„Warum hast du dichumentschieden?", fragt Tiff beiläufig, während sie meinengesamten Schrank auf den Kopf stellt. Die Mission mir etwas zumAnziehen auszusuchen habe ich mit dem größten Vergnügen ihrüberlassen. Von uns beiden ist ja auch sie diejenige, die sich mitMode und Aussehen am besten auskennt.
Obwohl ihr Gesicht demInneren meines Schrankes zugewendet zucke ich mit den Schultern.„Keine Ahnung. Mir war langweilig." Was für eine platte Ausrede,jedoch geht Tiff nicht weiter darauf ein.
Sie ist mit jeder Faserihres Körpers damit beschäftigt ein passendes Outfit für mich zukreieren. Währenddessen erwische ich mich dabei, wie ich dabei ihrAussehen bemustere und muss feststellen, wie bildhübsch Tiffany ist.Mir war schon immer bewusst, dass sie die Schönere von uns beidenist, aber sie ist in meinen Augen plötzlich viel mehr als das. Siescheint all das zu haben, was ich nicht habe. Bei dem Anflug von Neidschaffe ich es jedoch meine Augen von ihr abzuwenden und lieber aufmeine kaputten und abgebrochenen Fingernägel zu starren.
„Ich denke, dass das gutzu dir passen würde", entschließt sich Tiff nach einer Weile undzieht ein schwarzes Stoffteil aus meinem Schrank. Sie breitet es vorsich aus und begutachtet es noch ein letztes Mal, ehe sie es mirschließlich zu wirft. „Wenn wir dazu deine Haare an den Spitzenetwas locken und die Augen dunkel schminken, wäre das einGesamtbild, das mich umhauen würde."
Ich habe mir noch nichteinmal das Kleid richtig angesehen. Ich nicke und fange bereits anmir die Alltagsklamotten vom Leib zu streifen Beim Anziehen desKleides erinnere ich mich jedoch daran, wie ich es gekauft habe undwie üblich versetzt mir das ein Stich ins Herz. Wie das Schicksal esso wollte, war es ein Kleid, welches ich mit meinem Freund damalsgekauft habe.
Als das Kleid schließlichrichtig sitzt und alles zurecht gezupft ist bemerke ich die sichaufbrausende Übelkeit in meinem Magen und das Brennen auf der Hautan den Stellen, die mit dem Kleid in Berührung kommen. Ich will esmir am liebsten wieder vom Körper reißen und in zehntausend kleineStückchen zerfleddern, die damit verbundene Erinnerung gleich mitdazu – aber ich will tapfer sein. Wenigstens heute. Will meinenTravis stolz machen.
„Sieht doch super aus!",komplimentiert sie und klatscht freudig in die Hände, während ichnur unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trete und verunsichertlächle.
Vielleicht ist es dochkeine so kluge Entscheidung heute aus dem Haus zu gehen. Schließlichwerden da sehr viele Menschen sein... und... dieses Kleid...
„Hey, komm schon",schmolle ich und ziehe dabei die Unterlippe vor. „Ich stand vorhinauch jahrelang mit dir in der Technikabteilung und habe daraufgewartet, bis du dich endlich für so ein komisches Spiel entschiedenhast."
Travis verdreht dieAugen und stöhnt dabei entnervt auf. Es ist wahrlich unfair von ihm,sich zu weigern mir dabei zu helfen ein schönes Kleid für denGeburtstag meiner Mutter auszusuchen, während ich ihm doch vorhinnoch die Unterstützung bei den Videospielen geliefert habe.
„Bitte?", setze ichnoch einmal Nachdruck und versuche das traurigste Gesicht zu ziehen,wie es nur geht.
Er wirft einenflüchtigen Blick in meine Augen, dann wandert dieser zu meinenLippen und ab da weiß ich, dass ich ihn an der Angel habe. Er atmettief ein und aus, versucht seine Augen von mir abzuwenden, scheitertjedoch kläglich daran.
Grinsend bedanke ichmich fröhlich, schenke ihm einen flüchtigen, innigen Kuss, bevorich ihn in das Geschäft mit hinein ziehe. Und obwohl Travis meinPackesel ist und ständig die Kleidungsstücke tragen darf, welcheich anprobieren möchte, weicht er nicht von meiner Seite, auch wenner innerlich vermutlich ziemlich genervt ist. Er lässt sich mir zuLiebe nichts davon anmerken, nur weil er will, dass ich glücklichbin.
Schließlich lässt ersich in einen der Sessel vor einer Umkleidekabine fallen. Erleichtertdarüber, endlich sitzen zu können, als ich ihm die Sachen aus derHand nehme. Dabei verlieren sich meine Augen für einen kurzenAugenblick in das schöne Braun seiner Augen. Ich kann nicht anders,als lächelnd „Ich liebe dich" zu sagen.
Unwillkürlichverblasst der genervte Gesichtsausdruck, während er es lächelnderwidert: „Und ich liebe dich, Blaze Smith, und nun geh' endlichin die Kabine." Ich muss leise kichern, als er mir dabei in denHintern kneift, um seine Worte zu unterstreichen.
„Blaze?"
Ich fühle mich betäubt.Kann keinen Gedanken mehr fassen. Werde von dem inneren Sturmerbarmungslos mitgerissen und kann im Augenblick nichts dagegenunternehmen. Ich würde gern schreiend zu Boden fallen, um denSchmerz von mir zu bekommen, aber mein Körper regt sich nicht. MeinGehirn arbeitet nicht. Ich stehe nur blöd herum, hier, in meinemZimmer. Verwandelt in Stein und kann nichts weiter tun, als in dieLeere zu starren.
„Hallo? Blaze?"
Ich spüre wie zwei kleineHände an meinen Schultern, welche mich rütteln. Zwar nehme ichwahr, was um mich herum gerade geschieht, doch ich bin nicht in derLage dazu, auf irgendetwas davon zu reagieren. Als nächstes spüreich sanfte Schläge an meiner Wange. Es fängt nach einigen Malen anzu pulsieren, wodurch mein Gehirn allmählich mit Blut gefüttertwird und es anfängt wieder angemessen zu funktionieren.
Mit flackernden Lidernkehre ich zurück in die Realität und erkenne zunächst das besorgteGesicht von Tiff direkt vor mir. Langsam schüttle ich noch etwasbenommen meinen Kopf, ehe ich mich auf den Rand meines Bettes setze.„Tut mir leid, es ist alles in Ordnung."
Prüfend stemmt sie dieHände an ihren Hüften ab und zieht ärgerlich die Augenbrauenzusammen. „Wirklich? Was war das dann gerade eben? Du warst völligweggetreten!" Ich kann ihre Verärgerung nachvollziehen, dennimmerhin verleugne ich meinen tatsächlichen Zustand immer wieder undschaffe es nicht, wahrheitsgemäß darüber zu reden.
„Ich schätze, ich habeeinfach nur zu wenig Wasser getrunken", lüge ich ein weiteres Mal.
Doch Tiff nicktschließlich verstehend und greift direkt nach der Wasserflasche anmeinem Schreibtisch, um mir diese zu zuwerfen. „Dann solltest duschleunigst deinen Kreislauf wieder in den Gang bringen. Ansonstenfahre ich nirgendswohin mit dir."
Ichfühle mich, als würde man mich wie ein Kleinkind behandeln, aberdennoch drehe ich den Deckel der Flasche ab und führe die Öffnungan meinen Mund, um beinahe schon bockig daran zu nuckeln. Ich kann esnicht leiden, wenn man mit mir umgeht, als hätte ich keinen eigenenVerstand. Aber vielleicht habe ich den zurzeit wirklich nicht. Dieletzten Tage sprechen nicht sonderlich dafür.
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nuttenrot
Teen FictionEs ist tragisch, wenn uns die scheinbar wichtigste Person in unserem Leben plötzlich aus den Fingern entrissen wird. Noch tragischer ist es, wenn man diesen Verlust, diesen Schicksalsschlag auf eine Art und Weise verarbeitet, bei der wir drohen unse...