Kapitel 6 - Die Drachenlanden sind gefallen

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Teil 2:

Doch stattdessen landeten sie nach einer gefühlten Ewigkeit vorsichtig mitten auf einer Wiese und noch indes Anela sich aufrichtete, um sich zu orientieren, eilten einige Gestalten auf den Drachen zu zu. Alles geschah so schnell, einige der Zauberer nahmen sich Aldereck an und machten Anstalten, ihn fortzubringen. 

„Halt!", kreischte Anela panisch. „Er ist mein Bruder."

„Gewiss Mylady.", besänftigte Andrasil sie, der zu ihr gekommen war und ihr beinahe väterlich eine Decke um die Schulter legte. 

„Nein,", sie riss sich los. Rannte einige Schritte hinter den drei Männern her. 

Zwei Elfen hatten Aldereck in ihre Mitte genommen. Er war kaum mehr fähig zu gehen, so hatten sie sich die Arme ihres Bruders um die Schultern gelegt. „Nein. Er ist mein Bruder!" Sie konnte nicht dabei zusehen, wie man ihn wegbrachte. Sie fiel, weil ihre Beine nachgaben und kam hart mit dem Kopf auf dem Boden auf. 

„König Reikja!", die Stimme Andrasils war tief und ruhig, als er ihr eine Hand hin hielt, um ihr aufzuhelfen. „Euer Bruder ist stark verletzt, hat viel Blut verloren und ist kaum mehr bei Bewusstsein. Glaubt mir, Euer Wunsch, ihn nun bei Euch zu wissen, ist natürlich. Doch er muss so schnell wie möglich behandelt werden. Wir müssen herausfinden, welche Wunden er davon getragen hat, wie schlimm sie sind und wie wir ihm an besten helfen können. Und dann wird sich jeder Zauberer, den wir abstellen können um das Leben Eures Bruders kümmern." Der alte Zauberer erklärte all dies sachlich und das holte Anela in die Realität zurück. Sie nahm die ihr angebotene Hand an und fand sich kurz darauf auf ihren wackeligen Beinen wieder. „Er ist in den besten Händen. Die beiden Elfen sind meister in der Kunst des Heilens."

Anela blickte noch so lange hinter ihrem Bruder her, bis die Tür des Turms ins Schloss fiel.
Dann erschien der junge Zauberer neben ihr, murmelte, dass er Ivanok hieße und beide nahem sie Anela mit in eine Hütte im Wald. 

„Anela?" Sprach Andrasil sie an. Die beiden Männer hatten ihr angewiesen, auf einem schmalen Bett Platz zu nehmen. Statt Andrasil anzusehen, zog sie die Decke fester um ihre Schultern. Es wirkte auf sie, als seien sie Teil einer anderen Welt und würden aus dieser Ferne mit ihr sprechen. Die Tränen in ihren Augen waren schon lange getrocknet, doch die Bilder hatten sich dort eingebrannt. Leichenberge, tote Soldaten, dessen Körper im Schlamm liegen, zertrampelte Banner, die unzähligen toten Drachen, ihre tote Mutter.   

„Ihr müsst uns alles berichten, Mylady." Ivanok erschien in ihrem Blickfeld und langsam hob Anela den Kopf, um ihn anzusehen. Ihre Kiefer pressten sich zusammen, sodass eine pochende Ader an ihrer Schläfe hervor trat. Ihre eiskalten Hände ballten sich zu Fäusten. Es gab so Vieles, von dem sie den Zauberern berichten könnte. All die Bilder, das fast greifbare Grauen, den Gestank, doch nichts davon wollte ihr über die Lippen gehen. Könnten sie alle noch leben, wenn die Zauberer ihr Wissen bezüglich der Bedrohung mit den anderen Bewohner Patriams geteilt hätten?   

„Alle tot." Murmelte sie nach einer Ewigkeit mit kalter Stimme, „Die Drachenlande sind gefallen."  

„Ivanok, komm." Begann Andrasil und erhob sich, „Wir sollten Ihr etwas Ruhe gönnen." 

Benommen saß sie an jener Stelle, an der die Zauberer sie alleine zurück gelassen hatten. Sie wusste nicht, ob sie deshalb dankbar sein sollte oder nicht. Sie fühlte sich so sehr neben sich, dass sie gar nichts mehr zu wissen glaubte. Sie konnte nichts tun. Sie konnte sich nicht erheben, nur sitzen und ihren bitteren Gedanken nachgehen. Anela konnte nicht einmal weinen. Ihr fehlte jegliche Kraft, um überhaupt nur eine Träne frei zu lassen. 

Eine unbekannte Schwere hatte von ihrem Körper Besitz ergriffen. In ihren Gedanken gab es nichts, als die Bilder aus ihrer Heimat und die damit verbunden Schmerzen. Ihr Herz hing in der Schwebe. Es fühlte sich an, als sei es nur noch halb und nirgendwo mehr beheimatet. Alric war tot und lag nun mit unzähligen weiteren Leichen vor der Festung, nicht einmal richtig bestattet. Ihr Bruder, ihr geliebter Bruder. Ihr bester Freund und Berater, der immer an meiner Seite gestanden hatte. Es fühlte sich an, als sei auch ein Teil ihrer Selbst in den Drachenlanden gestorben! Stumm brachen endlich die Tränen aus ihren brennenden Augen. Doch sie brachten nicht die so dringend erhoffte Erleichterung! 

Reikja - Der UntergangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt