Kims Sicht
Er öffnete die Tür und schloss sie sogleich wieder. Hinter ihm hatte sie nur kurz einen Teil des Flures und eine weitere Tür gesehen.
Bei sich hatte er ein Tablett, welches er auf der Kommode abstellte. Der Geruch von Kaffee verbreitete sich im Raum. Heute trug er ein dunkelblaues Shirt und eine einfache Jeans. Im Licht waren seine Haare etwas heller, eher haselnussbraun, aber die Augen leuchteten wie zuvor smaragdgrün. Sein rechter Arm war bis zum Ellenbogen tätowiert, aber mehr als Linien konnte sie nicht erkennen.
Sie schwieg und wartete ab, zog ihre Beine an und schaute zu ihm auf.
Er lächelte. "Guten Morgen, Liebste. Hast du irgendwelche Schmerzen?" Seine Stimme war genauso ruhig wie gestern. Er wirkte allgemein sehr gelassen und ... glücklich.
"Nein, alles super", meinte sie sarkastisch. Ihren Ton ignorierte er gekonnt.
"Ich habe dir Arme Ritter gemacht. Ich weiß, dass du sowas magst." Er fügte den zweiten Teil hinzu, um gleich klar zu machen, dass er einiges über sie wusste. "Möchtest du Kaffee oder lieber Orangensaft?"
Sie hob eine Augenbraue.
"Ok, Kaffee. Schon verstanden." Er reichte ihr die cremefarbene Tasse herüber und Kim nahm sie entgegen.
Sie vertraute darauf, dass er nichts hineingemischt hatte. Davon hatte er nichts, sein Ziel war erreicht. Kimberly nippte daran und musste gestehen, dass es wirklich guter Kaffee war. Sie veränderte ihre Position in den Schneidersitz und stützte die Tasse auf ihrem Knie ab.
"Jetzt bin ich also hier", fing sie an.
"Jetzt bist du hier", bestätigte er und setzte sich in den Sessel, ihr genau gegenüber. Er beugte sich dabei etwas vor.
"Wie heißt du?"
"Ich bin Liam."
Liam. Jetzt kannte sie nach so langer Zeit seinen Namen. Normalerweise verlor ja etwas an Bedeutung, wenn man den Namen kannte, aber es änderte sich nichts. Er löste sich auch nicht wie Rumpelstilzchen auf. Oder war er in Flammen aufgegangen?
Diese Spannung war noch immer da. Trotzdem wusste Kim nicht, ob sie von den Namen enttäuscht war oder nicht. Er war neutral, nicht besonderes aber auch nicht so häufig.
Sie trank noch einen Schluck Kaffee und betrachtete ihn weiter.
"Dann erzähle mal. Wie soll das jetzt hier ablaufen? Mache ich für dich jetzt die Zimmer sauber und koche dir dein Essen? Werde ich ein heißes Hausmädchen in Dessous?"
Er lachte auf und in seinen Augen glänzte Freude auf. "Nein, Liebste, dass musst du nicht. Obwohl die Idee mit den Dessous schon reizend ist." Das mit den Dessous war ein Witz, dass erkannte sie. Vermutlich fand Liam sie in allem schön, so wie er sie anstarrte. So schauten Männer ihre wahre große Liebe an. Sie hatte geglaubt, ihr Stalker hatte sich verrannt und merkte dann schnell, dass er sich getäuscht hatte, aber Liam war nicht so. Er war sich verdammt sicher. Und er war verdammt verliebt. Und verdammt gefährlich.
Verliebte Männer taten doch alles für die Liebe ihres Lebens oder?
Sie ging nicht auf ihre Gedanken ein. „Was soll ich dann machen?"
"Naja", er lehnte sich zurück und sein Blick flog neben sie zum Baummeer, "Zuerst einmal musst du dich an die Situation gewöhnen. Es wird nicht einfach für dich werden, wir sind hier draußen ganz allein, du und ich. Du bist kein Mensch, der gern so abgeschottet ist, aber so muss es sein." Seine Augen fanden den Weg wieder zu ihr zurück, voller Mitleid.
Er und sie. Sie und er. Kim war sich bewusst, dass das ein Problem war. Sie konnte nicht gut allein sein. Das war eine große Schwäche von ihr, die sie schon immer gehasst hatte. Aber ihr war einfach viel zu schnell langweilig.
"Warum muss es so sein?"
"Ich will dich für mich allein", war seine schlichte Antwort.
"Mmh", erwiderte sie dann, als nichts folgte. Verlustängste. Besitz. Macht. "Wurde dir in deiner Kindheit zu oft dein Teddy weggenommen?"
"Nein. Ich hatte immer alles, was ich wollte in vielfacher Ausführung. Meine Eltern waren reich und ich ihr einziges Kind. Das endet immer in Problemen." Er fuhr sich durch die kurzen Locken, schmunzelte dabei. „Wenn man alles bekommt, will man später nur das, was man nicht haben kann, außergewöhnliches und seltenes. Dann nimmt man es sich aber eben trotzdem. Geld regiert die Welt, was soll das schon für Konsequenzen haben?"
"Entführungen haben immer Konsequenzen."
"Mit der Konsequenz, dass du mich eine Weile hassen wirst, kann ich leben. Andere wird es nicht geben." Er sprach so seelenruhig, dass es sie langsam wütend machte, aber auf eine andere Weise hielt er sie damit in einem Zustand der Neugierde. Sie war schon immer so verdammt neugierig gewesen und sie wollte wissen, wohin das hier führte.
"Ich denke, da wird es mehr Konsequenzen geben." Gebrochene Finger oder noch mehr Brandwunden. "Wie spät ist es?"
Er zuckte mit den Schultern, auf seinen Lippen ein schiefes Schmunzeln. Das war echt heiß, musste sie gestehen. Liam wusste es ganz genau, er wollte es ihr nur nicht sagen. Anscheinend fing er mit den Psychospielchen bereits an und wollte, dass sie ihr Zeitgefühl verlor.
"Meine Freunde werden mich schon suchen. Ich würde niemals ohne ein Wort in der Vorlesung fehlen."
"Ja, werden sie. Aber was wollen sie machen?"
"Spätestens am Nachmittag hat einer meiner Freunde meinen Stalker erwähnt und sie werden zur Polizei gehen", meinte sie ruhig.
"Ach ja, die guten Helfer von nebenan. Du hast nie Anzeige gegen Unbekannt erstattest, bist nie da gewesen, wegen eines sogenannten Stalkers. Ohne handfeste Beweise wird das schwierig. Was sollen schon die verwirrten Aussagen von Tom und Randall bringen?"
Natürlich wusste Liam, dass Kim nie zur Polizei gegangen war. Natürlich wusste er von Randall und Tom. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht.
Sie stand auf und ging zu der Kommode herüber. Er verfolgte sie mit seinen Augen, blieb aber sitzen. Leicht hungrig zupfte sie den Toast auseinander und aß ein Stückchen.
"Ich habe alles aufgehoben. Die Briefe und Fotos, Geschenke. Irgendwas wird da schon dabei sein", meinte sie schulterzuckend.
Wortlos stand er auf und zog unter dem Bett eine Kiste hervor. Ihre Kiste. Aus ihrer Wohnung. In der sie alles gesammelt hatte.
"Meinst du das hier, zufälligerweise?"
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Deine Freiheit ist Mein
De TodoEr war sein Leben lang kalt und berechnend gewesen. Es hatte ihn nie gekümmert, wie die Leute um ihn herum lebten oder dachten. Bis er eines Tages diese junge Frau fand. Sie war wild, entschlossen und die Antwort auf Fragen, die er vorher nicht einm...