Dreiundzwanzigstes Kapitel - Gefangenschaft

2.1K 159 29
                                    

Mein Zeitgefühl war verschwunden, da ich nichts hatte, woran ich mich orientieren konnte. Keine Sonne, keine Uhr. Ich trug eher selten eine, erst Recht nicht, wenn ich schlief oder vorgab es zu tun.

Seine Besuche kamen in unregelmäßigen Abständen, was es mir ebenfalls unmöglich machte eine Zeit auszumachen. Manchmal kam er kurz hintereinander, dann schaffte ich es zwei Mal hintereinander zu schlafen, bevor er wieder auftauchte. Anfangs saß er nur am Ende der Matratze und starrte mich an. Es war unangenehm. Sein Blick bohrte sich regelrecht durch mich hindurch und sein Geruch schien sich in meinen Poren festzusetzen. Es war unerträglich und grenzte an psychische Folter. Dennoch sprach ich nicht mit ihm. Mir war klar, dass es mir hätte nützen können, wenn ich es tat und es ihm so schwerer machte mich zu töten, aber wer konnte schon sagen, ob es ihn nicht vielleicht doch reizte, statt zu beruhigen? Außerdem hatte ich nach wie vor die Vermutung, dass es ihm genau darum ging: Das er jemanden zum Reden wollte. Aber falls er eine Psychotherapie wollte, war ich nun wirklich die falsche Ansprechpartnerin. Dass er eine brauchte, hätte ich ihm auch so sagen können, ohne dafür von ihm entführt werden zu müssen. Jedoch bezweifelte ich sehr, dass er so etwas hören wollte. Allerdings waren Psychopathen nicht wirklich meine Stärke und ich wollte auch nichts daran ändern. Sicherlich war ich schon mit dem einen oder anderen verrückten Kunden fertig geworden, aber das hier ging weit über mein angeborenes Talent hinaus.

Wenn er mir Essen und Trinken brachte, ignorierte ich es. Wer konnte schon wissen, was er alles hinein gemischt hatte. Irgendwann schien er zu verstehen, warum ich es verweigerte und brachte mir eine noch ungeöffnete Flasche Wasser. Kritisch begutachtete ich sie. Soweit ich es durch meine verschwommene Sicht erkennen konnte, war sie unversehrt. Als er sie mir hinhielt, nickte ich zustimmend. Er öffnete sie vor meinen Augen und hielt mir die grüne Flaschenöffnung an die Lippen. Es selbst zu tun kam nicht in Frage, da meine Hände nach wie vor gefesselt waren und selbst wenn er sie befreit hätte, wäre ich nicht im Stande gewesen irgendetwas festzuhalten. Gierig trank ich die halbe Flasche leer. Es tat gut und wirkte ein wenig der Übelkeit entgegen, führte aber auch zu Bauchschmerzen. Müde kugelte ich mich zusammen und schlief ein, noch während er die Flasche zuschraubte und mich dabei keine Sekunde aus den Augen ließ. Es war mir mittlerweile egal geworden dass er mich immerzu ansah. Von mir aus konnte er mich Stunden lang beobachten, solange er mich nicht anfasste und mir meinen Schlaf gönnte.

Ich wurde immer schwächer und wusste, dass jeder Fluchtversuch zu diesem Zeitpunkt unmöglich wäre. Meine Chancen gegen ihn waren verschwindend gering, selbst wenn ich bei vollen Kräften gewesen wäre. Wäre er alt und gebrechlich gewesen, hätte ich es vielleicht schaffen können. Aber zu meinem Leidwesen war er jung, etwa in Walkers Alter und somit ca. Ende Zwanzig, Anfang dreißig und noch dazu körperlich trainiert. Es war hoffnungslos. Ich war seine Gefangene. Er hatte die Macht und das wusste er auch. Dieses Wissen machte ihn Selbstsicher. Das ging sogar soweit, dass er mir seinen Namen nannte: Mason. Ich wusste nicht ob er stimmte oder bloß eine Lüge um mich ein wenig in Sicherheit zu wiegen oder was auch immer er damit bezweckte. Es wäre auch egal gewesen. Uns war immerhin Beiden klar, dass ich nur tot aus dieser Sache wieder rauskommen würde. Schließlich wusste ein jeder, dass zwei Menschen nur ein Geheimnis bewahren konnten, wenn einer von ihnen tot war.

„Du musst Ewas essen, Liebes. Es bringt doch niemandem etwas, wenn du dich zu Tode hungerst", versuchte er mich zu überreden.

Doch er irrte sich. Verhungern war mein Weg aus dieser Hölle. Der Weg raus aus einem meiner Albträume, aus dem ich nicht einfach am nächsten Morgen aufwachen würde.

Das Problem daran war nur, dass ich recht lange ohne Essen auskommen konnte, so lange ich etwas trank. Eine weitere Nebenwirkung meiner Medikamente. Der Entzug den ich gerade durchmachte, aufgrund der Ermangelung an Tabletten in meinem Gefängnis, riss mich beinah entzwei. Mir war entweder die ganze Zeit über heiß oder kalt. Mein Körper schmerzte bei jeder noch so kleinen Bewegung und an Stellen, von denen ich nicht wusste, dass sie überhaupt wehtun konnten, weshalb ich jedes Mal zusammen zuckte. Das ich gefesselt war, half auch nicht. Aber ich weigerte mich zu weinen. Weder vor ihm, noch wenn ich alleine war, vergoss ich auch nur eine Träne. Denn wenn ich weinte, hatte er gewonnen.

Stöhnend wollte ich mir beim Aufwachen an den Kopf fassen, was nach wie vor leider unmöglich war. Er dröhnte und als ich die Augen aufschlug, musste ich bemerken, dass sich alles drehte. Zu meinem Glück hielt es nicht lange an. Meine Sicht klärte sich von Sekunde zu Sekunde ein wenig mehr. Ich erschrak als ich Mason entdeckte, der ein langes Messer in der Hand hielt. Er spielte damit, tippte immer wieder auf die Spitze der Klinge, ehe er sich bedrohlich zu mir herunterbeugte. Er hantierte hinter meinem Rücken, holte irgendetwas hervor und machte mich los. Vermutlich hatte er Werkzeug mitgebracht, denn mit dem Messer wäre es unmöglich gewesen den Draht zu durchtrennen. Meine Vermutung bestätigte sich, als ich im Augenwinkel sah, wie er eine schmale Zange in die hinterste Ecke des Raumes legte, damit ich auch ja nicht daran kam. Blieb nur noch die beunruhigende Frage, was als nächstes kam.

„Steh auf", herrschte er mich an.

Na der war vielleicht witzig. Wie sollte ich das in meinem Zustand bitte bewerkstelligen?

„Kannst du etwa nicht, Liebes?", fragte er spöttisch.

Resigniert schüttelte ich den Kopf und hasste ihn dafür, dass er es mich hatte zugeben lassen.

„Na schön", meinte Mason.

Er steckte das Messer in den Hosenbund und hievte mich mit Leichtigkeit hoch.

‚Nicht schreien. Bloß nicht schreien', redete ich mir selbst zu, während mein Kerkermeister meinen vor Schmerz explodierenden Körper aus dem Keller trug. Ich war nicht so naiv so glauben, dass er mich frei ließ, doch es quälte mich nicht zu wissen, was kam. Ungewissheit machte mich wahnsinnig. Ein großer Fehler meines Wesens. Denn wenn es anders wäre, würde ich mich nicht in dieser Situation befinden. Ich wäre nie zu Walker gegangen und hätte auch niemals entführt werden können. Wem machte ich etwas vor? Vermutlich wäre es dennoch passiert. Aber Walker wäre noch am Leben... das wäre immerhin etwas.

Eiskalte Angst kroch durch meine Adern, als er mich durch das rustikale Haus trug und vor einer dunklen Holztür auf die Füße stellte. Meine Beine zitterten unkontrolliert, weshalb ich mich mit einer Hand in seinen Arm krallte und stark hoffte, dass es ihm ordentlich wehtat.

‚Ich hasse ihn. Ich hasse ihn sosehr', schoss es mir erneut durch den Kopf.

Der Hass brodelte unter der Oberfläche, aber da ich nach wie vor nicht wusste, was hinter der Tür lag, hielt ich mich zurück. Mason öffnete sie langsam, während ich die Luft anhielt. Ich schwor bei Gott, wenn es eine Folterkammer war, würde ich doch noch schreien. Zu meiner Erleichterung, befand sich nichts der Gleichen in dem Raum. Es war bloß ein einfaches Badezimmer. Ein Anblick, der so normal und auch banal war, dass ich beinah hysterisch zu Lachen begann.

„Glaube nicht, dass du abhauen kannst. Die Fenster sind alle verschlossen und ich werde direkt vor der Tür auf dich warten", warnte er mich und schob mich in den weiß gekachelten Raum.

Dann schloss er hinter mir die Tür. Verstohlen sah ich mich um. Natürlich fand ich weder eine Waffe zur Selbstverteidigen, noch etwas um mein Leben selbst zu beenden. Es sei denn ich wäre in der Lage eine Flasche Shampoo zu trinken. Nach kurzem Überlegen, nahm ich lieber wieder abstand von der Idee und betrachtete stattdessen meine geschundenen Handgelenke. Sie bluteten an den Stellen, aus denen kurz zuvor der Draht gelöst worden war. Warm floss die Flüssigkeit meine Finger herunter und tropfte tief rot auf den weißen Marmor des Waschbeckens. Ungeschickt und mit einer äußerst fahrigen Bewegung, stellte ich das Wasser an. Kühl floss es meine Haut entlang. Als Reaktion auf den Kontakt, schnappte ich zischend nach Luft. Es tat gut, brannte aber im ersten Moment. Während meine Wunden langsam gereinigt wurden, sah ich auf und in den Spiegel. Meine Haare hingen strähnig herunter, meine Lippen waren spröde, die Hautfarbe war unnatürlich hell, was durch die dunklen Augenringe nur noch deutlicher zum Vorschein kam. Im Spiegel fiel mein Blick auf einen Haufen frischer Klamotten. Ich drehte das Wasser ab und trocknete behutsam meine Hände, dann drehte ich mich um. Die Kleidungstücke waren alle ähnlich wie die Sachen, die ich sonst in der Öffentlichkeit trug. Schwarze Jeans, schwarzes Top und weiße Chucks. Dazu noch schlichte schwarze Unterwäsche und Socken. Alles in meiner Größe.

‚Stalker', dachte ich unwillkürlich.

Es widerstrebte mir zutiefst, doch meine Klamotten waren durchgeschwitzt und ich ekelte mich bereits vor mir selbst, weshalb mir eine Dusche und neue Klamotten gar nicht so falsch schienen. Oder doch? Amanda hatte er wochenlang gefangen gehalten und kein einziges Mal hatte sie auch nur eine Toilette benutzen dürfen. Warum also, war das bei mir anders? Was hatte ich, dass sie nicht hatte?

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt