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Dämonen toben, mein Kopf explodiert. Alles zu viel, mein Herz verkrampft. Meine Lunge atmet diese Luft nicht weiter, hab's versucht und bin gescheitert.

Die Enttäuschung meiner Mutter aufgrund des Zigarettengeruchs hat sich leider schnell in Mitleid verwandelt. Auf der Heimfahrt schien sie mich mit ihrem ersten Gedanken zurecht biegen wollen, von wegen Rauchen sei nicht gesund, doch mit ihrem zweiten Gedanken erinnert sie sich wohl daran, welcher Grund mich dazu veranlasst hat. Und nun ist ihr die Besorgnis ins Gesicht gemeißelt.

Eigentlich vorteilhaft für mich, jedoch stört es mich. Halte es für pädagogisch nicht wertvoll. Ich will nicht, dass man ab sofort ständig Mitleid mit mir hat und jede Fehlentscheidung zu entschuldigen beginnt.

Nachdem meine Mutter vor unserem Haus geparkt hat, bewege ich mich lustlos aus dem Auto, zur Haustür, die Treppen hinauf, in mein Zimmer, um mich in mein Bett fallen zu lassen. Der heutige Tag hat praktisch das letzte Bisschen meiner Lebenskraft ausgesaugt und obwohl ich auf seiner Beerdigung war, es nicht endgültiger hätte seinen können, will mein Verstand noch immer nicht verstehen, was die letzten Tage geschehen ist.

Der Gedanke, dass mein Lebensanker nicht mehr Teil meines Lebens ist, bringt mich um. Ich ersticke, gehe unter. Gnadenlos. Und es ist niemand mehr da, der mich davor bewahren könnte.

Mein Körper fühlt sich schwach und unendlich schwer an, als würde er die Matratze unter mir zum Zerquetschen bringen. Am liebsten würde ich mich aufgrund des Fehlens meiner Kräfte nicht mehr bewegen. Nie mehr. Einfach hier in dieser Position verweilen, bis ich sterbe.

Meine schweren Lider fallen zu, während ich tiefe Atemzüge ein und ausatme. Komme dabei einem Traumland ganz nahe, werde jedoch wieder zurück in die Realität gerissen, als ich im Hintergrund ein Pochen an der Tür wahrnehme. Ohne, dass ich etwas Einladendes rufe, öffnet sich die Tür einen Spalt breit. Dahinter erscheint meine Mutter.

„Brauchst du irgendetwas?" Wie die letzten Tage bereits auch ist ihre Stimme voller Fürsorge und Besorgnis getränkt.

Ich schüttle bloß stumm den Kopf.

„Sicher?"

Ein Nicken meinerseits.

„Und... und du willst dich auch nicht waschen?", fragt Mom vorsichtig und unbeholfen. Bei der Frage, wann ich das letzte Mal unter der Dusche stand, wird mir übel.

„Doch", antworte ich knapp, „mache ich gleich."

Verständnisvoll nickt sie eifrig, ehe sie die Tür wieder schließt. Wohlbemerkt weiß sie nicht, wie sie mit mir umgehen kann. Einerseits verständlich, doch andererseits bin ich trotz allem kein anderer Mensch. Wobei ich vermute, mich allmählich in eine andere Person zu verwandeln.

Allmählich strenge ich meinen Körper an und erhebe mich wieder aus meinem Bett. Nahezu wie eine Leiche schlendere ich ins Badezimmer. Spontan entscheide ich mich eher für ein Bad, statt einer Dusche und lasse die Wanne mit lauwarmen Wasser volllaufen. Während ich mich meiner Kleidung entledige vermeide ich es absichtlich ein Blick auf mein Spiegelbild zu richten. Doch ich kann es nicht unterlassen, an meinem Körper hinab zu blicken.

Meine Haut ist blass, die Adern stechen darunter hervor und man sieht ihm die Leblosigkeit und Schwäche an. Ich will nicht darüber nachdenken, wann ich das letzte Mal etwas Essbares zu mir genommen habe, um Kräfte tanken zu können, denn wenn ich dann wirklich darüber grübele, habe ich wieder jeglichen Appetit verloren.

Als die Wanne mit ausreichend Wasser gefüllt ist, stelle ich das Wasser ab und setze einen Fuß nach dem anderen in das kleine, warme Meer, welches meinen kalten Körper langsam wieder zum Tauen bringt.

Ich lasse zu, dass ich immer mehr in der Wanne versinke.

Und jetzt, wo ich wieder alleine bin, fängt es wieder an. Der betäubende Schmerz in meinem Brustkorb. Es fühlt sich so an, als hätte man mir das Herz grob aus der Brust gerissen und anschließend achtlos weggeworfen. Nun ist es verloren, ich finde es nicht mehr wieder, genauso wie Meiner selbst. Ich bin verloren und ich bezweifle, dass man mich wieder findet.

Langsam versuchen sich Erinnerungsfetzen unserer gemeinsamen Zeit an die Oberfläche meines Gedächtnisses zu drängen, während ich bestenfalls diese ausblenden will. Ich will mich nicht an all die Momente erinnern und wissen, dass diese nie, nie wieder mehr zur Realität werden. Jeder Augenblick, der mir damals das Herz erwärmte... jede Berührung, die mir Travis schenkte.

Ich spüre das Brennen in meinen Augen, als sich die Tränen wieder mal in ihnen stauen und lasse meine Lider fallen. Versuche vergeblich den wachsenden Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucke, bis dann auch der erste Schluchzer über meine Lippen kommt und die ersten Tränen trotz der geschlossenen Augen meine Wange hinab rollen.

Immer wieder aufs Neue erschüttert mich die Erkenntnis des Verlustes und die Wucht, mit der sie mich trifft wird nicht geringer, nicht großzügiger.

Ist es denn immer so, dass wenn man sich gerade bei jemanden am wohlsten fühlt,, wenn gerade alles nahezu perfekt erscheint und du wahrhaftig glücklich bist, dir alles genommen wird?

Von der einen auf der anderen Sekunde hast du plötzlich nichts mehr.

In mir staut sich eine gewisse Angst, dass jemand die herzzerreißenden Schluchzer hören könnte, weswegen ich tief Luft hole und mit dem Oberkörper unter das Wasser tauche. Die salzigen Tränen vermischen sich mit dem allmählich kalt werdenden Wasser und meine Schluchzer werden davon erstickt. Und aus irgendeinem Grund gefällt mir das gefährliche Gefühl, wie meine Lunge nach einigen Sekunden bereits beginnt nach Sauerstoff zu schreien. Zunächst leise, doch nach und nach wird der Drang zu Atmen präsenter und übertönen fast jeden anderen Schmerz.

nuttenrotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt