「 Annie lebt 」
"Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Wir haben so viele Bücher und ich habe erst vor wenigen Wochen angefangen, wissen Sie", erklärt der Angestellte ungerührt und entstaubt die alte Kasse vor ihm zum zehnten Mal.
"Ich sehe mich dann ein wenig um, wenn's recht ist" - "Das hier ist ein Buchladen, kein Kino. Sie müssen also keinen Eintritt bezahlen".
Annie nickt und rempelt beinahe den Kassierer an. Dieser schaut entsetzt von seiner Kasse auf und mustert sie geringschätzig - so geringschätzig, dass sich Annie eingesteht, dass sie ihn wirklich gerne anrempeln würde-
Sie irrt durch den Laden, den sie, obwohl er nur zwei Katzensprünge von ihrer Wohnung entfernt ist, noch nie besucht hat. Während ihre Statur zwischen den massiven Bücherregalen verschwindet, fällt ihr wieder ein, wieso: der Laden hat von zehn Uhr abends bis um sechs Uhr morgens geöffnet. Suboptimale Öffnungszeiten für jeden Menschen, der ein Leben hat.
Annie gefallen die Öffnungszeiten auf einmal wirklich sehr gut.
Beinahe davon getröstet, dass es andere verzweifelte Menschen geben muss, bleibt sie bei "P" stehen und schielt auf das oberste Regalbrett. Pasternak.
"Dafür bräuchten Sie eine Leiter", stellt eine Person hinter ihr fest.
Ihr frischentdecktes Verdrängungsparadies bröckelt und wird wieder zur Realität.
"Oder ein zusätzliches Paar Arme", fügt der Seitenspiegelmensch hinzu.
"Ich hatte mal einen Zwillingsbruder. Jetzt fallen die zwei Arme wohl weg". Warum sagt sie das? Annie wäre gerne entsetzt, aber das ist anstrengend. Sie ist viel zu müde und das Buch, welches sie sucht, zwei Regalbretter zu weit oben.
"Soll ich Ihnen das Buch reichen?", fragt ihr unerwünschter Gesprächspartner und deutet auf Doktor Schiwago. Annie nickt.
Als ihr das Buch in die Hände gelegt wird, nickt sie noch einmal. Es scheint als Dankeschön erkannt zu werden. Darauf folgt ein wenig Stille, die nur durch die Putzgeräusche des Angestellten ein bisschen weniger beklemmend wird.
"Warum sind Sie noch hier?", es ist zwar nur eine sehr kurze, viel umfassende Frage, aber sie denkt sofort an einen Namen, an den sie heute nicht mehr hat denken wollen.
"Wie meinen Sie das?", es ist zwar nur eine sehr kurze Frage, aber Annie lässt sie so schroff klingen, als wäre sie Schmirgelpapier.
"Wenn Sie keinen Wert auf die Gesellschaft anderer Leute legen, warum sind Sie dann im belebtesten Viertel der Gegend?".
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nicht genug
Genel Kurgu[trigger warning: suicide] ❞ Habe ich ihn mit umgebracht? War ich es, die ihm den Strick um den Hals gelegt, die Munition für die Pistole gegeben, die Packung mit Tabletten besorgt hat? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: Als er noch lebte, tat ic...