Kapitel 2

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Lya goß gerade den Tee in Lady Ylvas Tasse als Geschrei und Tumult sie aufsehen ließ. Die schweren Flügeltüren wurden aufgestoßen und ein Trupp Wolfsmenschen kam herein. In ihrer Mitte hatten sie einen kleinen Jungen, der schrie und sich aus dem festen Griff seiner Bewacher befreien wollte. Lord Amon erhob sich.

"Was soll das?"

Balan trat vor. Er stand ziemlich weit oben in der Hierarchie der Wölfe. Lya hatte ihn mehrmals beobachtete, wie er unnötig grausame Strafen ausgeführt hatte. Sie ging ihm so weit es möglich war aus dem Weg. Jetzt sah sie in das Gesicht des Jungen und fühlte praktisch die Angst und Verzweiflung von ihm. Eine flüchtige Berührung an ihrem Arm ließ sie aufsehen. Tyr sah sie mit ernstem Gesicht an und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Lya presste ihre zitternden Lippen zusammen und nickte. Sie hatte verstanden. Sie würde sich nichts anmerken lassen. Tyr wandte sich wieder auf seinem Stuhl um und sah zu Balan. Lya spürte einen Blick auf sich und sah, dass Alastor, Tyrs Vater ihren Blickaustausch bemerkt hatte. Sein drohender Blick sagte deutlich, was er davon hielt. Lya senkte den Blick und hörte zu was Balan sagte.

"Es wäre wichtig diese Angelegenheit in privaterem Rahmen zu besprechen."

Lord Amon hatte die versteckte Botschaft wohl verstanden.

"Alle Menschen raus."

Lya stellte ihre Teekanne ab und verbarg ihre zitternden Hände als sie aus dem Speisezimmer ging. Was konnten das für Informationen sein, welche die Menschen nicht wissen sollten? Lya schob die Überlegung beiseite. Da sie nicht wusste wie lange die Besprechung gehen würde, schnappte sie sich den Wäschekorb und ging nach draußen. Sie hing die Wäsche im hinteren Teil des Hofes auf. Eine raufende Schar Kinder näherte sich ihr. Zögernd beobachtete Lya sie. Wenn sie noch näher kamen, würde die Wäsche runter gerissen werden. Als sie praktisch vor ihre Füße rollten, räusperte sie sich und hockte sich hin. Die Wolfskinder ignorierten sie erst. Als sie dann gegen ihr Bein stießen, hielten sie inne und sahen sie an.

"Könntet ihr vielleicht beim Spielen aufpassen nicht in die Nähe der Wäsche zu kommen? Sie soll nämlich sauber bleiben."

Lya sah sich um.

"Ist es nicht viel schöner im Obstgarten zu spielen als hier auf dem Hof?", versuchte Lya die Kinder zu überzeugen.

Eins der Wolfskinder trat vor und sah sie abschätzend an.

"Mein Vater sagt, wir müssen uns vom Personal nichts sagen lassen. Du bist nur ein Mensch. Du kannst uns nicht verbieten hier zu spielen."

Lya stand bei den harten Worten auf.

"Stimmt, kann ich nicht. Tut mir leid."

Ein Knurren ertönte. Lya sah erschrocken auf. Tyr stand hinter den Wolfskindern, die sich ebenfalls erschrocken umdrehten und einen Schritt zurück traten.

"Ihr entschuldigt euch sofort. Es ist nämlich auch eure Wäsche, die dort hängt. Höre ich noch einmal so einen Umgangston gegenüber Lya, bin ich nicht mehr so freundlich."

Hart und unnachgiebig sah Tyr die Kinder an bis sie nacheinander den Blick senkten.

"Ich höre."

Sein Knurren war so bedrohlich, dass nicht einmal der mutige Wolfsjunge widersprach. Steif drehte er sich zu Lya um.

"Entschuldigung"

Seinem leisen Gemurmel schloss sich der Rest an. Lya nickte nur mit trockenem Hals.

"Verschwindet", brummte Tyr.

Sofort rannten die Kinder davon. Lya nahm schweigend den leeren Wäschekorb und sah Tyr an.

"Was sollte das, Tyr?"

Seine Augen verengten sich bei ihrer anklagenden Frage.

"Wenn sie ihren Eltern erzählen, dass du sie bedroht hast, kannst du in ernste Schwierigkeiten geraten."

"Sie haben dich mit ihren Worten verletzt. Ich werde mich nicht rechtfertigen, weil ich sie zurecht gewiesen habe."

Lya trat näher an ihn heran.

"Tyr, sie wissen doch gar nicht anders mit Menschen umzugehen. Ihre Eltern leben ihnen das doch vor."

Tyrs Miene blieb bei ihren Worten ungerührt.

"Sie sind alt genug selbst ihren Kopf anzuschalten", hielt er dagegen.

Lya seufzte und ließ das Thema fallen.

"Worum ging es in der Versammlung?", fragte sie.

"Das darf ich dir nicht sagen", antwortete Tyr.

Lya nickte verständnisvoll.

"Was ist mit dem Jungen?"

Sie setzte sich in Bewegung, denn sie wollte nicht beim Reden erwischt werden. Als Tyr keine Antwort gab, warf sie einen kurzen Blick zu ihm. Sein Blick streifte sie ebenfalls kurz. Er würde nichts verraten, das hatte Lya gemerkt.

"Passt du wenigstens etwas auf ihn auf?", bat Lya ihn.

Tyrs Widerwillen regte sich. Seine oberste Priorität war Lya. Wenn er sich auch noch auf den Jungen konzentrierte, konnte er nicht immer ein Auge auf sie haben. Es war jetzt schon schwierig. Aber weil Lya ihn darum bat, nickte er schließlich. Als sie die Burg betraten, rief ihn sein Vater zu sich, der mit Balan in ein Gespräch vertieft war. Lya lächelte ihn noch einmal an und verschwand dann in Richtung Waschkammer. Tyr ging zu seinem Vater und Balan.

"Tyr, es gibt den offiziellen Befehl keinen Menschen zu dem Jungen zu lassen. Vor allem nicht dieses Mädchen, Lya."

Sein Vater sah ihn an.

"Kann ich dir vertrauen, wenn ich dir den Befehl gebe sie von ihm fernzuhalten?"

"Wer bringt dem Jungen Essen?", fragte Tyr ohne auf die Worte seines Vaters einzugehen.

"Der jeweils Dienst habende Wolfsmensch."

Tyr nickte und wollte sich abwenden doch sein Vater packte ihn hart am Arm. Tyr spannte sich an. Er wollte nicht gegen seinen Vater kämpfen, aber er würde es tun, wenn es sein musste.

"Ich hoffe, du nimmst das ernst, Tyr. Wenn sie bei dem Jungen erwischt wird, wird sie bestraft."

Tyr gefiel überhaupt nicht, dass Balan bei diesen Worten anfing zu lächeln.

"Freut mich, dass du so um ihr Wohlergehen besorgt bist", knurrte er, "ich werde nicht zulassen, dass sie in irgendeiner Art in Gefahr gerät."

Sein Vater starrte ihn an. Tyr starrte zurück. Seine Klauen fuhren schon aus, da ließ sein Vater ihn los.

"Dann verstehen wir uns."

Sein Vater wandte sich ab. Tyr drehte sich um und verschwand.

"Das Mädchen macht ihn schwach", sagte Balan zu Alastor.

Alastor antwortete darauf nicht. Das Mädchen könnte die Schwäche seines Sohnes sein. Aber Alastor glaubte nicht daran. Aufgrund des Mädchens war sein Sohn stark. Das ließ ihn überlegen, wie er diese Stärke am besten nutzen konnte.

Spiel der Wölfe Tyr & LyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt