie zuvor verspürt, deswegen hatte mir dieses Gefühl am Anfang so viel Angst bereitet, doch eigentlich war sie unglaublich schön und ich war froh, das ich sie zumindest einmal erleben durfte. Ich seufzte. Ob Yukine meine Gefühle erwiderte? Es wäre doch besser, wenn das eingleisig blieb, wenn ich mich einfach damit empfinden würde, dass wir nur gute Freunde waren.
Von unten hörte ich Yukine noch mit Yato streiten, dumpf vernahm man ihre Stimmen bis nach oben. Die Tränen liefen meine Wangen herunter. Es war alles so unfair! Ich hielt mir die Ohren zu und hoffte, dass damit auch meine Gedanken aufhörten, sich um diesen bestimmten Punkt zu drehen, doch das funktionierte nicht.
Warum musste ich allen um mich herum Schaden zufügen?
Mit dieser Frage im Hinterkopf, fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Ich stand wieder am See, vor mir auf dem Wasser, stand Hiiro, sie lächelte und streckte ihre Hand nach mir aus. Ich trug nicht meine übliche Kleidung, sondern einen rosafarbenen Kimono, so ähnlich wie der von ihr.
Ich zögerte kurz, wollte ich ihre Hand ergreifen? Sie schien meine Zweifel bemerkt zu haben und ihr Blick wurde warm. „Namine, wieso überlegst du denn noch, wenn du die Antwort doch schon kennst?" Ich blickte sie nachdenklich an. Sie hatte recht, ich ergriff ihre Hand und sie zog mich mit, in die Tiefen des schwarzen Sees.
Ich schreckte hoch und atmete schnell ein und aus. Was war das nur für ein schrecklicher Traum? Ich blinzelte gegen das Sonnenlicht, welches durch das Fenster, mir direkt ins Gesicht fiel.
Eine junger Mann stand vor dem Fenster, das Sonnenlicht war so hell, dass ich auf den ersten Blick nur seine Silhouette erkannte, auf den zweiten Blick, wurde mir klar, dass es Yato war. Er sah aus dem Fenster, auf das Eingangstor zu Kofuku Ebisus Haus. Ich sah neben mich. Das Bett von Yukine war ungemach und verlassen. „Wo ist er?", fragte ich meinen Gott. Dieser drehte sich mit dem Kopf zu mir um und sah mich ernst an. „Er ist mit Hiyori zur Schule." Ich musste lächeln bei dem Gedanken, dass sah Yukine ähnlich. Er war so wissbegierig.
„Namine, wir müssen reden." Yatos ernste Stimme machte mir Angst, in letzter Zeit war er viel zu oft so ernst. Ich nickte entschlossen, immerhin hatte ich auch Fragen an ihn.
„Yato, was ist eigentlich ein Gottesgeheimnis?", fragte ich geradeheraus, es brachte nichts, drumherum zu reden. Er wirkte kurz überrascht, dann fasste er sich wieder und machte einen Schritt auf mich zu. Ich stand hastig auf, ich wollte mich nicht aus dem sitzen heraus mit ihm unterhalten.
„Namine, ich will nicht, dass irgendetwas was wir jetzt besprechen zu Yukine durchdringt, dass würde ihm nur Schaden." Ich nickte, er konnte mir vertrauen.
„Ein Gottesgeheimnis, ist der wahre Name eines Shinkis.", Yato legte eine kurze Pause ein und ich versuchte das zu verstehen. „Wenn ein Gott eine reine Seele zu seinem Shinki macht, fließen alle Erinnerung dieses Shinki, die es vor seinem Tod hatte, in den Gott hinein. Es ist nur logisch, dass ein Shinki etwas über seine Vergangenheit und seinen Tod erfahren will, aber sobald der Gott dieses Geheimnis Preis gibt und dem Shinki davon erzählt, verschwindet es. Für immer."
Ich versuchte die Wörter, die er mir gesagt hatte, zu verarbeiten. Und mit einem Mal war mir klar, was Hiiro mir die ganze Zeit versucht hatte zu sagen. Shinkis durften sich nicht lieben, ich liebte Yukine und wenn Yukine mich auch liebte, so wie Hiiro es erzählt hatte, dann musste ich verschwinden. Wenn ich bleiben würde, würden wir Yato stechen und umbringen. Jetzt machte die Frage, die sie mir gestellte hatte auch Sinn: Wie weit würde ich gehen, um mehr über mein früheres Leben zu erfahren? Mit anderen Worten: Würde ich für diese Information sterben?
„Namine, ich weiß längst davon, was du für Yukine empfindest, vermutlich schon länger als du es überhaupt weißt, doch das ist nicht das Hauptproblem.", fuhr Yato fort und ich musste mich konzentrieren, nicht die Fassung zu verlieren, sondern ihm weiter ruhig zuzuhören. „Das Hauptproblem sind die Stiche, die du mir zufügst. Nicht nur die Liebe, die du Yukine gegenüber empfindest, sondern dies auch noch gepaart mit deinem geringen Selbstvertrauen. Stehts zweifelst du an dir, weinst und bist voll von Ängsten, Trauer und Wut." Yato drehte sich von mir weg und lies seinen zerrissenen alten Schal fallen. Ich hatte freie Sicht auf seinen Nacken, wo ich das Yasumi sah, dass sich in seinen Körper gefressen hatte.
„Das warst du."
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Vielen Dank für's lesen ♥️
1983 Wörter
Meinung ?🤗
Fortsetzung folgt ...😘

Yukine x OcWo Geschichten leben. Entdecke jetzt