Stunde um Stunde

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Kims Sicht

Kim hatte nicht erwartet, dass Liam so überreagiert, doch seit ihrer Aktion mit dem Magazin schlich er beinahe sorgenvoll um sie herum. 

Sie begann diese vorsichtige Art und den sanften Umgang mit ihr süß zu finden und das war gefährlich. Je länger sie zusammen waren und je länger, sie seine Stimme hörte, desto mehr bemerkte sie, wie sehr sie ihn vermisste, wenn er weg war. Noch war ihr klar, dass sie nicht wirklich ihn vermisste, sondern einfach den Kontakt zu Menschen. Sein gewünschter Effekt war bisher nicht aufgetreten und sie würde alles dafür tun, um nicht in diese Falle zu tappen. 

  Aus den etwa drei Stunden, die er mit ihr an einem Tag verbracht hatte, waren sehr viel mehr geworden. Fast den ganzen Tag war er nun bei ihr. Nur um zu kochen und für Anrufe verließ er den Raum und jedes Mal nahm er ihr für diese Zeit sowohl Feuerzeug als auch alle möglichen Gegenstände, an denen sie sich irgendwie verletzen konnte, weg. 

Auf der einen Seite hatte sie also bekommen, was sie wollte. Er ließ sie rauchen und eine Menge malen. Die Materialien, die Liam ihr zur Verfügung gestellt hatte, waren zahlreich und von verdammt guter Qualität. Irgendwie wusste er, welche Ölfarben sie am liebsten benutzte und selbst die Pinsel waren von ihrer üblichen Marke. Natürlich verriet er ihr nicht, woher er das wusste. 

Auf der anderen hatte sie ihn jetzt viel mehr um sich. 

  Liam redete dabei nicht viel, nicht über sich jedenfalls. Sie wusste seinen Namen und dass er diese Firma leitete, dass er sie seit einem Jahr stalkte und, dass er sich um Geld keine Sorgen machen musste. Dazu konnte er kochen und der Kaffee war grandios. Liam hatte keine Ahnung von Kunst, doch er versucht ihre Perspektive zu verstehen. Auch lenkte er sie nicht ab. Er arbeitete selber an seinem Laptop, während sie am Fenster saß und skizzierte oder auf dem Teppich mit den Pinseln hantierte.

Er gab nichts preis und genau das war wohl seine Absicht. So blieb sie interessiert an ihm. 

  Früher hatte sie geglaubt, er sei ein Schwätzer, jemand der nur redete, um seine eigene Stimme zu hören. Ein Mann, der nie etwas zu Stande brachte, weil er damit beschäftigt war sich selber die Wunden zu lecken und darauf zu achten, dass sein Ego von niemanden berührt wurde. 

Doch Liam war ganz anders: er war ein Macher. Normalerweise fuhr er um die Welt, war der Boss, der seinen Platz verdiente und seine Unterschrift war tatsächlich wichtig. Er brauchte die Bestätigung nicht, er brauchte nur den Freiraum, welchen Macht gab, um angemessen groß zu handeln. Für ihn war dieses Haus genauso ein Gefängnis wie für Kim, nur hatte er es selber noch nicht bemerkt in seinem Liebeswahn. Noch fühlte er sich wohl, noch reichte der Kick, den er von seiner Kontrolle über Kim erhielt. Eines Tages aber würde er bemerken, dass er einen Fehler gemacht hatte. Dass dieses Grundstück ihm nicht groß genug war, Kim sich nicht an seine Vorstellungen anpasste und er seine eigenen Lügen entdeckte, die er über die Liebe und Freiheiten sprach. 

Vielleicht würde er sie dann gehen lassen. Vielleicht auch nicht.

  Kim schaute nach draußen. Nach der Anzahl der Sonnenuntergänge zu urteilen war sie nun schon acht Tage hier. Über eine Woche nur mit ihm und ihren Gedanken, die sie tagsüber nicht zeigen konnte. 

Sicherlich war es klar, dass Kim darüber nachdachte zu fliehen, nach möglichen Auswegen und Lücken schaute. Sie waren beide intelligent und vorsichtig. Sie müsste ihn in einem schwachen Moment erwischen, doch bisher hatte es keinen gegeben. 

  Nur nachts konnte sie noch allein sein und in Ruhe die Sterne betrachten. Die waren hier viel heller als in der Stadt. Noch schöner wären sie nur ohne diese Scheibe zwischen ihr und dem Himmel. 

  Liam war vor etwa einer Stunde mit leeren Tellern und einem seltsamen Grinsen auf den hübschen Lippen gegangen, welches sie noch immer beunruhigte. Etwas führte er im Schilde und es würde ihr wohl eher weniger gefallen. 

Sie stand gerade im Bad und putze sich die Zähne als sie plötzlich das Geräusch des Schlüssels im Türschloss hörte. Das war neu. Er kam nie nach Sonnenuntergang zu ihr. 

Was hatte er bloß vor? 

Sie blieb im Bad und zog langsam die Zahnbürste vor und zurück, als Liam im Türrahmen erschien. Grinsend und voller Vorfreude. 

"Was?"

"Ich dachte mir, wir könnten einen weiteren Schritt in unserer Beziehung wagen."

Kim spülte sich den Mund aus und lehnte sich an den Waschtisch. "Beinhaltet dieser Schritt die Außenwelt?"

"Nein."

"Das gefällt mir nicht."

"Aber mir. Zieh dir was bequemes zum Schlafen an", meinte er und drehte sich schwungvoll um. 

Wie bitte? 

Sie lief ihm hinterher und beobachtete ihn, wie er begann sein Hemd aufzuknöpfen. Es landete auf dem Sessel und Kim hatte Sicht auf seine Muskeln, die wirklich nicht zu verachten waren. Warum musste er denn so unglaublich heiß sein? Der abgebrochene Student in der WG wäre ihr lieber gewesen.

"Was hast du vor?", fragte sie, als Liam auch seine Hose öffnete. 

"Ich will ins Bett, ich bin müde."

"Du hast sicher ein großartiges anderes Schlafzimmer mit einem gemütlichen Bett in dem du bisher auch geschlafen hast", erwiderte Kim und sah seine Hose fallen. 

"Ich bin es leid alleine zu schlafen." Die Ernsthaftigkeit in diesen Worten überraschte sie. Als würde er diesen Satz schon seit Jahren loswerden wollen, hatte aber erst jetzt die Chance gefunden ihn auszusprechen. Ausgerechnet zu ihr. 

Kim schaute zu dem Bett und dann wieder zu ihm. "Was ist da faul dran?"

"Keine Sorge, ich werde dich zu keinem Sex zwingen. Aber du bist hier bei mir und ich brauche einfach mehr Nähe."

Ihr Blick flog zu der Tür, die geschlossen war. Für diese brauchte man einen Schlüssel, sie müsste nur warten bis er schlief, ihn suchen und verschwinden. Das lag auf der Hand. Wo war also der Haken?

Als Liam hinter sich griff wurde es ihr klar. 

In seiner Hand glänzte ein Paar Handschellen, bereit um benutzt zu werden. 

Scheiße. 



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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 27, 2020 ⏰

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