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pov. jeongguk

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Auch wenn ich es eigentlich nicht vorhatte, fand ich mich einige Tage später in dem Buchladen wieder. Diesmal war es draußen wärmer, die Leute schienen eher an den kleinen Eiscafés - salons de crème glacée - interessiert, als an dem schäbigen, staubigen Buchhandel.

Um ehrlich zu sein hätte ich es auch sehr genossen, eine Kugel des zartschmelzenden Zitroneneises, für das der Laden so bekannt war, auf meiner Zunge zergehen zu lassen, doch warum nicht auch ein Buch dazu lesen?

Ich war also erneut in Stephanes kleines Buchlädchen eingetreten, weshalb er sich wahrscheinlich schon wunderte, es war der bereits vierte Besuch binnens drei Tagen.

Mit dem Vorwand, eine gute Lektüre für meine Tante aus der Normandie zu kaufen, stand ich also wieder vor dem besagten kleinen Tischchen, starrte auf das dünne Heft, musterte es und stellte schließlich fest, dass es fast unberührt genauso wie am vorigen Tag da lag.

Unter welchem Vorwand er es wohl geschrieben hatte? Insgeheim traute ich es mir nicht einzugestehen, dass ich mir wünschte, er hätte es nur für mich verfasst.

Allerdings widersprach die Veröffentlichung meinem Gedanken, er wollte seine Schreibhand wohl offen für alle darlegen. Sich mit dem Beruf eines Autors selbstständig zu machen, passte zu ihm. Er war schon immer ein Träumer und Denker gewesen, verhalten und dennoch nicht zu schüchtern, um bemerkenswerte Courage an den Tag zu legen.

Ich hatte immer geglaubt, dass ich wohl nie Leute mögen würde, die viel Zeit mit Büchern verbrachten. Für mich schien es so, als ob sie etwas verschweigen würden. Sie versteckten, wer sie wirklich waren.

Das hatte mir immer Angst gemacht. Der Gedanke daran, dass Taehyung mir verschwieg, wer er wirklich war, hatte mir Angst gemacht.

Und dennoch hatte die Zuneigung und das Verlangen nach seiner Selbst mich dazu veranlasst, meine Vorstellungen und Befürchtungen fallen zu lassen und mich nur ihm allein hinzugeben. Ich hatte ihn geliebt.

Deswegen reizte mich die Vorstellung von einem Paket aus England, welches sich als ein Bündel seiner handgeschriebenen Gedichte entpuppte, die ich nacheinander einzeln lesen konnte. Gedichte, die er nur für mich geschrieben, nur für mich verpackt und nur für mich gesendet hatte.

Der Gedanke daran, dass er mich nie vergessen hatte, ließ mich nostalgisch an ihn zurückdenken.

Meine Blicke wanderten kurz umher, bevor ich nach dem Buch griff. Ich fühlte mich ertappt und ein wenig schuldig, als ich das Heft in meinen Händen hielt. Sollte ich es wirklich lesen? Mit nach Hause nehmen, es mein Eigen nennen?

Ich wünschte mir nichts sehnlicheres, als ein Stück von ihm wieder in mein Leben rufen zu können, doch erinnerte ich mich nur allzu gut an den Tag, wo er bewusst aus meinem getreten war. Es war seine Entscheidung gewesen, mich zu verlassen, mich zu vergessen.

Er hatte seine Entscheidung wahrscheinlich bewusster als ich getroffen. Für ihn gab es mehrere Gründe, mich zu vergessen.

Doch ich selbst hatte nur einen einzigen Grund gehabt, ihn aus meinem Leben zu schaffen: weil er mir keine andere Wahl ließ.

Weil er mich vergessen wollte, blieb mir gar nichts anderes übrig, als es ihm gleich zu tun und ihn stattdessen für seine Taten zu hassen. Ihm hinterher zu laufen wäre kindisch gewesen. Ich hasste ihn, obwohl ich ihn eigentlich so sehr geliebt hatte.

Das Heft lag auf einmal schwer wie ein Eisenklotz in meiner Hand, hemmte mich es aufzuschlagen, doch ich konnte es auch unmöglich wieder an seinen Platz zurücklegen. In Ungewissheit leben oder an seinen Worten zerbrechen?

An seinen Worten zerbrechen? Hatte ich das denn je getan? Ich hatte mich vielmehr in ihnen verloren. Ich hatte es geliebt, wenn er mir die schönsten Geschichten erzählt hatte, obgleich sie wohl eher süßes Gift waren.

Es mussten wohl weit über einhundert gewesen sein, so wie in Boccaccios Il Decamerone, das Zehntagebuch, aus dem er mir manchmal vorgelesen hatte, wenn ich ermüdet war. Von den sieben jungen Frauen, die in die Stadt des Todes flohen um mit drei anderen Männern auf einem Landgut zehn Tage zu verbringen.

Ich erinnerte mich noch gut.
Seine Hände auf meinem Schoß, mein Blick auf seinem Gesicht, unsere warmen Füße, die sich an den Ballen leicht berührten, während wir in der Mittagssonne unter den Aprikosenbäumen faulenzten.

Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als ich an die gemeinsamen Stunden zurückdachte. Wie jung und unbeschwert ich in diesem Sommer gewesen war, war durch meinen Frust ganz in Vergessenheit geraten. Seine Stimme hatte mich an Orte versetzt, von denen ich nicht einmal zu träumen vermochte.

Obgleich ich durch seine geschriebenen Worte in die Stadt des Todes reisen müsste, der Gedanke an die betörenden Sätze, die mir wohl bevorstanden, ließen meine Zweifel versiegen.

Wenn er nur halb so schön wie damals schreiben würde, wäre es mir genug.

Ich legte das Buch auf Stephanes Ladentisch, ließ es mir auf meines Vaters Rechnung schreiben und trat mit einem etwas schwererem Beutel wieder hinaus auf die Straße.

Die Sonne brannte immer noch hoch am Himmel auf das Kopfsteinpflaster herab, doch die Schlange vor dem Eiscafé schien sich ein wenig verkürzt zu haben. Gegen eine Kugel Zitroneneis war wohl tatsächlich nichts einzuwenden.



[26/01/19]

thanks for reading.

je t'aime | taeggukWo Geschichten leben. Entdecke jetzt