Kapitel 1

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Es war sechs Uhr abends und Lya war zu spät. Schnell hetzte sie hinauf in die Küche, wo andere Diener sich schon um das Abendessen kümmerten. Es waren allesamt Menschen, die mit dieser Arbeit ihre Familien ernährten. Lya eilte in die Abstellkammer neben der Küche und holte sich das große goldene Tablett. Es war schon ohne Essen schwer. Doch nun wo sie es mit Schüsseln belud, wo die Kartoffeln, die Soße und der Braten drin waren, wurde es fast zu schwer zum Tragen.

"Danke Ritha", sagte Lya zu der Köchin und schenkte ihr ein angestrengtes Lächeln.

Sie tätschelte Lya die Schulter.

"Wenn ich nicht schon zu alt dafür wäre, würde ich das Tablett selbst tragen."

"Mir macht das nichts aus Ritha", versicherte Lya der Köchin und trat schnell aus der Küche in den Gang, bevor sie sich noch mehr verspätete.

Ritha sah dem jungen Mädchen kopfschüttelnd hinterher. Es war von einem doch eher ängstlichen Kind zu einer hilfsbereiten jungen Frau geworden.
Lya selbst fühlte sich oft noch wie das hilflose Waisenkind, das vor die Tore der Burg gelegt worden war. Sie beschleunigte ihre Schritte etwas und wäre fast mit einem Wolfsmenschen zusammen gelaufen.

"Tut mir leid Herr. Ich habe Sie nicht gesehen", entschuldigte sie sich und trat schnell zur Seite, um ihn vorbei zu lassen.

"Warum sind deine Haare nicht zurück gebunden?", kam die schroffe Antwort.

"Tyr"

Erfreut sah Lya auf. Seine dunklen Augen blickten sie an. Er sah genauso aus wie die anderen Wolfsmenschen. Breite Schultern, dunkle Kleidung und harte Gesichtszüge. Aber sein Herz war viel gütiger. Er nahm ihr das schwere Tablett aus der Hand. Schnell kramte sie in der Tasche ihres Gewandes nach einem Haarband. Sie knotete sich die Haare zu einem schlichten Dutt und nahm Tyr wieder das Tablett ab.

"Vielen Dank"

Sie hatte in der Hektik vergessen sich die Haare vorschriftsgemäß hoch zu stecken.

"Bist du auch auf dem Weg zum Abendmahl?", fragte sie ihn.

Er ging neben ihr. Verlangsamte seine Schritte, um neben ihr laufen zu können. Er schüttelte den Kopf.

"Ich hab jetzt Wachdienst", war seine knappe Antwort.

"Oh dann bring ich dir nachher noch etwas vom Abendmahl vorbei", bot Lya ihm an.

"Nicht nötig, Lya. Ich hol mir nach meiner Schicht noch etwas."

"Na gut, kann ich trotzdem zu dir kommen?", fragte Lya und sah ihn bittend an.

Tyr sah in ihre leuchtend blauen Augen und bedauerte seine nächsten Worte.

"Du solltest lieber schlafen gehen. Schließlich sind die Tage für dich lang."

Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern verschwand im nächsten Gang. Lya sah ihm traurig hinterher. Sie wusste, dass ihre Freundschaft immer wieder auf eine harte Probe gestellt wurde. Besonders Tyrs Vater versuchte immer wieder seinen Umgang mit ihr zu verhindern. Tyr war zerrissen zwischen der Loyalität gegenüber seinem Volk und der Freundschaft mit ihr. Aber darüber konnte Lya gerade nicht nachdenken. Sie war an den großen Flügeltüren angekommen, welche zum Speisezimmer führten. Vorsichtig drückte sie die Klinke nach unten und schob die Tür auf. Lärm schlug ihr entgegen. Sie betrat den Saal und schob sich durch die Tische bis sie am Haupttisch angekommen war. Dort speiste nur das Alphapaar, der Heerführer und seine Familie. Das Alphapaar hatte noch keine Kinder. Deshalb waren die Plätze um sie herum frei. Der Herrführer saß ihnen gegenüber und beobachtete Lya als sie an den Tisch trat. Er war nicht nur für die Verteidigung der Burg zuständig, sondern leitete auch die persönliche Leibgarde für das Alphapaar. Obwohl Wolfsmenschen sowieso hundertmal tödlicher waren als Menschen. Lya schluckte und versuchte sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Aber sie spürte wie der Blick des Herrführers sich in ihren Nacken bohrte. Er sah Tyr unglaublich ähnlich. Seine dunklen Haare bekamen schon die ersten grauen Strähnen, aber seine Kraft blieb ungebrochen. Lya trat zuerst vor das Alphapaar und stellte die Schüsseln vor sie ab.

Spiel der Wölfe Tyr & LyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt