Zweiundvierzigstes Kapitel - Entgegen besseren Wissens

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„Den Eindruck habe ich allerdings auch", gab Price zurück und lächelte mich dabei vielsagend an.

Kurz fragte ich mich, was sie wohl dachte, wurde aber davon abgelenkt, dass die Profilerin sich von mir ab- und stattdessen der Wand hinter ihr zuwandte.

„Es ist leider weniger als wir uns erhofft hatten, nachdem wir Kepplers zweites Grundstück auf den Kopf stellten. Zwar haben wir einiges über seine Opfer gefunden, Fotos, Post, alles was er über sie bekommen konnte in der Zeit, in der er sie überwachte, bevor er sie sich schnappte, aber kaum bis nichts über ihn selbst oder seine Komplizen."

Bemüht mich innerlich von dem zu distanzieren, was ich zu sehen bekam, studierte ich aufmerksam die Beweise. Zu meiner eigenen Überraschung aber auch Erleichterung, fand sich kaum etwas über mich, was zu der Annahme führte, dass ich gerade erst in Kepplers Visier geraten war und durch Amanads Fall sein Opfer zu diesem Zeitpunkt wurde.

Über ihn selbst fand ich tatsächlich so gut wie nichts. Durch die Autopsie hatte sein Alter herausgefunden, durch Detektivarbeit wo er eingekauft und das er keinerlei Freunde oder eine Beziehung gehabt hatte. Aber darüber hinaus, hatten sich sämtliche Angaben als Falsch herausgestellt. Weder sein Geburtsort oder –datum, welche auf Führerschein und Ausweis standen, schienen korrekt zu sein. Nachbarn waren befragt worden, aber niemand hatte etwas über Mason sagen können, was nicht selten war, angesichts der Tatsache, dass sie Meilen von einander getrennt wohnten.

„Das ist tatsächlich deprimierend wenig", stellte ich fest und starrte dabei auf ein Bild das man von Keppler gefunden hatte.

Es war vielleicht ein paar Jahre alt, aber unverkennbar das Monster, was mich Wochen lang gequält hatte.

„Sally, Sie müssen sich das nicht anschauen, dass wissen Sie, oder? Sie haben bereits so viel getan. Vielleicht sollten Sie jetzt an sich denken", holte Price mich aus meinen düsteren Gedanken.

Tief durchatmend löste ich meinen Blick von Mason und schaute die Frau an meiner Seite an.

„Danke. Aber ich glaube nicht, dass ich aufhören kann. Nicht bis diese ... Sache geklärt ist", versuchte ich ein Wort zu finden für all die Grausamkeit, die so vielen Frauen widerfahren war.

Mitfühlend erwiderte sie meinen Blick und schien mich eingehend zu studieren. Ich wusste nicht, ob sie es aus Gewohnheit oder absichtlich tat, aber ich empfand es nicht wirklich als unangenehm. Viel mehr wollte ich wissen, zu welchem Ergebnis sie kommen würde. Was dachte wohl eine Frau von mir, die ihr Leben damit verbrachte in die Köpfe von Kriminellen einzutauchen? Sie wusste, was ich Keppler angetan hatte. Machte mich das in ihren Augen zu einem von ihnen? Oder gab es noch Hoffnung für mich?

„Ich weiß man hat Sie bereits mehrfach dazu befragt, aber ist Ihnen noch irgendetwas eingefallen? Etwas das Keppler gesagt oder getan hat, als er Sie hatte?", erkundigte Price sich schließlich und führte mich zum Konferenztisch, bedeutete mir Platz zu nehmen.

Noch etwas ungelenkig setzte ich mich neben sie und überlegte fieberhaft. Aber ganz egal wie sehr ich meine Gedanken auch von A nach B wälzte, ich kam zu keinen neuen Erkenntnissen. Jedenfalls solange nicht, bis mir mein Traum einfiel: Jodie Heart. Aber konnte ich mich in diesem Fall wirklich auf das Gesehne verlassen? Unsicher über die Zuverlässigkeit meiner neuen Informationen, zögerte ich. Unmöglich konnte ich die Cops auf etwas ansetzten, das womöglich kompletter Unsinn war. Aber hatte ich wirklich das Recht es ihr vorzuenthalten? Was wenn am Ende doch etwas dran war an meiner Vision von der jungen Frau?

„Ich ...", setzte ich an, wurde aber von einem lauten Türenknallen unterbrochen.

Walker kam rein und warf einigen Kollegen bitterböse Blicke zu, während er zu uns herüberkam. Anfangs wunderte ich mich, woher sein Unmut kam, musste dann jedoch feststellen, dass er es tat weil sie mich anstarrten. Bis dahin hatte Price meine Aufmerksamkeit davon abgelenkt, aber jetzt fing ich an mich grauenhaft zu fühlen. Fast die Hälfte der Anwesenden schauten entweder die ganze Zeit über oder warfen mir immer wieder Blick zu und Flüsterten miteinander.

Unbehaglich begann ich den Kopf einzuziehen und ließ einige meiner Haare in mein vernarbtes Gesicht fallen. Kaum zu glauben, dass ich tatsächlich für einen Moment vergessen hatte, dass ich wie eine Aussätzige behandelt wurde, jetzt da man mit einem Blick erkennen konnte, dass mein Leben nicht in ruhigen Bahnen verlaufen war.

Walker bemerkte meine Reaktion und als er uns erreichte, legte er eine seiner großen Hände auf meinen Rücken. Price hatte ihre ganz eigene Art um Anteilnahme zu zeigen:

„Nicht Miss Waters. Sie sollten sich vor niemandem verstecken. Schon gar nicht vor diesen Leuten. Sie sollten es alle besser wissen und benehmen sich trotzdem allesamt wie Idioten."

Mit diesen Worten strich sie mein Haar wieder zurück und lächelte mich dabei aufrichtig an. Es reichte nicht aus um mich besser zu fühlen, aber es war genug damit ich mich aufrichtete und wenigstens versuchte so zu wirken, als würde es mir nichts ausmachen, dass ich wie ein Insekt unter dem Mikroskop seziert wurde.

„Lass uns gehen", sagte Walker schroff.

Mehr als willig erhob ich mich und reichte der Profilerin zum Abschied die Hand.

„Danke Agent Price. Ich hoffe wir sehen uns wieder."

„Das hoffe ich auch."

Auf dem Weg zur Tür, vorbei an unzähligen Bildern von Opfern und Männern und Frauen die nicht damit aufhören konnten eine der beiden Überlebenden zu beobachten, breitete sich ein Gefühl der Enge in meiner Brust aus. Panisch begann ich nach Luft zu schnappen und legte eine Hand über mein Herz. Der Detektiv an meiner Seite ließ sich nicht anmerken, ob er etwas davon mitbekam, aber als wir aus dem Raum und auf den Flur getreten waren, zog er mich mit einemmal in eine Kammer, in der wir uns schon einmal gefunden hatten und auch damals hatte ich nach Luft gerungen.

„Sally. Sally. Sieh mich an. Du musst dich beruhigen. Keiner will dir etwas antun. Das sind nur Leute die Neugieriger sind als es gut ist", begann er auf mich einzureden und umfasste dabei meine Oberarme.

Meine Augen blickten in seine, bemüht mich auf deren Farbe zu konzentrieren und nicht auf das klaustrophobische Gefühl in meinem Körper.

„Atme. Ein und aus. Ganz langsam. Niemand wird dir wehtun. Das verspreche ich dir."

„Wie ... wie kannst du ... mir das ... versprechen", japste ich.

„Weil ich es nicht zulasse", erwiderte er bestimmt und drückte kurz meine Arme.

„Okay? Ich lasse es nicht zu."

Langsam sickerten seine Worte durch meine Haut und in mein Bewusstsein. Ich hatte keine Ahnung wie lange wir so dastanden und gemeinsam atmeten, aber als ich glaubte mich wieder im Griff zu haben, schloss ich meine Augen. Ich fühlte mich schwach und müde, als hätte mir meine Angst sämtliche Energie geraubt und vielleicht war das auch wirklich der Fall.

„Ich glaube nicht, dass ich das schaffe", flüsterte ich resigniert.

Finger legten sich unter mein Kinn und brachten mich dazu meine trägen Lider zu heben.

„Doch. Das tust du."

Walker schien derartig von seinen eigenen Worten überzeugt, dass ich selbst anfing daran zu glauben was er sagte. Vielleicht hatte ich nicht heute die Kraft weiter zu machen, oder morgen. Aber irgendwann würde ich wieder auf die Füße kommen.

Was hatte ich auch sonst für eine Wahl?

„Komm. Lass mich dich nach Hause bringen", murrte er wenig erfreut über die Tatsache, dass wir uns dafür ein weiteres Mal seinen Kollegen stellen mussten.

„Okay", willigte ich ein und schob mich langsam zur Tür hinaus.

Ein paar Beamte die in der Nähe des Raumes standen, beobachteten uns verwundert, als wir herauskamen und dachten mit Sicherheit einige anzügliche Dinge. Aber es war mir egal. Zum einen war es vollkommen abwegig und zum anderen war ich schlichtweg zu erledigt um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Walker ignorierte es mit gewohnter Kälte. Zusammen verließen wir das Gebäude wieder und gingen zu seinem Wagen. Als wir drinnen saßen lehnten wir uns zurück, schnallten uns langsam an. Aber anstatt den Motor zu starten, ließ Walker uns beiden ein wenig Zeit um uns zu sammeln. Die Minuten verstrichen und als er schließlich losfuhr, tat er es ohne ein weiteres Wort.

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt