Etwas zu laut lasse ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen, weswegen meine Mutter aus dem Wohnzimmer gehastet kommt. Überrascht, mich hier stehen zu sehen, fragt sie mich, warum ich denn schon so früh Zuhause bin.
Ich zucke bloß mit den Schultern. Ich vermute, dass meine Lehrer, denen es enorm viel Spaß bereitet einen Schüler in die Pfanne zu hauen, sie früh genug informieren werden.
„Ist alles in Ordnung?", fragt sie anschließend besorgt, während sie mir dabei zusieht, wie ich grob meinen Rucksack auf den Boden schmeiße und die Schuhe von den Knöcheln streife. Ich kann diese Besorgnis in jedermanns Stimme nicht mehr hören.
Ich antworte ihr also nicht. Will mir nicht die Mühe machen, ihr irgendeine schlechte Lüge aufzutischen. Im Endeffekt würde sie mir wahrscheinlich eh nicht glauben, da es mehr als offensichtlich ist, dass nichts in Ordnung ist. Abermals zucke ich mit meinen Schultern, um ihr wenigstens irgendeine Antwort zu geben, verzichte daraufhin auf das Essen und gehe die Treppen hoch.
„Hi", begrüßt mich Max, der gerade sein Zimmer verlässt und mir entgegen kommt.
Als ich einen flüchtigen Blick in sein Gesicht werfe, konnte ich nur meine Augen verdrehen.
„Ihr braucht mich nicht alle so besorgt anzustarren!", will ich am liebsten brüllen. Doch stattdessen murmle ich nur eine Begrüßung zurück und verschanze mich anschließend schnellstmöglich in meinem Zimmer. Vorsichtshalber, damit mich auch niemand stören kann, verriegle ich die Tür hinter mir und stöpsle mir meine Kopfhörer in die Ohren.
Aus den Hörern erklingt plötzlich ein Lied, welches die klitzekleinen Stückchen meines Herzens, die bereits zerbrochen sind, ein weiteres Mal zum Zerbersten bringen. Es war unser Lied. Das Lied, welches bei unserem ersten Date lief. Das Lied, welches bei unserem ersten Mal spielte. Es war das Lied, das uns auf Ewig miteinander verbunden hatte...
Ich kann, wie immer, nichts dagegen unternehmen, als sich Tränen in meinen Augen sammeln, obwohl ich dachte, ich hätte zuvor bereits alle aufgebraucht.
Meine Gedanken fangen abermals an in einen Strom der Fragerei des Wieso, Warum und Weshalb zu verfallen, mitschwingend mit Erinnerungen, die es nie mehr geben wird. Als die ersten unaufhaltsamen Schluchzer aus meiner Kehle stolpern, halte ich es nicht mehr aus. Mit tränenverschwommener Sicht reiße ich mir die Kopfhörer wieder aus den Ohren, bringe das Lied zum Schweigen und vergrabe mein Handy unter einem Berg von Kopfkissen.
Mir ist etwas eingefallen, von dem ich mir sicher bin, dass es mich aufmuntern wird. Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, doch wenigstens bin ich in diesem Bruchteil der Sekunde frei von den Schmerzen.
Eilig stehe ich auf um an meinem Rucksack zu gelangen. Zunächst muss ich darin herum wühlen, ehe ich das Gesuchte in meinen Händen halte. Und zwar eine kleine Schachtel gefüllt mit neunzehn giftigen Zigaretten. Auf dem Nachhauseweg habe ich mir welche spontan an einem Kiosk besorgt, für den Fall alle Fälle, welcher nun eingetreten ist.
Ich setze mich mit weit geöffnetem Fenster an die Fensterbank aus Marmor. Nachdem ich mir die erste Kippe zwischen die Lippen stecke, zünde ich sie kurzerhand mit einem ebenso neu gekauftem Feuerzeug an und fülle meine Lungenflügel mit Rauch, ehe ich ihn gen Himmel ausatme. Dabei sind meine Augen auf das helle, wolkenlose Blau gerichtet und ich fange abermals an mich zu fragen, ob Travis nun dort oben ist. Ein Stern, der jede Nacht auf mich herab sieht. Mich im Schlaf bewacht.
„Ich vermisse dich", flüstere ich dem Himmel zu, in der Hoffnung, irgendwo dort wäre mein Junge. „Ich vermisse dich so sehr."
Derweil ich wieder merke, dass sich die Tränen in meinen Augen anstauen, nehme ich hastig einen weiteren Zug des Glimmstängels.
„Du bist bestimmt enttäuscht darüber." Mein Blick ist auf die Zigarette zwischen meinen Fingern gerichtet. Ich erinnere mich, dass Travis das Rauchen verabscheute. Das war damals einer der Gründe, weshalb ich nie zu einer Raucherin werden wollte, seine Meinung habe ich zu dem Zeitpunkt noch geteilt. Und heute denke ich, dass mich das für einen Moment wirklich retten könnte.
„Aber ich weiß mir nicht anders zu helfen", meine Stimme bricht und trotz des entlastenden Nikotins rinnt mir eine einzelne Träne über die Wange.
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nuttenrot
Teen FictionEs ist tragisch, wenn uns die scheinbar wichtigste Person in unserem Leben plötzlich aus den Fingern entrissen wird. Noch tragischer ist es, wenn man diesen Verlust, diesen Schicksalsschlag auf eine Art und Weise verarbeitet, bei der wir drohen unse...