Peter Hedera lief schon vor Anbruch des Sonnenaufgangs unruhig durchs Schloss. Er hatte die Nacht lang wach gelegen, sich immer wieder hin und her gewälzt, bis er es schließlich aufgegeben hatte und nun mit Augenringen, die von Erschöpfung und Schlaflosigkeit zeugten, durch die Gänge streifte, in der Hoffnung, etwas Ruhe zu finden. Jedoch war in den zwei Stunden, in denen er schon auf den Beinen war und mit seinem glitzernden Kettenhemd und seinem roten Umhang, die Ruhe verwehrt worden. Peters Gedanken wanderten von einer Schlacht, bei der er schon bei der Planung ein schlechtes Gefühl gehabt hatte, zu einem Mädchen, dank dem er nun überhaupt nicht mehr wusste, was er überhaupt fühlte. Er seufzte und setzte sich auf eins der Fensterbänke, bei denen scharlachroter Brokat als Vorhang diente. Durch dass Fenster fielen die ersten Strahlen des Sonnenaufgangs, die ihm ankündigten, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, bevor sie aufbrachen. Entweder er schlief jetzt oder er ließ es endgültig bleiben. Das Gewitter von letzter Nacht war abgezogen, nur noch blassblaue Wölkchen überquerten den Himmel, wie eine letzte Erinnerung an den Regen, an sie. Peter hatte in den Zeiten des Dunklen- und Lichtenkriegs gelernt, seinem Gefühl zu vertrauen. Es hatte sich herausgestellt, dass er die Kämpfe, bei denen er schon im Voraus ein schlechtes Gefühl hatte, verlor. Er wollte nicht in die Schlacht ziehen. Er wollte nicht an die Grenze zu den SeaLands, doch seine Berater hatten ihm keine Wahl gelassen und Herzog Faris, ein rotbärtiger Zwerg aus den Ironhills, hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass dies die beste und angenehmste Lösung für Eralor und für Kaylen war. Peter seufzte abermals. Man hatte ihm früher Schauergeschichten über die SeaLander erzählt. In den Geschichten seines Vaters waren die SeaLander immer grausam, blutrünstig und böse. So böse, dass es sich damals in das Gedächnis des vier Jahre alten Petes gebrannt hatte. Und dann war sie gekommen. Und sie war so anders gewesen, als alles, was man ihm erzählt hatte. Kaylen war mutig und tapfer und klug und gütig. Peters Blick fiel auf seine Truppen, auf die Männer, deren eiserne Rüstung, im Licht der aufgehenden Sonne, wie pures Gold glänzten. Er fasste einen Entschluss, lief zur Wendeltreppe, die zu Kaylens Zimmer führte, und nahm fast zwei Stufen auf einmal. Schließlich stand er vor der hölzernen Tür, die Hand zum Klopfen erhoben. Er klopfte und wartete. Sie öffnete nicht. Von drinnen hörte er keinen Laut, noch nicht einmal das leise Atmen, von jemandem, der schläft. Er klopfte noch einmal, in der Hoffnung, sie würde aufmachen, doch es regte sich nichts. Leise öffnete Peter die Tür einen Spalt breit und spähte hinein. Sie war nicht da. Die bestickte Tagesdecke lag ordentlich über ihrem Bett, aus einer Truhe quoll glitzernder grüner Stoff, doch Kaylen war nicht da. Er runzelte die Stirn. "Mein König!", ertönte eine tiefe melodische Stimme neben ihm. Peter drehte sich um und erblickte einen Zwerg in eiserner Rüstung, in deren Metall dunkle Zwergenruhnen eingearbeitet waren. Der beachtliche dunkel glänzende Bart des Zwerges, reichte bis unter seinen Gürtel und er hatte ihn zu einem Zopf geflochten. Über seiner Schulter hing eine Axt, die mindestens genauso groß, wenn nicht größer als er war, doch Peter zweifelte keine Sekunde daran, das der Zwerg die Axt mühelos schwingen würde. Peter neigte zur Begrüßung den Kopf. "Jorst Ironhead!", erwiderte er. Jorst richtete sich auf. "Die Männer sind kampfbereit, wir warten nur noch auf unseren König.", sagte der Zwerg. Peter widerstand dem Drang unruhig hin und her zu gehen. "Wisst ihr, wo Prinzessin Kaylen ist?", fragte er. Jorst legte den Kopf schief. "Ist sie nicht in ihrem Zimmer?", fragte er. Peter widerstand dem Drang die Augen zu rollen. Natürlich war sie nicht da, sonst würde er ja nicht fragen. "Nein, ich habe sie seit gestern Abend auf dem Ball nicht mehr gesehen!", sagte er stattdessen. Jorst reckte das Kinn, auch wenn er Peter trotzdem nur bis zur Hüfte reichte. "Wenn ihr das wünscht, kann ich den Soldaten auftragen, sie zu suchen!", meinte er. Peter nickte stumm und folgte dem Zwerg die Treppenstufen hinunter, wobei er noch einmal einen kurzen Blick in ihr Zimmer warf. Nachdem sie unten angekommen waren überholte Peter Jorst rasch und lief schnellen Schrittes über den Schlosshof zur Wiese mit seinen Soldaten. Der Zwerg verabschiedete sich damit, die Wachen nach dem Verbleib der Prinzessin zu befragen und lief auf die in eiserne Rüstungen gekleidete Männer zu. Peter streichelte kurz über das weiche braune Fell seines Pferdes, bevor er sich in den Sattel schwang und auf Jorsts Antwort wartete. "Eure Majestät?", fragte eine Stimme hinter ihm. Peter unterdrückte ein Stöhnen. Herzog Faris trottete auf einem riesigen Wildschwein neben ihn und sein Blick fiel zuerst auf die dunklen Schatten unter seinen Augen. "Ihr seht müde aus, Majestät!", stellte er fest. Peter zuckte nur die Achseln. In diesem Moment ritt Jorst auf einem ebenso großem dunkeln Wildschwein auf die andere Seite des Königs. "Die Wachen wissen nicht, wo Prinzessin Kaylen ist. Einzig ein Dienstmädchen soll gestern das Schloss verlassen haben!", sagte er. "Ein Dienstmädchen?!", hakte Peter nach. Jorst nickte. "Ein Mädchen, völlig durchnässt vom Regen, mit einem rosafarbenen Kleid, dessen Saum über den schmutzigen Boden schleifte.", antwortete der Zwerg. Peters Herz setzte einen kurzen Schlag aus. "Wie kamen die Wachen zu der Annahme, das Mädchen wäre eine Dienstmagd?", fragte er. Jorst zuckte die Achsel, seine Rüstung schillerte kurz im Sonnenlicht und es schien, als würden sich die schwarzen Runen auf der Rüstung bewegen. "Ich schätze mal, es lag an ihrem rosa Kleid. Kein Mädchen aus Eralor trägt diese Farbe. Und sie trug kaum Schmuck, nichts dass sie als etwas anderes auszeichnete. Sie trug ihr Haar offen und die Wachen erinnerten sich daran, sie schluchzen zu hören, während sie den Weg zum Dorf hinabrannte!", sagte der Zwerg. Peter drückte sich mit den Fingern gegen die geschlossenen Lieder. Herrgott, was hatte Kaylen nur dazu gebracht, so etwas zu tun? War es seine Schuld gewesen? Hatte er etwas getan, dass sie so sehr verletzt hatte, dass sie weggelaufen war? Oder war etwas anderes der Grund für ihr plötzliches Verschwinden gewesen? Und vor allem, wieso hatte sie geweint? "Die Prinzessin ist also weggelaufen?", fragte Faris neben ihm. Peter öffnete die Augen und sah, wie Jorst Faris einen wütenden Blick zuwarf. Peter verfluchte ihn insgeheim. "Sagt den Wachen, sie haben gerade die Prinzessin fliehen lassen!", sagte Peter an einige Soldaten gerichtet, die hinter ihm standen und ignorierte Faris Schadenfreude damit. Insgeheim schlug sein Herz so stark, dass er Angst hatte, seine Männer könnten es hören. Wenn Kaylen geflohen war, dann gab es nur einen Ort, wo sie hinwollte: zu den SeaLands. Peter fluchte leise. Wenn nun ihr Bruder sie zu fassen bekam oder schlimmeres, wenn sie auf ihrem Weg überfallen wurde. Er ballte die Hände zu Fäusten. "Folgt mir Männer!", schrie er und zückte sein Schwert, wobei die silberne Klinge messerscharf im Sonnenlicht funkelte. Er ritt los und die Soldaten folgten ihm, wobei keinem auffiel, dass er schneller, als normal ritt. Nein, Peter wusste, er musste Kaylen finden, bevor irgendwer anders es tat. Er wusste nur nicht, ob er sie finden wollte, damit sie mit ihren gewaltigen Kräften nicht ihrem Bruder in die Hände fiel und damit Eralor schadete, oder weil der Schmerz in seinem Herzen in dazu trieb, immer schneller zu reiten.
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Die Chroniken von Eralor- Kaylens Lied
FantasíaKaylen, die Prinzessin der SeaLands, muss, kurz vor ihrer Krönung, aus ihrem Land fliehen. Sie wird im benachbarten Königreich aufgenommen, jedoch ohne das jemand ihre wahre Identität kennt. Doch zwischen beiden Ländern herrscht seit langem ein une...