Kapitel 2 - Das war es noch nicht

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Teil 2:

Der nächste Morgen kam schnell, viel zu schnell und als Lisea das Zimmer betrat, weckte sie Anela aus einem unruhigen, traumlosen Schlaf. Sie entschuldigt sich leise, doch auch wenn Anela sich wünschte, es wäre anders, wusste sie, dass es ohnehin Zeit war, das Bett zu verlassen und sich für die Sitzung bereit zu machen. Vor dem Fenster war die Sonne bereits weit empor gestiegen. Sie verströmt eine wohlige Wärme und ließ feien Staub in den Strahlen tanzen. Auch das Kreischen der Möwen war schon zu vernehmen und brachte ein unterschwelliges Geräusch rauschender Wellen mit sich, das Anela nur noch vornehm, wenn sie sich bewusst darauf konzentrierte.   

Liesa stellte ein Tablett mit Frühstück auf den Tisch, auf dem noch immer Alrics Unterlagen lagen. Dann verschwand sie wieder und Anela war sich bewusst, dass die Zofe alsbald zurückkäme, wenn es Zeit war, sie einzukleiden. Sie sollte also die Zeit nutzen und ein wenig von dem üppigen Frühstück zu sich nehmen, wenn sie noch etwas Nahrung in ihren rumorenden Magen bringen wollte. Es war gut möglich, dass es nicht ihr Hunger, sondern der Reikjas war, doch sie war noch zu müde, um sich dessen bewusst zu werden.   

Sie schlug die Decke beiseite und löste zunächst die Binden um ihre Unterarme. Im Vergleich zum gestrigen Abend sehen sie bemerkenswert gut aus und auch der Schmerz war kaum mehr existent. Dennoch wusste sie, dass Liesa ihr heute ein langes Gewand mitbringen würde, da sie diese Wunden nicht offen vor dem Rat zeigen sollte. In ihrem Kopf hallte schon die Stimme ihres Bruders „Du bist einen Königen in einer heiklen Situation. Du darfst keine Schwäche zeigen."

Und sie lächelte stumm in sich hinein. Sie liebte ihren Bruder und sie schätzte sein Wissen und seinen Rat, das stand für jeden außer Frage, der die beiden Geschwister kannte. Doch von Zeit zu Zeit wünschte sie, er hätte nicht immer Recht und ebenso wünschte Anela, dass er ein bisschen weniger anstrengen wäre. Doch musste sie ihm dies wohl verzeihen, denn sie wusste, diese Sorge um sie, ihr Ansehen und ihren Ruf resultiert aus der Liebe, die er ihr gegenüber empfand.  

Anela setzte sich auf und verließ ihr Bett. An einem Bettpfosten hing ein silberner Morgenumhang, den Liesa wohl gestern Abend noch dort platziert haben musste. Sie streifte ihn über. Weich legte er sich an ihre Haut und so begab sie sich zu dem Tisch und begann langsam das Frühstück zu essen, das Liesa dort platziert hatte.

Derweil sie da saß und schweigend aß, fiel ihr Blick auf ein altes Buch. Alric musste es aus der Bibliothek des Palastes geliehen haben, die viele Völker nutzten, um ihre Schriften und Geschichten unter zu bringen und sicher sein zu können, dass diese dort lange verwahrt würden. Vorsichtig nahm sie es zur Hand und fürchtete fast, dass der ledrig, alte Einband in ihren Fingern zerfiel. Auch als sie das Buch wahllos in der Mitte öffnete, wies es Spuren der vielen Jahre auf, die es schon auf dem Buckel hatte. Die Seiten waren gelblich und die Schrift teilweise verblast oder gar nicht mehr lesbar. Anela vermutete, dass es aus den dunklen Zeiten stammte. Als sie durch blätterte, begegneten ihr alten Geschichten von Helden aus diesem Krieg gegen eine unbekannte, dunkle Gefahr, die in jeder Erwähnung in diesem Buch nur die Monster oder die Dunklen oder Jene genannte wurden. Was genau sie waren, stand nirgendwo vermerkt und auch in den Legenden, die man sich erzählte, hatten sie keine anderen Namen. Indes Anela gerade einen Apfel aß, stieß sie auf einen Seite, in der sich ein Lesezeichen befand, das ihr bekannt war. Es ist ein ledernes Band mit einem eingravierten Drachenkopf. Neugierig sah sie sich an, was mein Bruder für so wichtig hielt, um sich die Seite zu merken.

Reikja - Der UntergangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt