Das ist mein Mädchen

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Kims Sicht

Es war schon nach Mitternacht, als Kim sich von ihren Freunden trennte. Sie waren noch etwas essen gegangen, hatten sich die Fotos einmal angesehen. Beim Essen war die Diskussion über Vegan und Fleisch weiter gegangen und Kim hatte belustigt zugehört, war mal auf Toms und mal Randalls Seite, einfach, weil es ihr Spaß machte, während sie ihre Ramen aß.

Sie hörte diesmal keine Musik, ihr Akku war fast leer, sondern blätterte in ihrem Terminkalender und machte sich noch ein paar Notizen zur Uni. Dabei lief sie und wich den Menschen aus, die ihr entgegenkamen. Ihre Schrift war sogar im Laufen ganz komfortabel und im Laufen konnte sie auch besser denken, erinnerte sich an mehr. Schon als Kind war sie laufen oder joggen gegangen, wenn sie lernen wollte. Ihre Eltern hatten das nicht verstanden, verboten es ihr, damit sie zu Hause lernte und ließen es erst wieder zu, als sie merkten, dass ihre Noten tatsächlich schlechter wurden.

Kim klappte ihren Planer zu und verstaute ihn in ihrer Tasche. Sie war jetzt auf einer weniger belebten Straße und die Straßenlaternen wurden rarer. Es war warm, sie zog die Ärmel ihrer Jacke hoch und blies die verbrauchte Luft aus.

Ein Mann mit Hoodie und zerrissener Jeans lief ihr entgegen und sie schaute ihm hinterher. Er erinnerte sie an ihren Stalker, jedenfalls daran, wie sie ihn sich vorstellte. Ein freakiger Typ, der mit anderen Deppen in einer WG wohnte und nach seinem Job als Dealer oder wenigstens Kellner ein süßes Mädchen verfolgte, dass er sich nie trauen würde anzusprechen.

Zugegeben er schrieb wirklich gute Briefe, er konnte sich gut ausdrücken und sie mochte seinen Stil, aber sie glaubte nicht, dass da viel dahintersteckte. Man konnte sich heutzutage nahezu alles aneignen aus dem Internet und Büchern, dennoch hielt sie ihn für einen Feigling, einen schmächtigen Jungen, der sich verrannt hatte. Die Geschenke waren entweder geklaut oder er hatte lange dafür sparen müssen. Am Anfang hatte sie nicht geglaubt, dass er so lange durchhielt, aber jetzt war es schon ein Jahr und es war immer intensiver geworden. Doch nun hatte er seine Fähigkeiten überschritten. Er hatte viel zu viel Schiss um sie wirklich zu entführen.

Wo wollte er auch hin? In seine drei Zimmer Wohnung, die er sich mit abgebrochenen Studenten teilte? Waren die ebenfalls nicht ganz dicht, würden sie wohl nichts sagen, aber ein paar Mal gegen die Wand gehauen und schon war das ganze Haus alarmiert.

Müde massierte sie etwas ihren Nacken und bog um die Ecke zur Bushaltestelle. Sie bekam Lust auf eine Zigarette und holte die Schachtel heraus. Die letzte.

„Shit", murmelte sie und zündete sie an. Dann musste sie sich wohl nachher neue holen.

Sie lehnte sich an ein Ende des leeren Häuschens und schaute auf die Uhr. 15 Minuten bis ihr Bus kam. Er fuhr hier nicht oft lang und auch nicht viele benutzten ihn, deswegen stand sie hier fast immer allein. Natürlich hätte sie mit Randall und Tom nach Hause gehen können, aber warum? Sie glaubte nicht daran, dass etwas passierte, also wozu der riesige Umweg?

Nach der Hälfte der Zigarette kam ein junger Mann von links und setzte sich auf einen der Sitze. Sie sah kurz zu ihm herüber. Er hatte kurze braune Locken und echt verdammt grüne Augen, schien ziemlich groß und muskulös zu sein, er schaute gerade auf seine Uhr.

Weiter beachten tat sie ihn aber nicht, bis er sie mit tiefer Stimme ansprach: „Haben sie noch eine Zigarette für mich übrig?"

„Nein, tut mir leid. Das war meine letzte." Sie schaute erneut zu ihm und sah wie er lange ausatmete.

„Ach, verdammt. Naja, rauchen ist sowieso ungesund." Das sagte er nicht gerade mit viel Überzeugung.

Diese Augen waren echt grün, trug er Kontaktlinsen oder so? „Wollen sie einen Zug abhaben?"

Überrascht sah er zu ihr, dann stand er auf und nahm die Zigarette entgegen, die sie ihm hinhielt. Dabei berührten sich ihre Finger leicht und es war fast so als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen.

„Dankeschön." Er zog an der Zigarette und schloss dabei die Augen, was sie schmunzeln ließ. Wie ein Junkie, der unbedingt einen Zug gebraucht hatte.

„Kein Ding", sagte sie und betrachtete die leere Straße, an denen nur ein paar Autos geparkt waren.

„Das war ein indirekter Kuss", meinte er schließlich und reichte sie ihr wieder.

Sie lachte auf. „Haben sie zu viele Animes geguckt?"

„Nur ein paar, als ich noch jünger war. Wie ist es mit dir?..." Warum duzte er sie plötzlich? „...Kim?"

Sie verharrte in ihrer Bewegung und blies dann den Rauch durch die Nase aus. Sie drehte sich zu dem Fremden und schaute ihn schief an, betrachtete ihn genauer.

Er war wirklich heiß, bestimmt 20 vielleicht sogar 30 Zentimeter größer als sie, unter dem T-Shirt zeichneten sich leicht seine Muskeln ab. Die Klamotten waren teuer, nicht protzig mit Levis vorne drauf, aber hochqualitativ. Die Uhr war eine Hamilton und die Jacke aus echtem Leder. Kim schätzte ihn auf 25, er könnte aber auch etwas älter sein.

"Mmh. Ich habe mich dir ganz anders vorgestellt", meinte sie schließlich.

„Das dachte ich mir. Du hast mich nicht mal ernst genommen. Ich sage, ich komme dich holen und du stehst dennoch ganz allein an einer Haltestelle, im Dunkeln, in der Nacht." Er hatte eine tiefe verführerische Stimme, wie Bösewichte sie in Filmen hatten.

„Ich traue es dir eben nicht zu. Nur, weil man gute Briefe schreiben kann, heißt das nicht, dass man ein guter Kidnapper ist."

„Sowas habe ich auch noch nie gemacht. Werden wir sehen, wie ich mich mache", meinte er.

Kimberly spürte Überraschung und etwas Anerkennung, keine Angst. Sie war eigentlich wirklich nur verwirrt, dass er sich ihr tatsächlich zeigte und ganz anders war, als sie geglaubt hatte. Doch richtig glauben, dass er es tat, konnte sie irgendwie immer noch nicht. Hier konnte jederzeit einer um die Ecke kommen. Wollte er so ein großes Risiko eingehen?

Er bewegte sich, stellte sich vor sie und reichte ihr die Hand. „Also, kommst du mit mir oder muss ich härter sein?"

Er wollte es also wirklich durchziehen. Das war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie jemanden falsch eingeschätzt hatte und dafür verdiente er ihren Respekt. Mehr aber auch nicht.

„Was denkst du denn?", fragte sie.

„Das ist mein Mädchen."

„Ich bin nicht dein Mädchen."

Er grinste nur, sie sahen sich an, dann bewegten sich beide zeitgleich. Es ging ziemlich schnell, er war stark und sie zu zierlich um wirklich was auszurichten. Sie drückte die Zigarette auf seinem Handrücken aus, aber es störte ihn wohl nicht. Er hob sie mit einem Arm an, sodass sie in der Luft hing. Sie versuchte seinen Arm von ihrer Hüfte zu bekommen, trat nach ihm und schaute sich um, aber tatsächlich kam niemand vorbei.

„Lass mich los, du Arschloch", schrie sie. Nach Hilfe würde sie nie schreien, da machte ihr ihr Stolz einen Strich durch die Rechnung.

„Niemals wieder, Liebste." Sie trat ihm gerade gegens Schienbein und versuchte sich am Metall des Häuschens festzuhalten, als sie einen Stich in ihrem Nacken spürte. Sofort wurde sie schläfrig.

„Was war das?"

„Das lässt dich für eine Weile schlafen. Keine Sorge, das ist ungefährlich." Er hob ihre Tasche auf, die zu Boden gefallen war und sie ganz auf seine Arme. Sie fühlte sich wie eine leblose Puppe, versuchte krampfhaft die Augen aufzuhalten.

„Bastard", murmelte sie und wollte seine Hände von ihr wegbekommen, aber vergeblich. Er trug sie zu einem der Autos auf der anderen Straßenseite, die sie vorhin noch angesehen hatte. Sie erkannte nicht mehr, welcher es war, ihre Augen fielen unkontrolliert zu. Sie hörte ein Piepen und wie eine Tür geöffnet wurde.

Er legte sie ins Auto, ob auf die Rückbank oder in den Kofferraum bekam sie nicht mehr mit, und strich ihre Haare zärtlich aus der Stirn. Seine Hand lag heiß an ihrer Wange, das war das letzte was sie spürte, bevor sie ihren Körper nicht mehr bewegen konnte und einfach einschlief.



So, jetzt ist es endlich passiert. Wo sie landen wird und wie es mit den beiden weiter geht, seht ihr im nächsten Kapitel.

Deine Freiheit ist MeinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt