XVIII.III - Action

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Wie von der Tarantel gestochen schreckte Ivory aus dem unbequemen Krankenhausbett hoch und machte Anstalten, Killian hinterher zu eilen. Die Nadel in ihrem Handrücken hinderte sie jedoch schmerzhaft daran, als sich diese durch die ruckartige Bewegung tiefer in ihr Fleisch bohrte. Ein leiser Schrei verließ ihre Kehle, als sie ohne nachzudenken die Infusionsnadel heraus riss und durch das Zimmer stolperte, während schwarze Flecken vor ihren Augen tanzten.

Mühsam erreichte sie die Zimmertür und hielt sich stützend an der Klinke fest, um nicht umzukippen. Sie musste sich beeilen, sonst wäre Killian verschwunden und würde weiß Gott was tun.
Benebelt ignorierte sie die dicken Blutstropfen, die aus der Einstichwunde auf ihrer Hand sickerten und den Boden benetzten. Stattdessen öffnete sie in Zeitlupe die Tür und stolperte auf den Flur hinaus.

Ihre Sicht war mittlerweile komplett verschwommen, das Blut rauschte ihr in den Ohren und ihr Kopf hämmerte im wilden Takt ihres Herzschlages.
"Killian!", rief sie ihm verzweifel hinterher. Es war ihr vollkommen egal, dass sie wie eine Irre aussah und sich auch so benahm. Sie musste ihn daran hindern, ihren Bruder zu töten!

Als sie verwirrt das Foyer erreichte, entdeckte sie seine Silhouette am Fahrstuhl, weshalb sie ihre letzten Kraftreserven aufbrachte, um ihn einzuholen.
Auf seinem Gesicht erkannte sie Verwunderung gepaart mit Entsetzen. Und obwohl er sah, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, machte er keine Anstalten, ihr entgegen zu kommen.

Aus weiter Entfernung bemerkte sie endlich, wie Angestellte versuchte, sie zum Umkehren zu bewegen, doch alles in ihr zog sie in Killians Richtung. Das konnte nicht das Ende sein.
Innerlich musste sie sich eingestehen, dass ihre Angst, Killian zu verlieren, fast so stark war, wie die Sorge um ihren Bruder. Konnte das überhaupt sein?
Keuchend erreichte sie ihn und klappte vor seinen Augen zusammen, während die Welt um sie herum in Dunkelheit versank.


- Killian -

Dieses dumme Mädchen, dachte er genervt, als zwei Arzthelfer Ivory rechtzeitig auffingen und sie zurück in ihr Zimmer brachten.
Das Läuten des Fahrstuhls holte ihn aus seinen Gedanken zurück und erinnerte ihn an seine bevorstehende Mission, dennoch zögerte er. War seine Entscheidung richtig? Hatte die kleine Jägerin vielleicht Recht gehabt? War er auch bloß ein Killer?

Fragen, die er sich zuvor noch nie gestellt hatte, schossen durch seinen Kopf und hinderten ihn am Betreten des Aufzuges. Er hasste Ivory dafür, dass sie diese Regungen in ihm auslöste, dass sie ihn schwach und emotional machte. Dass er Schuldgefühle bekam.

Im Augenwinkel nahm er wahr, wie sein Vater auf ihn zu kam. Auf einmal schien der Aufzug wie ein netter Ausweg, um nicht mit ihm sprechen zu müssen.
"Was ist passiert?", wollte Savio wissen. Er nahm seine Lesebrille ab und steckte sie in die kleine Brusttasche seines Arztkittels.

"Sie ist verrückt", murmelte Killian abwesend und zuckte belanglos mit den Schultern, als könnte er so seine aufkeimenden Gefühle unterdrücken. Seinem Vater ausweichend wollte er soeben den Fahrstuhl betreten, als er ihm die Hand auf die Schulter legte, wie er es bereits vorhin getan hatte.

Killian hasste die Berührung seines Vaters. Das lag nicht etwa daran, dass er in seiner Kindheit keine körperliche Nähe bekommen hatte, sondern allein an dem unbändigen Hass auf ihn.
Denn er gab seinem Vater die Schuld am Tod seiner Mutter vor einigen Jahren. Und Killian wusste umgekehrt, dass Savio ihn dafür verantwortlich machte.

Grob schob er die Hand seines Vaters beiseite und warf ihm einen boshaften Blick zu.
"Ich gehe jetzt. Ruf an, wenn sie wieder wach ist."
Savios besorgten Gesichtsausdruck ignorierend, verließ Killian endlich den Eingangsbereich und fuhr hinab in die Garage.

Seine Gefühle schlugen in Wut um, als er sich auf den Fahrersitz des Mercedes fallen ließ und den Motor startete. All diese Emotionen verwirrten ihn. Sogar seinem Vater gegenüber empfand er Schuldgefühle, was ihn verdammt zornig machte. Und das alles nur wegen einer kleinen Pseudo-Jägerin, die ihn soeben mit letzter Kraft daran hindern wollte, ihrem Bruder etwas an zu tun.

Aber wenn sie glaubte, dass er Mitgefühl für sie entwickeln würde, dann lag sie ganz schön daneben. Denn es war ihm scheißegal, was sie dachte.
Zumindest versuchte er sich das die ganze Fahrt zum Hafen über einzureden - und es funktionierte.


Er hatte einen Tipp von einem anderen Jäger erhalten, dass es in einer alten Werft am Hafen, die erst vor einigen Wochen geschlossen hatte, vor Seminex nur so wimmelte.
Seine Wut durchs Töten rauszulassen, war jetzt genau das was er brauchte - und wollte.

Wie ein Schatten pirschte er sich an das alte Backsteingebäude heran, sein Nachtsichtgerät half ihm dabei, seine Umgebung akribisch genau beobachten zu können. Er spürte jeden noch so kleinen Windhauch auf seiner glühenden Haut, Adrenalin pulsierte durch seine Adern.
Er gab es ungern zu, aber auch er lebte für das unfassbar machtvolle Gefühl, jemandem das Leben zu nehmen.

War er doch nur ein Killer, wie Ivy es ihm zugeschrieben hatte?
Frustriert schob er den erneut aufkeimenden Gedanken an ihre heftigen Worte beiseite und konzentrierte sich auf seine eigentliche Aufgabe. Heute Nacht durfte er sich keine Fehler erlauben.

Hastig huschte er von einer Wand zur nächsten, immer darauf bedacht, sich im Dunkeln zu bewegen. Als er ein zerbrochenes Fenster erreichte, spähte er hindurch und erkannte augenblicklich mehrere hagere Gestalten, die wie Tiere in einer Ecke kauerten und sich an den Überresten eines toten Körpers zu schaffen machten.
Ekel kroch durch Killians Knochen und er musste sich zusammenreißen, um sich nicht zu übergeben.

Insgesamt zählte er sechs Nex, aber das bedeutete nicht automatisch, dass nicht noch mehr von denen in den dunklen Ecken lauerten.
Doch heute entschied sich Killian, seine Strategie zu ändern. Er wollte eine Herausforderung.
Anstatt also vorsichtig und bedacht vor zu gehen, wie er es sonst tat, ging er auf volles Risiko und schoss gezielt durch das kaputte Fenster hindurch, direkt in den Hinterkopf eines Schwarzbluts.

Durch den Schalldämpfer an seinem Sturmgewehr bemerkten die Monster erst spät, dass sie angegriffen wurden. Währenddessen hatte Killian genug Zeit, noch zwei weitere abzuknallen und seine Position zu ändern.
Wildes Fauchen klang durch die Nacht und schickte einen kalten Schauer über seinen Rücken.

Mit schnellen Schritten eilte er ums Eck des Gebäudes und beobachtete die Seminex, wie sie zombie-artig aus der Werft rannten, um nach ihm zu suchen.
Er erwischte die letzten drei, wurde jedoch von seinem Triumph abgelenkt, als er weitere Schritte hinter sich bemerkte.

In Windeseile drehte er sich um und schoss einer jungen Frau direkt zwischen die Augen. Schwarzes Blut sickerte aus dem Einschussloch, während sie zu Boden sank und den Blick auf ein duzend rote Augenpaare frei gab.
Killian rutschte das Herz in die Hose. Er war so was von am Arsch.

Noch bevor er zwei weitere Treffer landen konnte, erreichte ihn einer der Schwarzblüter und fletschte seine Zähne, um sie in seinem Arm zu versenken. Hastig ließ Killian seine Waffe sinken, zog zwei Wurfmesser aus seinem Ärmel, stach dem Monster eines in den Hals und warf das andere gezielt in das Herz eines weiteren Opfers.

Leider nur hatte Killian das Gefühl, dass sich mit jedem Toten die Anzahl der Nex verdoppelte. Scheinbar war er auf eines der Nester gestoßen, würde jedoch nicht lange genug leben, um diese Information weiter zu geben.
Verzweiflung versuchte sich einen Weg in sein Gehirn zu bahnen, doch er verbot sich alle negativen Emotionen, sonst hätte er nicht den Hauch ein Chance.

Gerade als drei weitere Schwarzblüter mit übermenschlicher Geschwindigkeit auf ihn zu rannten und Killian sich innerlich schon von seinem Leben verabschiedete, hallten laute Schüsse durch die Nacht.
Ehe er sich nach dem Schützen umsah, erledigte er noch das restliche Pack in einigen Metern Entfernung.

Die plötzliche Stille drückte ihm auf die Ohren, doch er wusste, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war.
In der Dunkelheit konnte er eine Gestalt ausmachen, die gerade von einem Container heruntersprang und auf ihn zu kam.
"Damien?", flüsterte Killian völlig verdutzt, als er sein Gesicht erkannte.

Mit einem schiefen Grinsen erreichte ihn Ivorys bester Freund, doch Killian bemerkte, dass sein Lächeln nur aufgesetzt war.
"Cooles Nachtsichtgerät", bemerkte er trocken und ging an ihm vorbei in die Richtung, aus der die Nex gekommen waren.
"Dann lass uns den Laden mal hochnehmen!", rief Damien begeistert.


Jägerin Band 1 - Zwilling *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt