Kapitel 36

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,,Die Summe wo wir leben sind die Stunden, wo wir lieben." ~ Wilhelm Busch

Völlig neben der Spur starrte ich an die weiße Wand vor mir. Nichts anderes nahm ich um mich herum mehr wahr. Nichts anderes interessierte mich mehr. Mein Blick heftete an dieser Wand, ich konnte ihn nicht wegreißen. Zu schnell füllte sich die Wand in meinem inneren Auge durch Buchstaben die nach und nach Sätze wiedergaben, die mir den Atem gefrieren ließen.

Ich hatte zugesehen, nichts unternommen, mich nicht gewehrt, nicht eingegriffen. Ich habe es einfach geschehen lassen. Ich sah dabei zu wie er auf ihn einschlug, auf eine Person die noch nicht mal ganz bei sich war. Marek stand neben sich und wagte es trotzdem sich in so eine Situation zu begeben. Er hatte sich in Lebensgefahr gebracht.
Wieso? Wieso tat er mir das an? Wieso musste er das tun? Wieso musste er sich nur Prügeln? Lieber wäre ich unter Damians Gewalt nochmal durch die Hölle gegangen anstatt jetzt mit dem Gedanken zu leben, dass Marek wegen ihm was zugestoßen sein könnte. Lieber wäre ich für ihn gestorben, als jetzt mit den Konsequenzen zu leben.
Wie sollte ich Leben wenn ich meine Liebe vielleicht auf dem Gewissen haben könnte? Wie sollte ich damit klar kommen, mit dem Gedanken, dass ich nie wieder in seine Augen sehen kann? Wie sollte ich den Menschen, die ich liebe, jemals wieder ins Gesicht sehen, wenn sie doch eine Mörderin vor sich zu stehen haben?

Es ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
In mir überschlug sich erneut alles. Ich hatte alles und doch so wenig, war repariert und wieder zerbrochen, war ein Engel und der Teufel. In mir loderten Zeiten die ausgelöscht schienen, aber jeden Tag zurückkamen. Ich dachte wir wären eins für immer und ewig. Für immer aneinander gebunden doch niemals gefesselt. Atemlos aber trotzdem nicht von Zyanose befallen. Eigentlich schon tot aber doch noch am Leben. Die Frage war: Was war ich und was war er?
Ein einfaches Leben ohne Liebe ohne Verstand, bin ich durch die Welt gerannt. Habe Schmerz und Kummer ertragen. Habe mit meiner Angst gelebt. Habe Menschen vergessen und doch niemals verlassen. Habe Menschen gehasst und lieben gelernt, bin mit ihnen ausgekommen, habe mich versteckt, verschantzt, unkenntlich gemacht. Ich war unsichtbar und doch sichtbar. Sichtbar für Menschen die mich nicht sehen wollten, Unsichtbar für die die mich sehen sollten. Allein und verlassen war ich nun. Hilflos wie ein Fisch auf dem Trockenen, ohne Wasser und ohne Lebensmut. Ich wollte nicht mehr, weil ich nicht mehr konnte. All das, was ich liebte war mir genommen worden und wenn es noch da war, dann nur noch auf absehbare Zeit.

Nun ging ich den Weg zu ihm. War ich überhaupt noch am Leben? War ich schon bei ihm? Stand ich neben mir war ich schon in den lauten Fluten versunken? Wo befand ich mich nun in meinem Leben? Hatte es gerade erst begonnen oder war es schon das Ende, bevor es überhaupt lebenswert gewesen war?

Nein, es konnte nicht mein Tod sein, oder doch, lag er gerade schon im Himmlesreich vor mir? War das hier schon surreal? Es war alles nur ein Traum stimmt's? Es konnte nicht wahr sein, dass seine goldenen, liebevollen Augen in meine sahen. Es konnte nicht möglich sein, dass ich gerade nur ihn wahrnahm. Wir waren eins aber doch alleine. Uns trennte zu viel, uns vereinte zu wenig.
Es konnte kein Traum sein so real wie sich meine Hand in seiner anfühlte, so geborgen und warm, so liebevoll? Es konnte unser Tod sein, denn diese Augen waren voller Glanz gefüllt, Sie waren engelsgleich. Wir waren uns so nah aber doch so fern. Wie er meine Hand fest in seiner hielt, mich nicht aus seinen Blicken bannen konnte.  Wie jeder Blick dem anderen gehörte. Konnte das wirklich noch echt sein? Wir waren alleine hier, der Raum gefüllt durch das Gefühl von Zugehörigkeit. Ich hatte ihn gefunden doch hatte er auch mich gefunden?

Es konnte nicht der Himmel sein, es war zu perfekt und auch wenn es vielleicht doch schon im Himmel war, würde ich hier nie wieder fort wollen. Sein Blick in meinen, mein Blick in seinen Augen. So innig, so  vertraut, so schön. Marek ließ mich Dinge fühlen die kein anderer auslöste. Er hielt nur meine Hand und sah mich nur an, aber dennoch war es magisch. Wir waren magisch, verzaubert vielleicht auch voneinander. Wir waren für immer zusammen, aber wie es in Zukunft sein würde, wussten nur die Sterne.

Eine Träne floss meine Wange herab, sein Blick folgte ihr. Mit ruhiger Hand strich er sie sachte weg. Nahm mich in den Arm, fuhr mir sanft durchs Haar, während ich seinen schnellen Herzschlag in meinem Ohr pulsieren hörte. Er lebte, also lebten wir beide. Es war echt, real, kein Traum. Wir waren im Krankenhaus und ich in seinen starken Armen. Er hielt mich fest, gab mir den Halt den ich vermisste. Ich war in Sicherheit wenn ich bei ihm war. Ich brauchte nur seine Arme um mich willkommen und wie Zuhause zu fühlen. Es musste nicht mehr sein, es reichte die Zeit die wir hatten. Der Moment in dem man weiß, dass man nicht alleine ist. Bei ihm war ich endlich angekommen. Die lange Reise war vorbei. Bei ihm hörte mein Herz auf schlagen doch seines hielt mich am Leben.
,,Du sollst doch nicht weinen, Barbie."
Ich hatte gar nicht mehr bemerkt, dass ich dies noch tat nur die sanften Berührungen die ich auf meiner Wange von ihm vernahm verrieten mir dass es so war. Ich war am weinen.

,,Sie mich an, Barbie. Bitte."
Er nahm mein Gesicht in beide Hände, während ich mich wieder von seiner Brust entfernte und den Klang seines Herzschlages in meinem Ohr verlor. Dafür sahen wir uns so intensiv an wie noch nie zuvor. Er war meine Heimat. Er war das worauf ich mein ganzes Leben gewartet hatte. Ich war seins, aber er nicht meins.
Sein Blick bohrte sich in meinen, wanderte immer wieder über mein Gesicht. Er musterte jeden Punkt, analysierte mich. Als seine Augen wieder meine traffen, war ich verloren in diesen liebevollen Augen die mehr Schutz boten als alles andere auf dieser Welt. Ich hätte so ewig sitzen können. Ich brauchte nichts anderes mehr doch er war es der den Blick zuerst unterbrach. Er sah herab, auf meine Lippen er betrachtete sie, sah zurück in meine Augen um dann wieder auf meine Lippen zu sehen. Vorsichtig berührte sein Daumen  meine Lippen, sanft strich er über sie. Ich verlor mich in der Berührung, verspürte sie ganz intensiv.
,,Ich kann das nicht mehr.", flüsterte er so leise das es wohl nicht für meine Ohren bestimmt war. Doch es blieb keine Zeit um zu rätseln, denn seine Hände waren das einzige was ich wahrnahm. So warm und überhaupt nicht rau. Ich war verschollen in dieser Situation ich war die Marionette im Spiel. Ich war ausgeliefert. Mein Blick konnte ich nicht mehr losreißen. Er gehörte ihm. Es kam mir so vor als ob seine Augen meinen immer näher kamen, als ob seine Lippen meinen immer näher kommen würden. Der heiße Atem wanderte schon in mein Gesicht. Instinktiv schlossen wir unsere Augen unsere Lippen nur noch Zentimeter von einander entfernt. Mein Atem traff auf seinen. Seine Nase berührte schon ganz langsam meine. Die Nähe, diese  Wärme. Ich begann innerlich zu kochen. Ich verlor mich komplett gab mich hin, doch plötzlich zog uns ein Knall auseinander. Mit weit aufgerissen Augen saßen wir wieder entfernt voneinander auf dem Bett jeglicher Kontakt vernichtet. Unser Blick auf die aufgerissene Tür gerichtet in der Noah verwirrte Blicke zwischen uns beide umher wurf. 

Fight for MyselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt