Geschenke

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Kims Sicht

Sie war wütend und lief immer wieder dieselbe Strecke. Am Bett vorbei, ins Bad und drehte dort eine Runde, dann ins Kleiderzimmer berührte dabei einige der Kleider, ging wieder zurück, erneut am Bett vorbei, kam am Fenster an und starrte hinaus auf die Bäume, die sie noch wütender machten. 

Am liebsten würde sie auf Liam warten und ihm die Nase brechen, aber sie konnte ihm vermutlich ohne Zigarette nicht mal eine kleine Wunde verpassen. Er war so voller Macht, körperlicher Macht, und sie besaß nur die des Geistes. 

Kimberly war klein und zierlich, zwar sportlich, aber eher auf Schnelligkeit ausgelegt. Kraft hatte sie nicht viel. Wenn sie die nicht hatte, musste sie es anders angehen. Aber wie? Liam war sehr vorsichtig und klug. Er wird alles berücksichtigt haben, was ihr einfallen könnte. Er plante das lange, sie war erst ein paar Stunden hier. 

Wie lange wohl genau? 

Dass sie nicht wusste, wie spät es ist, machte sie jetzt schon verrückt. Sie versuchte ruhig zu atmen, doch ohne Ablenkung war das schwer. 

Sie hatte die Schränke bereits abgesucht, aber außer Klamotten gab es nichts. Keine Bücher, keine Musik, keine Papiere, keine einzige Ablenkung. 

Er wollte sie tatsächlich verrückt machen. 

Bei ihrer gefühlt hundertsten Runde, fiel ihr Blick auf die Kiste, die er aus ihrer Wohnung gestohlen hatte. 

Eigentlich hatte sie sie ignorieren wollen, aber sie musste etwas machen. 

Im Schneidersitz setzte sie sich aufs Bett und hob die Holzkiste vor sich. 

Hier drin hatte sie alles gesammelt, was sie je von ihm bekommen hatte. Die Briefe, die Fotos, die Geschenke und Blumen. Einige von ihnen hatte sie getrocknet und in eine kleine Box getan. 

Wie sah diese Kiste für Liam aus? Wie eine Liebeserklärung? Hier lag einfach alles drin. Es musste doch so wirken, als wolle sie alles festhalten, da sie ihn nicht gehabt hatte. Ihre Liam-Kiste mit allen Andenken. 

Warum hatte sie es eigentlich gesammelt? Sie war sich selber nicht mehr so sicher. Vielleicht war es für die Polizei gewesen, damit sie einen Anhaltspunkt hatte, wenn doch mal etwas passierte. Aber sie war nicht wirklich davon ausgegangen, dass etwas geschah. Die Polizei half sowieso erst, wenn es zu spät war. Wenn überhaupt. Also nein dazu. 

Warum dann?

Weil sie es aufregend gefunden hatte. Kim hatte es faszinierend gefunden, wie er schrieb und was er schrieb. Wie ein Künstler aus einem vergangenen Jahrhundert. Er war anders gewesen und anders gab es kaum. Sie sammelte es, weil es selten war, eine Rarität. Ein Geist der ihrem glich. Doch nun wusste sie, dass auch er von Liebe und Illusionen geblendet wurde. Er hatte sich schließlich doch in dieser Welt verrannt und nun musste sie das ausbaden. 

Sie packte alles nach und nach aus und schaute sich alles noch einmal an, um sich daran zu erinnern. Vielleicht bewirkte es etwas, vielleicht kam ihr eine Idee. 

Kim öffnete die Schleife, die sie um die Fotos gebunden hatte, die mittlerweile einen dicken Stapel bildeten. Auf jedem einzelnen war sie. 

Ein paar waren bekannte Fotos, wo sie für Instagram oder Firmen gemodelt hatte. An die war leicht heranzukommen. Bei diesen betonte er stets, wie sehr er es hasste, sie so zu sehen, für jeden erkennbar. Ein Klick und jeder wusste, wie sie aussah. Welchen Ton ihre Haut hatte, ihre Piercings, ihr Tattoo im Nacken. Das war alles leicht herauszufinden und er zeigte offen seine Eifersucht. Betonte immer wieder, das schöne Dinge, nicht nach Aufmerksamkeit fragen. Wollte wissen, warum sie es dann tat. Nötig hatte sie diese Aufmerksamkeit wirklich nicht, aber es machte ihr einfach Spaß, fotografiert zu werden. Damit war einfach Geld zu verdienen und Geld regierte die Welt. Warum also nicht? 

Die meisten waren aber heimlich geschossen. Aus irgendwelchen Ecken oder Cafés, seinem Auto, der Straße gegenüber. In der Nähe ihrer Uni, vor ihrer Wohnung, beim Joggen, beim Essen, beim Lernen, beim Betreten eines Hotels. Es fühlte sich an, als hätte er jeden Moment ihres Lebens abgelichtet.  Es gab nichts, was er nicht wusste. Das hätte ihr Angst machen sollen. Dafür sorgen sollen, dass sie sich nicht mehr traute, die Wohnung zu verlassen. Aber sie tat es weiterhin und suchte ihn. Doch gefunden hatte sie ihn nie und dann gab sie es eines Tages auf. Wenn er sie so sehr stalken wollte, dann sollte er doch. Nichts anderes zu tun zu haben, musste amüsant sein. 

Im Laufe der Zeit hatte er ihr schlichte Kristallohrringe geschenkt, die sie auf einem Event getragen hatte, dann aber wieder hier drin gelandet waren. Ein Armband mit fein gearbeiteten Kirschblüten aus Weißgold und ein zweites goldenes mit einem kleinen Anker als Anhänger. Es sah aus, wie das, was sie verloren hatte und sie war sich nie sicher gewesen, ob dieses ihr verlorenes war oder ein neu gekauftes. 

Das schönste Stück war aber eine silberne Kette an der ein Herz hing, dass sich aus kleinen Blumen zusammensetzte. Sie hatte sie nie getragen, aber immer sehr schön gefunden. Sie war mehrere hundert Euro wert, hatte sie von einer Freundin erfahren, die sie einmal gesehen hatte. Getragen hatte sie sie aber nicht, weil sie ihm die Genugtuung nicht gönnte. Es hätte sich so angefühlt, als würde sie es akzeptieren ihm zu gehören. Das wollte sie auf keinen Fall, also verschwand sie in dieser Kiste mit all den anderen Sachen. 

Mit dem Daumen strich sie über das kalte Silber. 

Was für ein Zeichen würde es setzen, wenn sie sie jetzt tragen würde? Ob er glauben würde, dass sie versuchte sich mit ihm gut zu stellen?

Nein, dafür kannte er sie zu gut. 

Er würde wissen, dass sie ihn verspottete und nur ärgern wollte. Die Ironie würde ihn vielleicht wütend machen und sie konnte schwer einschätzen, wie er war, wenn er wütend wurde. 

Doch sie musste eine Reaktion provozieren. Sie brauchte irgendwas von ihm. Mehr als die Aussicht auf 60 Jahre Verdammnis mit einem Mann, der die Ruhe selbst zu sein schien. 

Vorsichtig legte sie sich die Kette um und schaute in den Spiegel. Sie war wirklich hübsch. Er hatte tatsächlich Geschmack. 


Soo, da ist mal wieder ein neues Kapitel. Verzeiht die lange Pause. Die Inspiration ist in letzter Zeit rar gesät. Hoffe ich bekomme es jetzt wieder regelmäßiger hin. 



Deine Freiheit ist MeinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt