Zweiundzwanzigstes Kapitel - Wo ist sie?

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Lichter, Stimmengewirr, das Piepen von einem Monitor. Schmerzen, Taubheit, eine kontinuierliche Frage: Wo ist sie?

Jemand schreit etwas, Dunkelheit, aufwachen, einschlafen und wieder von vorne. Die wie mein Pulsschlag hämmernde Frage in meinem Kopf: Wo ist sie?

Es gab nicht viel, woran ich mich erinnerte. Daran schon. Die Sorge, die Ungewissheit, die Frage nach Waters Aufenthaltsort. Ganz gleich wie stark die Schmerz in meinem Körper auch tobten, das was stärker. Ich hatte sie im Stich gelassen. Das Letzte was meine Augen gesehen hatten, war wie er sie mit sich nahm, während ich sterbend am Boden zurückgeblieben war.

Als ich dann endgültig aufwachte, beinah unbeweglich, verbunden bis zum Brustbein, auf der Intensivstation liegend, erzählte Chief Stryder mir, das eine Krankenschwester die, zum Glück nur bewusstlosen Cops auf dem Flur hatte liegen sehen und angerannt kam, um zu herauszufinden, was geschehen war. Man fand mich ausblutend auf dem Boden. Zum Glück reagierte das Personal schnell. Sie brachten mich in den OP und flickten zusammen, was er zerstört hatte. Zumindest was das körperliche Betraf. Denn die Schuldgefühle, welche in mir aufstiegen, als ich mich danach erkundigte, wo Sally war und seine Worte nicht das waren, was ich mir naiver Weise erhofft hatte, ... das konnte niemand so einfach reparieren. Manche Dinge, kann man nicht wieder in Ordnung bringen. Weder mit Medizin, noch einem guten Wort oder Rat.

„Wir wissen es nicht Aiden. Er hat sie mitgenommen", gab der Chief mir die erbahmungslose Gewissheit, dass ich Sally Waters verloren hatte.

Mein Kiefer knirschte, als ich wütend die Zähne zusammenbiss. Ich war nicht wütend auf meinen Chief oder den Täter. Ich war wütend auf mich selbst. Wütend, weil ich, wir, uns aus diesen dämlich Plan eingelassen hatten. Wütend, dass er mich erwischt hatte. Wütend, dass er wieder davongekommen war. Wütend, dass er ein neues Opfer in seinen Fängen hatte und ich rein gar nichts dagegen unternehmen konnte. Nicht solange ich an dieses Bett, mit all seinen Maschinen, gefesselt war.

„Was ist mit Amanda?"

Ich musste fragen. Ein Teil von mir musste wissen, dass es nicht vollkommen umsonst gewesen war. Das Sallys Opfer etwas gebracht hatte. Das sie ein Leben retten konnte, wenn es auch nicht ihr Eigenes gewesen war.

„Es geht ihr gut. Wir glauben, dass ...", Stryder brach ab.

„Das was?", knurrte ich.

Der Mann zu meiner Rechten seufzte und schaute traurig auf mich herab.

„Wir glauben, dass Sally ihm gereicht hat. Er wollte sie Beide, aber Sally scheint für ihn wichtiger gewesen zu sein. Vermutlich, weil er sie damals nicht entführen konnte und sie anschließend auch noch Amanda von ihm wegbrachte."

„Was denken Sie, was er mit ihr machen wird? Gehen Sie davon aus, dass er ihr das Selbe antut, wie Amanda?"

Ich kannte die Antwort bereits. Dennoch, ich musste es von jemand Anderem hören. Auch wenn ich es nicht wollte. Manchmal war die grausame Wahrheit nur dann zu fassen, wenn man sie bestätigt bekam, denn vorher waren es bloße Albträume, ohne Hand und Fuß.

„Ich glaube, dass Amanda und die Anderen kein Maß sein werden, für das was ihr bevor steht", erklärte Stryder und verzog dabei angewidert das Gesicht.

Der Schmerz über diese Gewissheit stand ihm in die leicht trüben Augen geschrieben. Es war offensichtlich, dass er die junge Frau mochte und äußerst besorgt war. Es war mir unerklärlich, wie er sie in derart kurzer Zeit so sehr in sein Herz geschlossen hatte, aber es war passiert. Auch wenn ich die Gründe dafür nicht kannte, war ich froh darüber. Hätte er sie nicht gekannt, sie nicht gemocht und nicht gewusst wie wichtig sie war, hätte er vielleicht die Suche nach kurzer Zeit abgebrochen. Doch so stand er bei mir und machte sich höchstwahrscheinlich die gleichen Vorwürfe wie ich. Wir hatten sie Amandas Platz einnehmen lassen. Wir hatten geglaubt und ihr versichert, wir könnten sie beschützen. Aber wir lagen falsch. Er hatte uns überlistet, war stärker gewesen als wir und den Preis für unser Versagen, bezahlte nun eine Zivilistin möglicherweise mit ihrem Leben.

„Wir müssen sie finden. Die ersten 48 Stunden sind entscheidend. Das wissen Sie", stellte ich fest und richtete mich trotz explodierender Schmerzen in meinem ganzen Körper auf.

Ich wollte aufstehen, auch wenn mir noch unklar war wie ich es schaffen sollte, aber der Chief drückte mich mit einem festen Griff in meine Schulter zurück ins Bett.

„Walker, es ist zu spät", sagte er leise und ließ seine schwere Hand dabei wo sie war.

„Was soll das bedeuten? Was soll das heißen?!", brüllte ich ihn fast an.

„Aiden, Sally wurde vor bereits 4 Tagen entführt."

Schockiert keuchte ich auf. Vier Tage? Keine Spur, kein Verdacht? Verdammt, wo war sie? Unter anderen Umständen hätte gesagt, dass niemand einfach Spurlos verschwindet, aber der Fall Amanda Clark hatte mich erst kürzlich etwas anderes gelehrt. Dennoch. Wie konnte sie einfach so weg sein?

Zwei Stunden später musste ich feststellen, dass ich nicht der Einzige war, der sich das fragte. Stryder war längst gegangen, nachdem er mir den Befehl gegeben hatte zu bleiben wo ich war, als Amanda in meinem Zimmer auftauchte.

Man brachte sie in einem Rollstuhl herein, da sie nach wie vor nicht in der Lage war zu Laufen und ließ uns dann in dem dunklen Raum alleine.

„Wie geht es Ihnen?", fragte sie nach einer Weile schwach und mit dünner Stimme.

Ich sah sie an und stellte dabei fest, dass sie besser aussah. Ihr Gesicht war beinah vollständig verheilt. Ein weiteres Indiz dafür, wie lange ich nicht auf dem Laufenden gewesen war.

„Das wird wieder. Und Ihnen?"

„Ich weiß es nicht", gestand sie unter Tränen.

Hilflos sah ich es mit an. Ihre Trauer. Die Verzweiflung und Hilflosigkeit. Sie trug alles nach Außen, was ich in meinem Inneren fühlte. Doch es war nie meine Stärke gewesen mit solchen Situationen umzugehen. Also lag ich da und wartete darauf, dass sie sich beruhigte. Wie ein Feigling der Angst vor Regen hatte und sich bei einem Sturm lieber unter ein schützendes Dach stellte, statt weiter seines Weges zu gehen.

„Wo ist sie? Er hat sie, oder?"

„Ja, es tut mir Leid", sagte ich.

„Warum sagen Sie das?", fragte sie schniefend und wischte sich über das Gesicht.

„Ich war zu langsam. Er hat mich kalt erwischt. Und jetzt ... jetzt hat er sie und tut ihr Gott weiß was an."

Amanda reagierte anders als erwartet. Sie schrie mich nicht an, bezichtigte mich nicht der Schuld, die ich auf mich geladen hatte. Stattdessen griff sie nach meiner Hand, drückte sie leicht und sah mich mitfühlend an.

„Es ist nicht ihre Schuld. Sally ist stark. Sie wird das überleben, aber Sie müssen sie finden. Dieses Mal kann sie nicht die Retterin sein. Sie müssen sie finden und da rausholen, bevor es für sie keine Zukunft mehr gibt."

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt