Du wirst mich ernst nehmen

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Seine Sicht

Gegen Mittag fuhr er zu ihrer Uni. Ihr Kurs ging bis 13 Uhr und dann holte sie sich jeden Tag einen Kaffee ein paar Straßen weiter.

Dort parkte er wie üblich und wartete auf sie. Er führte so lange ein geschäftliches Telefonat und tippte auf seinem Lenkrad herum. Seine größte Stärke war Geduld, aber heute war er unglaublich angespannt. Wenn nichts schief ging, gehörte sie schon morgen ihm.

Das wird der Beginn seines Lebens. Bis hier hin war es nur ein Vorspiel gewesen, der Prolog. Ab heute würde endlich das Wichtige beginnen, der Höhepunkt.

Auch wenn es für sie erst mal enden musste.

Er musste sie aus ihrem jetzigen Leben mit Uni, Freunden und Shootings reißen, damit sie Sein sein konnte. Sie gehörte ihm. Ihm allein. Kein anderer sollte sie sehen oder mit ihr sprechen, das hatte er viel zu lang geduldet. Niemand würde sie je wieder anfassen dürfen. Er allein musste ihre Welt sein oder die Eifersucht und Spannung in ihm würden ihn zerreißen.

Sie war seine Erlösung aus einem Leben voller Langeweile und sinnlosen Verpflichtungen. Sie gab ihm alles, was er brauchte nur mit ihrem schiefen Lächeln.

Ihre Seelen waren aus demselben Stoff. Er hatte Seelenverwandtschaft und Liebe immer für Märchen gehalten. Damit schliefen die Menschen besser, die sonst keine Ziele im Leben hatten. Dann hatte er sie gesehen und alles hatte sich verändert.

Wie sie diesen sexistischen Fotografen damals nur mit einem Blick zum Schweigen gebracht hatte. Die Leute hatten Angst vor ihr, wenn sie das wollte. Sie konnte alles erreichen. Naja. Jetzt konnte sie nur noch bei ihm sein, aber irgendwann würde sie sich damit abfinden müssen, es einsehen, dass sie füreinander bestimmt waren.

Wenn sie es nicht konnte, hatte er sein Leben lang eine wilde Tigerin zu beschützen und zu bändigen. Das war auch gut. Hauptsache sie war bei ihm. Mehr war nicht wichtig.

Er richtete sich auf. Da war sie. 

Sie trug ein weißes Shirt, zerrissene Jeans und ihre Boots. Über ihren Arm hing ihre Lederjacke. Das lange blonde Haar fiel in sanften Wellen bis zu ihrer schmalen Taille. Sie war so unglaublich schön und vollkommen. Ihre eisblauen Augen hatten immer diese gewisse Kälte, was ihm jedoch einen wohligen Schauer bescherte, der durch seinen ganzen Körper fuhr.

Von seinem Brief hatte sie sich wohl nicht beeindrucken lassen. Wie erwartet. Er konnte ihr mit Worten keine Angst machen. Es würde ein interessantes Projekt werden, ob er ihr überhaupt Angst machen konnte.

Vermutlich dachte sie, er würde leere Drohungen aussprechen, den Schwanz einziehen. Aber so war er nicht. Wenn er etwas sagte, meinte er es auch so. Wenn er etwas vorhatte, zog er es bis zum Ende durch. Sie würde noch lernen, ihn ernst zu nehmen.

Sie lief nicht in Richtung Bahn, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Er ließ sein Auto stehen und folgte ihr mit einigem Abstand.

Wie immer hatte sie Kopfhörer auf, hörte vermutlich Rock. Er hatte auch angefangen diese Musik zu hören, aber es war nicht ganz sein Geschmack. Allerdings hörte er allgemein nicht gerne Musik. Er mochte die Stille.

Nach einer Weile begrüßte sie zwei Männer. Es waren diese schwulen Fotografen Randall und Tom. Sie waren so etwas wie ihre besten Freunde, obwohl sie sie wohl nur nicht so langweilig wie andere Menschen fand. Zwischen Faulenzern und Blendern waren sie einfach die bessere Wahl. Er wusste, dass sie sich selbstständig machen wollten und das akzeptierte sie. Ja, das war wohl der höchste Kontakt den sie zu Menschen hatte. Akzeptanz.

Weiterhin folgte er ihr, bis er sich schließlich in ein Restaurant setzte, von dem er einen guten Blick auf diesen seltsamen Spielplatz hatte. Sie machten dort viele Fotos und sie zeigte viel Haut, wenn sie kopfüber hing. Diese Eifersucht. Niemand sollte sie so sehen mit freien Bauch, wo ihr Piercing in der Sonne glitzerte.

Zur Tarnung hatte er seinen Laptop eingeschaltet, aber er beantwortete nur halbherzig E-Mails. Er war zu sehr davon abgelenkt, wie sie dort für alle Welt sichtbar abgelichtet wurde.

Jetzt, wo er so nah dran war, sie zu sich zu holen wurde es tatsächlich immer schwerer sich zu beherrschen. Am liebsten würde er sie sich gleich jetzt schnappen und fortbringen, aber er hatte noch ein paar Stunden.

Irgendwann änderten sie ihr Motiv etwas ab. Sie setzte sich auf das Klettergerüst und zündete etwas an. Er hatte das Gefühl, dass es sein Brief war, aber er wusste es nicht. Doch es war irgendwie logisch.

Sie glaubte es ihm nicht, warum also behalten? Obwohl es auch die Idee der Männer gewesen sein könnte. Er wusste, dass sie ihnen von ihrem Stalker erzählt hatte, aber sie war nie zur Polizei gegangen, hatte nie ein großes Ding daraus gemacht.

Umso mehr würde sie die Wahrheit überraschen. Er bekam das Lächeln der Vorfreude nicht aus dem Gesicht.



So, das war mal die Sicht des Stalkers. Im nächsten Teil geht es mit der Entführung los. Seid gespannt darauf, was passieren wird.


Deine Freiheit ist MeinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt