Kapitel 18: Blutleeres Herz

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Océane

Die anderen schienen die Anspannung zwischen Fynn und mir zu ignorieren, denn sie überredeten uns trotz unseres Verneinens in einen Club zu gehen. Da Yumi sich darauf gefreut hatte, wollte ich ihr diese Erfahrung nicht vermiesen und knickte ein.

Der Club befand sich in einem versteckten Hinterhof und bereits außen erkannte man den Luxus, der ihn umgab. Ich rekapitulierte schnell, wie viel Geld mir blieb. Zum Glück verdiente ich neben dem Studium genug, um mir eine oder zwei solcher Eskapaden zu erlauben.

Innen war es nicht so sehr gefüllt, was mich erleichterte. Die Musik hämmerte und dröhnte in voller Lautstärke, griff an mein Herz, das jetzt im gleichen Rhythmus schlug. Auf dem ganzen Weg zur Disco hatte Fynn eisern geschwiegen. Aus ihm war keinerlei Emotion herauszukitzeln, selbst Min-Ho scheiterte, obwohl er sich mächtig ins Zeug legte, sein Bandmitglied zum Lachen zu bringen oder wenigstens zu ärgern.

Gerade stand er an der Bar und lehnte sich dagegen. Yumi hatte mich auf die Tanzfläche gezogen, wo David seine Tanzküste zum Besten gab. Mein Blick schoss zu Fynn hinüber, der gedankenverloren an einem Cocktail nippte. Plötzlich spürte ich einen starken Schmerz in der Brust, bereute das Drama, das ich eben abgezogen hatte. Also entschuldigte ich mich bei Yumi und ging entschlossen zu Fynn hinüber, um mich zu erklären. Er starrte mir regungslos entgegen, rührte in dem Cocktail, rührte in meinem Herzen. Knapp vor ihm blieb ich stehen, fasste meinen Mut zusammen und schrie über die Musik hinweg: „Es war ungerecht von mir so zu reagieren. Ich hätte deinen Einwand einfach akzeptieren sollen, unbeachtet der Gründe, die dich beschäftigt haben."

„Ja, das war es", erwiderte er ruhig. Der Ernst in seiner Stimme verkrampfte meine Adern und schnürte mir die Luft ab. Ich hatte es verpatzt, und das Schlimmste war, dass ich es mehr bereute, als ich zugeben wollte, als ich vor mir selbst zugeben konnte, ohne mich zu zerstören.

„Kein böses Blut?", fragte ich nach, konnte die Verzweiflung und Unsicherheit in meiner Stimme überdeutlich hören.

Er neigte den Kopf, um mir zu bedeuten, dass zwischen uns alles in Ordnung sein sollte. Erleichtert lächelte ich ihn leicht an, aber konnte die Verletztheit nicht ganz unterdrücken. Schließlich fragte er, um das Schweigen zu überbrücken: „Was trinkst du?"

„Einen Mojito, bitte." Ich zückte mein Portemonnaie, suchte Geld heraus und hoffte, dass es reichen würde, aber Fynn winkte ab und bestellte bei dem Barkeeper. Als Fynn das Getränk bezahlen wollte, schüttelte ich entschieden den Kopf und drückte dem Mann das Geld in die Hand. „Danke, aber das möchte ich mir noch selbst leisten können", murmelte ich.

Fynn schien mich verstanden zu haben, denn er steckte sein Geld wieder ein und musterte mich nachdenklich. „Dieser Laden ist teuer."

Ärger stieg in mir auf und wollte sich nur schwer beherrschen lassen. „Keine Sorge, das können sich Leute wie mir schon hin und wieder leisten", erwiderte ich patzig. Obschon es nicht einfach war, über die Runden zu kommen, war es nichts, um das ich mich schämen musste. Es war etwas, auf das ich sogar mächtig stolz war, denn früher wäre so etwas undenkbar gewesen. Es war ein weiterer Beweis dafür, dass ich nicht mehr unter Sebastiens Fuchtel stand. Nun zu sehen, wie Fynn sein Geld aus dem Fenster warf, machte mich wütend, denn er schien diese Dinge nicht einmal mehr genießen zu können.

Fynn biss sich verlegen auf die Lippe und versteckte hastig die Traurigkeit, die sich in seinen Augen widerspiegelte. Leise, sodass es kaum zu hören war, sagte er: „Du zeigst mir immer wieder auf, wie viel Normalität ich verlernt habe."

Mein Zorn verpuffte auf einen Schlag. Konnte es sein, dass er litt? Konnte es sein, dass er Distanz zwischen uns schaffen wollte, weil ich ihn ständig daran erinnerte, was er tagtäglich für seine Bekanntheit aufgeben musste? Mitfühlend trat ich näher an ihn heran, legte meine Hand an seine Wange, damit er aufschaute. Er versteifte sich unter meiner Berührung, um sogleich mein Gelenk zu umfassen. „Ich brauche kein Mitleid, schließlich habe ich alles", spöttelte er. So wie ich gelang es ihm nicht ganz, seine wahren Gefühle zu verheimlichen. Mir schlug unendliche Traurigkeit entgegen, dass mein Herz stockte.

„Selbst der reichste Mensch kann unglücklich sein", gab ich sanft von mir. „Verurteile dich nicht für deine Gefühle."


Fynn

Sie stand so dicht vor ihm, dass er nicht mehr klar denken konnte. Tausend Gefühle durchschossen ihn, suchten nach Schlupfwinkel, um seine kalte Rüstung zu Rost zerfallen zu lassen. Stattdessen antwortete er brüsk: „Niemals würde ich mich verurteilen. Projiziere nicht deine Gedanken auf mich."

Sie ließ sich nicht einschüchtern, sondern reckte süß das Kinn. Plötzlich wusste er nicht mehr, wie er ihr jemals widerstehen, wie er sich von ihr lossagen konnte. Sie verkörperte all die Alpträume, die er hatte: Ein bedeutungsloses Leben am Rande der Gesellschaft, ein unerfülltes Leben, in dem Musik nur eine Freizeitbeschäftigung war. Ein Leben, in dem Liebe ihren Platz fand. Dieses Loch zerfraß ihn, krallte sich immer mehr von seinem Wesen, um es unvollständig auszuspucken. Einzig die Poesie konnte diese Leere zeitweise wie ein Placebo füllen. Seine Poesie zu verlieren, bedeutete alles zu verlieren, denn es war das einzige, das er verstand. „Vielleicht denkst du, dass niemand anderem etwas fehlt, aber da irrst du."

In ihren Worten schwangen eine Tiefsinnigkeit, eine Lebenserfahrung, derer er sich nicht erwehren konnte, also schwieg er und überließ es ihr, zu entscheiden, was sie glauben wollte.


Océane

Du fehlst mir, flüsterte mein Herz, du fehlst mir.

Wie lange wollte ich mich noch vor der Wahrheit verschließen? Wie lange konnten wir beide noch diese Scharade spielen, bevor unser Band zerschnitten wurde?

Ich fiel in eine unbestimmte Zukunft, eine Zukunft, in der weitere Sebastiens auf mich warteten. Sebastiens, die mich manipulieren, die mein Inneres weiter verschleißen würden, einfach weil sie selbst so kaputt waren oder nie gelernt hatten, wahrhaftig zu lieben. Er hatte alles in mir zerrissen, um mich danach aufzubauen. Auch wenn mein Seele verdreht worden war, so hatte sie in einer bekannten Sicherheit gehaust.

Du fehlst mir, flüsterte mein Herz, und ich wusste nicht, ob es zu Fynn oder Sebastien sprach.

Do you trust me?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt