pov. jeongguk:
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Ich wollte ihn verstehen.
Ich wollte nachvollziehen, warum er so einfach von mir abgelassen hatte. War es nur wegen seiner Eltern gewesen? Wegen ihm selbst? Oder war doch ich an der Tragödie schuld gewesen?
Ich konnte mich an nichts erinnern, was ihn hätte von mir stoßen können. Hatte ich einen Fehler gemacht und diesen erfolgreich verdrängt? Oder nahm er mir etwas übel, was ich selbst als völlig verständlich betrachtete?
Er hatte sich nie wieder bei mir gemeldet.
Ich hatte immer auf eine Art Antwort von ihm gewartet, dass er mir eine Karte aus England schickte, mir einen Brief zukommen lassen würde. Nichts kam. Manchmal hatte ich mir nichts sehnlicheres als Post von ihm gewünscht, vor allem dann, wenn Madame Dubois mich wegen der Briefe rief.
"C'est pour toi, mon coeur.", hatte sie immer gesagt, mir zugelächelt und ihre Finger durch meinen Haarschopf gleiten lassen.
Ich hatte ihr verkrampft lächelnd zugenickt, bevor ich mich aus ihrem Griff gewandt hatte und den Brief möglichst langsam und mit viel Desinteresse entgegennahm. Dann war ich noch kurz im Wohnzimmer geblieben, bis sie das Gespräch mit meiner Mutter beendet und wieder in die Küche gegangen war, um später die Treppen zu meinem Zimmer hinaufzuschnellen und mich aufs Bett zu werfen, nur um zu sehen, dass es ein weiterer Brief von Aurelie war.
Manchmal hatte er doch tatsächlich von sich hören lassen. Meist in den Augenblicken, in denen ich es nicht für möglich gehalten hatte. Er hatte mir Nachrichten per SMS geschrieben, ich hatte damals ein uraltes Tastenhandy gehabt, ein Bildschirm ein bisschen größer als eine Daumenkuppe.
Es waren vier gewesen. Vier Nachrichten, verteilt auf zwei Jahre. Danach hatte er sich nicht mehr hören lassen.
Im ersten halben Jahr meldete er sich gar nicht, doch einige Wochen nach Neujahr bekam ich die erste Nachricht von ihm. Ich hatte meine Prüfung bestanden und war drauf und dran, mich bei den verschiedensten Firmen zu bewerben, völlig im Stress, sodass der vergangene Sommer völlig in Vergessenheit geraten war.
"without you, it's different."
Ich war nach diesen Worten in ein tiefes, schwarzes Loche gefallen. Ich wollte niemanden sehen und von niemandem gesehen werden. Was wollte er mir damit sagen? Dass es ohne mich besser war? Dass er von mir losgelassen hatte, und es ihm jetzt besser ging? Oder dass er diesen Sommer, die Zweisamkeit vermisste? Dass er mich vermisste?
Vielleicht hatte er sich insgeheim eine Antwort auf seine Nachrichten erhofft. Aber ich hatte ihm nie zurück geschrieben. Ich hatte mich in meine Welt eingepuppt. War entweder zu Hause geblieben und hatte den Schmerz auf mich wirken lassen, oder war ausgegangen, um meine Sorgen in Alkohol zu ertränken oder mit Sex zu stillen.
Vieles war anders geworden, seit diesem Sommer. Die zweite Nachricht von ihm kam einige Monate später. Es war Frühsommer, trocken und heiß, ich erinnerte mich noch an die extrem hohen Temperaturen, die Dürre machte vielen Bauern und Landwirten zu schaffen.
"I'm sorry for the things I said when it was winter. It's summer. Go out and meet new people."
Ausgehen schien mir wirklich eine gute Lösung auf all den Schmerz in meiner Brust, den ich nach seiner Nachricht empfand. Ich hasste es, dass er mich dazu bringen wollte, ihn zu vergessen, ich verabscheute es. Noch weniger mochte ich es aber, dass er genau wusste, wie sehr ich an ihm hing und ihn nicht loslassen konnte.
Die nächste Nachricht bekam ich im November. Es war verregnet und trübgewesen, grau und schmutzig. Über die Stadt hatte sich eine merkwürdige Stille gelegt, jedermann schien zu merken, dass es langsam Winter wurde.
"Do you still think of me?"
Natürlich dachte ich noch an ihn. Ich würde ihn wohl niemals loslassen können. Allerdings war ich zu der Zeit auch viel zu stolz gewesen, um all meinen Schmerz zuzugeben. Es zerbrach mich jedes mal, wenn er mir schrieb.
"I say 'sorry' a lot. Mostly because i feel like everything is my fault."
Er hatte nie um Entschuldigung oder Verzeihung gebeten. Nie bei mir. Warum log er mich an? Es machte mich wütend, dass er sich nie bei mir entschuldigt hatte, noch wütender war ich auf mich selbst, dass ich ihn auch nie um Verzeihung gebeten hatte.
Ich schlug die Decke zurück, tapste unbeholfen im dunklen einige Schritte durch mein Zimmer, bevor ich eine kleine Kiste aus dem untersten Schieber meines Schreibtisches hervorkramte. Ich nahm den Deckel ab, bevor ich das schwarze Gerät in meinen Händen hielt.
Das Tastenhandy von damals lag schwer in meiner Hand. Ich konnte es nie wegwerfen, obwohl es eigentlich unbrauchbar geworden war. Doch es war das einzige, was mich an Taehyung erinnerte.
Ich klappte den Bildschirm auf, öffnete den Ordner Nachrichten, und sofort sprangen mir die alten SMS' entgegen, die er mir geschrieben hatte.
Das war also das einzige, was mir von ihm geblieben war.
In meinen Augen sammelten sich Tränen, als ich auf den hellen Bildschirm starrte, ich versuchte, durch die verschleierte Sicht die Buchstaben ausfindig zu machen, versuchte, die ersten Tränen wegzublinzeln, doch sie liefen stattdessen über meine Wange.
Meine Zunge wurde schwer, ich biss mir in die Innenseite meiner Wange, bevor ich die andere Hand vor meinen Mund legte, um meine Schluchzer zu ersticken.
Auch wenn ich vor einigen Sekunden noch vor der Schublade gehockt hatte, gaben meine Beine nun nach und ich sackte auf dem Boden zusammen, kauerte mich neben mein Bett, schlang meinen freien Arm um meine Beine, die ich eng an mich zog.
Das Tastenhandy lag neben mir, während ich meinen Kopf in meinen Knien vergrub, die Tränen stumm über meine Wangen laufen ließ.
Ich hatte alles verspielt. Alles, was mir von ihm geblieben war, waren diese mickrigen Nachrichten auf einem uralten Handy. Ich konnte ihn nicht vergessen. Sonst hätte ich seine Nummer schon längst gelöscht.
[10/2/19]
thanks for reading.
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je t'aime | taegguk
Romance"Du schreibst wieder?", fragte ich ihn. "Immer ein wenig." - "Worüber?" - "Das, was mir geradezu im Kopfe kreist." - "Darf ich es lesen?" . boy x boy ; german. in which kim taehyung wrote a secret poetry book to remember the purest love he ever h...