7. Kapitel- Wahrheit und Lügen

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Später am Abend stand ich mit den Ellenbogen auf ein goldenes Geländer gestützt und starrte auf die Landschaft. Hügel und Täler in jeder Schattierung von Grün streckten sich dem Himmel entgegen, wie Wellen eines Ozeans. Die Plattform, auf der ich stand, schien über den Baumkronen zu schweben und filigrane Äste wuchsen der Sonne entgegen. Die Luft war warm und sanft strich der Wind mir einzelne Locken aus dem Gesicht.
Unten, hinter den ockerfarbenen Schlossmauern, beobachtete ich, wie Alya, Isa und der Zwerg, der mir, aufgrund seiner dunklen Locken, schon beim Tunier aufgefallen war, die Soldaten herum scheuchten. Hinter mir hörte ich Schritte und der leichte Geruch von Moos und Pergament wehte mir in die Nase. Ich drehte mich nicht um, als König Peter sich neben mich stellte, die Hände aufs Geländer gestützt.
"Ihr werdet also gegen die SeaLands, mein Land, kämpfen?", fragte ich.
"Wir brechen nach dem Ball auf.", antwortete er. Ich drehte ihm mein Gesicht zu.
"Wann hattet ihr vor, mir das mitzuteilen?!", fragte ich halb empört, halb verärgert. Der König warf mir einen Blick zu, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Soldaten unter ihm.
"Hoheit, ein Schlachtfeld ist wohl kaum der geeignete Ort für eine Prinzessin!", antwortete er. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Meine Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in meine Handflächen, ich ignorierte es.
"Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich tun soll! Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen! Ich kann mich selbst verteidigen, kann selbst kämpfen!", rief ich wütend. Peter wendete sich mir zu, seinen Arm lässig auf das Geländer gestützt.
"Ich kann nicht hierbleiben!", rief ich, "Hier bin nich nutzlos, nur Zimmerdekoration, nur noch ein Echo von der, die ich einmal war. Mein Land, die SeaLands, brauchen mich!" Eine braune Strähne meines Haare wehte mir ins Gesicht, bevor ich sie wieder hinter mein Ohr steckte.
"Prinzessin, wir werden nur die Grenzen verteidigen! Es wird zu keinem Kampf kommen! Es ist reine Zeitverschwendung, dass ihr mitkommt!", sagte er, ohne auf meinen Ärger einzugehen.
"Aber ihr werdet keinen Kampf vermeiden können! Ihr kennt meinen Bruder nicht! Ihr wisst nicht, was Oktavius alles tun würde, alles getan hat, um an der Macht zu bleiben!", sagte ich und Verzweiflung erfüllte mich.
"Und ihr wisst nicht, was ich alles tun würde, damit Eralor sicher ist!", rief er. Ich schüttelte den Kopf und starrte auf meine Zehen.
"Es ist Selbstmord!", erwiderte ich leise. Zögerlich kam er einen Schritt auf mich zu.
"Ich dachte, gerade ihr müsstet es verstehen!", sagte er. Ich sah zu ihm auf. Er stand mit dem Rücken zur Abendsonne und das Licht der untergehenden Sonne zeichnete seine Silouhette nach, wie ein goldener Heiligenschein.
"Ihr habt mich dazu inspiriert! Ihr wurdet aus eurem Palast vertrieben, eurer Krone beraubt und dennoch kämpft ihr weiter für euer Volk!", sagte er. Ich spürte, wie Hitze in meine Wangen stieg.
"Es ist unglaublich mutig!", fügte er hinzu. Ich wurde noch nie als mutig bezeichnet oder war eine Inspiration für andere. Das Licht verfing sich in seinen grünen Augen und verlieh ihnen einen geheimnisvollen Glanz. Ich schluckte.
"Es ist kein Mut!", widersprach ich, "So etwas nennt man Verzweiflung!" Seine Finger zuckten. Kurz sah es so aus, als wolle er meine Hände ergreifen, doch dann stoppte er und ließ seine Hände fallen.
"Bleibt im Schloss, wartet auf unsere Rückkehr und dann werden wir gemeinsam euer Land zurück erobern!", sagte er. Die Worte wurden vom Wind verweht.
"Eure Majestät!" Peters Blick ruhte noch für einen Augenblick auf meinem Gesicht, bevor er sich umdrehte um zu sehen, wer gekommen war. Cedar stand einige Meter von uns entfernt. Ihr Blick wanderte zwischen ihm und mir hin und her, bis sie ihre Lippen zu einem Lächeln kräuselte.
Lord Starkhead verlangt nach euch!", rief sie. König Peter verzog das Gesicht.
"Ich wusste gar nicht, das ihr auch Dienstbote seid, Lady Blackthorn!", rief er. Cedar zuckte die Achseln. Der König fixierte sie noch einen Moment mit seinen grünen Augen, bevor er sich abwandte und in großen Schritten zum Schloss ging. Cedar schaute ihm hinterher, bevor sie sich neben mich stellte, die Unterarme aufs Geländer gestützt.
"Hat dir jemand eine Backpfeife gegeben oder warum bist du so rot?", fragte sie. Ich spürte, wie die Hitze sich in meinen Wangen verstärkte.
"Das ist meine ganz persönliche Abendröte!", erwiderte ich. Cedar grinste.
"Was ist das nur zwischen ihm und dir?", fragte ich, um das Thema zu wechseln. Schlagartig war ihr Lächeln wie weggewischt und sie wendete sich ab. Cedars Blick glitt in die Ferne und sie zeichnete mit ihren Fingern die Konturen des Geländers nach.
"Als wir noch klein waren, waren wir einmal gute Freunde. Jetzt verbindet uns nur noch jahrelanger Hass!", sagte sie.
"Ich verstehe nicht, was hast du getan, das er dich so sehr hasst?", wollte ich wissen. Cedar seufzte resigniert.
"Wenn ich es dir sage, wirst du mich ebenfalls hassen!", erwiderte sie. Sie fixierte mit den Augen den Abenstern, welcher sich funkelnd am Himmel abzeichnete.
"Das kann ich mir nicht vorstellen!", versicherte ich ihr. Sie zuckte erneut die Achseln.
"Du musst verstehen, wir Elfen sind zur Hälfte Mensch und zur Hälfte Pflanze. Bei unserer Geburt überwiegt der menschliche Teil, im Laufe unseres Lebens werden wir immer mehr zur Pflanze, bis wir schließlich als Pflanze weiterleben." Gedankenverloren strich Cedar über die Schwarzdornäste, die aus ihren Unterarmen wuchsen.
"Lichtelfen sind am Tag geboren. Sie wissen, wann ein Kind geboren wird und spüren die Emotionen anderer so deutlich wie du den Regen auf deiner Haut. Dunkelelfen sind jedoch bei Nacht geboren. Wir können mit den zur Pflanze gewordenen Elfen Kontakt aufnehmen und spüren, wann ein Mensch stirbt. Dazu wissen wir, ob es ein schöner Tod wird.
Ich war fünf Jahre alt und lebte in Meridiem Cieri. Peter und ich waren ziemlich gut befreundet. Ich hatte meine Mutter verloren, doch dafür liebte mich Peters Mutter, Königin Margaret nur umso mehr. Damals gab es schon Spannungen zwischen dem Lichten Hof und dem Dunklen Hof der Elfen. Siehst du Kaylen, wir können den Tod zwar beeinflussen, dafür sorgen, das er angenehm wird, aber aufhalten können wir ihn nicht." Cedar machte eine Pause und sah mich an, wie um zu testen, ob ich sie auch wirklich verstand. Ihre violetten Augen schimmerten düster.
"Sie wäre gestorben. Margaret wäre ermordet worden und wäre unter Schmerzen dahin gesiecht, hätte ich es nicht verhindert. Durch mein Eingreifen hatte sie einen letzten schönen Abend mit ihrer Familie, bevor sie mein Gift tötete."
Ich taumelte ein paar Schritte rückwärts, bis ich mit dem Rücken gegen das Geländer knallte. Die Worte hallten in meinem Kopf wieder, bis ich ihre genaue Bedeutung verstand.
"Du hast sie umgebracht! Du hast seine Mutter vergiftet?!", rief ich atemlos. Cedar Augen wirkten flehentlich, so als wollte sie, dass ich verstand, dass ich ihre Gründe nachvollziehen konnte und ihr vergab.
"Cedar, was hast du getan?!", flüsterte ich.  Sie atmete tief aus, wie um Mut zu fassen und straffte dann die Schultern.
"Ich habe die Königin vergiftet, damit sie keinen qualvollen Tod erleidet!
Und jetzt sag mir nicht, Kaylen, dass du es genauso wenig verstehst, wie alle anderen! Sag nicht, dass du mich für etwas hasst, was du nicht nachvollziehen kannst!", rief sie.
Ich starrte sie nur an.
"Denkst du nicht, dass es mir nicht schwergefallen ist?! Margaret war wie eine Mutter für mich! Ich war gerade mal fünf Jahre alt! Wie kann man von mir erwarten, dass ich in so jungem Alter schon die Weitsicht eines Erwachsenen besitze! Wie kann man erwarten, dass ich den Bräuchen und Lehren meiner Herkunft den Rücken zuwende?!", rief sie heftig. Ich schluckte abermals.
"Deshalb hasst er dich so sehr! Dich und alle Elfen.", murmelte ich leise. Cedar schluckte.
"Wird er sterben?", fragte ich, "Bei dem Feldzug, den er plant, wird er sterben?"
Mein Herz raste als ich auf die Antwort wartete. Cedar schüttelte den Kopf.
"Nein,", meinte sie, "Er wird nicht sterben!"
Ich atmete hörbar aus.
"Kaylen, verstehst Du, wieso ich es tun musste?", fragte Cedar und sie riss ihre violetten Augen weit auf. Ich nahm mir einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken.
"Ich, ich verstehe, dass ich euch Elfen nicht verstehen kann. Ich kann dir nicht verzeihen, dafür war ich schließlich nie sauer auf dich. Verzeihen kann dir nur Peter.", sagte ich. Cedar sank in sich zusammen, so als wäre eine große Last von ihren Schultern gefallen. Schließlich trübte sich ihr Blick wieder.
"Er wird mir nie verzeihen!", sagte sie und in diesem Augenblick wurde mir eins klar.
"Du hasst Peter nicht!", stellte ich fest. Cedar warf mir einen undeutbaren Blick zu.
"Du hast Angst vor dem Tag, an dem er sich für den Tod seiner Mutter rächen will.
Du fürchtest ihn!"

Die Chroniken von Eralor- Kaylens Lied   Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt