Fünfundzwanzigstes Kapitel - Der Schmerz im Inneren

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Vollkommen benommen lag ich auf meinem Lager. Meine Sicht wurde von Stunde zu Stunde immer schlechter, in meinem Kopf waberte es mittlerweile unaufhörlich. Es fiel mir immer schwerer einen klaren und vollständigen Gedanken zu fassen. Der Nahrungsmangel machte mir mehr und mehr zu schaffen. Doch wenigstens hatte ich dadurch einen Anhaltspunkt, wie lange ich schon gefangen war. Es mussten mindestens zwei Wochen sein, so lange konnte ich es für gewöhnlich in diesem Zustand aushalten. Zwei lange Wochen, die mir wie Monate vorkamen. Ständig kam Mason zu mir, um mich anzusehen oder ins Badzimmer zu tragen, da ich mich schon seit langem nicht mehr selbst auf den Beinen halten konnte. Zu Trinken bekam ich jeden Tag. Das Essen verweigerte ich standhaft nach wie vor. Jedenfalls versuchte ich es. Denn als er dieses Mal hereinkam, brachte er Toastbrote mit. Und wie sonst auch, wollte ich ablehnen. Ich war so kurz davor zu sterben und einfach nur froh darüber. Es würde bald vorbei sein. Dann wäre ich endlich wieder frei. Dann, hätte er keine Macht mehr über mich, oder das was mit mir passierte. Er würde verlieren, ich gewann. Und mit ganz viel Glück, würde man mich eines Tages finden und meine sterblichen Überreste hier fort und auf seinen Friedhof bringen. Mit ganz viel Glück, würde Stryder zu mindest einen Rest von mir entdecken und Heim bringen.

Aber Mason hatte andere Pläne. Er hockte sich neben mich, öffnete gewaltsam meinen Mund, steckte mir ein Stück vom Brot hinein und zwang mich zu kauen. Er hielt mir so lange Lippen und Nase zu, bis ich schluckte. Nein, ich wollte das nicht. Ich war am Ende. Keinen Tag würde ich es länger hier drin aushalten. Schon gar nicht bei vollem Bewusstsein. Aber ganz gleich wie sehr ich versuchte mich zu wehren und zu weigern, es brachte nichts. Letzten Endes hatte ich zwei Toastbrote gegessen und lag in meinem Inneren schreiend auf der Matratze, während Mason über mir stand und mich zufrieden betrachtete. Jedenfalls sah es durch meine verschwommene Sicht danach aus. Ich spürte seine drückende Gegenwart noch eine ganze Weile, bevor er endlich wieder verschwand.

Erleichtert darüber, drehte ich mich auf die Seite. Ich spürte, dass mein Körper sich besser fühlte, nachdem ihm Essen zugeführt worden war, aber meine Psyche brach förmlich in tausend Teile. Ich konnte nicht mehr. Wenn ich wenigstens die Hoffnung gehabt hätte, dass jemand mich retten würde ... aber die hatte ich nicht. Niemand hatte Amanda finden können, oder eine der Anderen, bis ich gekommen war. Also wie sollten Stryder mich in diesem Loch finden? Die Antwort darauf war einfach: Gar nicht. Weder er, noch sonst jemand von seinem Revier würde auf unsere Spur kommen. Mason konnte mit mir machen was er wollte, solange er es wollte. Aussichten, die mehr als nur erschreckend waren. Doch schließlich schlief ich trotzdem nach einer Weile, mit diesen beunruhigenden Gedanken in meinem Kopf, in einen festen Schlaf.

„Aufwachen Liebes. Heute versuchen wir etwas Neues", hörte ich seine Stimme direkt an meinem Ohr und schreckte sofort auf, wobei ich ihm beinah einen Kinnhaken verpasst hatte.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Was hatte ich da nur geträumt? Konnte es wahr sein? Oder war es bloß ein Wunsch, tief in meinem Inneren? Mein Verstand sagte mir, dass es nicht sein konnte, doch ein leises Wispern in meinem Kopf sprach Worte voller Hoffnung.

„Augen zu mir", herrschte Mason mich an.

Flink folgte mein Blick seinem Befehl. Angst kroch durch meine Adern und umklammerte eisern mein Herz, als ich sah, was er in den Händen hielt. Es war ein Messer. Nicht irgendeins. Es war meins, dass das ich in jener Nacht mit ins Krankenhaus genommen hatte.

„Ich nehme an, wir fühlen uns besser", ging er einfach davon aus, als er mich an den Armen packte und stehend an den Holzpfosten festband.

Meine Hände waren schon seit einer Weile nur noch mit einem Seil gefesselt, dennoch brannte es auf dem rohen Fleisch meiner Gelenke, besonders als Mason daran zog. Beinah wäre mir ein Zischen entfahren, aber ich hielt mich mit aller Mühe zurück und unterdrückte sämtliche Gefühle: Den Schmerz, die Angst und ganz besonders den Hass.

„Die Anatomie des Menschen, ist wirklich äußerst faszinierend, findest du nicht auch? 206 Knochen gibt es im ganzen Körper und allein ein drittel davon stecken in beiden Füßen", begann er seinen Vortrag, wobei er das Messer über den Stoff meiner Hose gleiten ließ und an meinen nackten Füßen halt machte. Zitternd hielt ich den Atem an. Eine blasse Ahnung schlich sich in meine Gedanken und sie ängstigte mich.

„Weißt du, wie wir auf Schmerzen reagieren? Erst ist da der Schmerz, das Adrenalin, das durch unsere Adern pumpt. Es sei denn ... der Schmerz ist so groß, dass es einen Schock auslöst", fuhr er fort.

Ich sah nicht hin, mein Blick ging starr in Richtung Zimmerdecke, als er mit einer schnellen Bewegung das Messer zwischen meinen Fußknochen versenkte und quälend langsam wieder heraus zog. Ich wusste dass es schmerzhafter gewesen wäre, wenn er eines seiner Messer genommen hätte. Meine waren stets bis zur Perfektion geschärft, seine nicht. So sehr er auch darauf stand mit ihnen zu spielen, so wenig kümmerte er sich darum. Dennoch war es alles andere als angenehm. Hitze stieg von der Wunde aus bis hoch in mein Rückrat und ließ mich krampfend erschaudern. Schnell atmete ich ein und aus. Schmerzen waren für mich nichts Neues. Nicht einmal die Art von Schmerz, die so schlimm war, dass sie in sämtlichen Nervenbahnen des Körpers explodierte. Ich atmete gegen das Gefühl an und sah weiter hoch, während meine Haut noch etwas Anderes fühlte: Warmes Blut, dass aus meinen Körper floss.

„Du sagst ja gar nichts", fauchte er wütend, wobei sein Gesicht meinem so nah war, dass ich seinen Atem auf meinen Wangen spüren konnte.

Trotzig schaute ich ihn an. Oh nein. Den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Ich würde weder schreien, noch flehen oder weinen. Wenn ich starb, dann leise, ohne ihm irgendeine perverse Freude daran zu bereiten.

„Wie kann man nur so ... stur sein?", fragte er wütend.

Ich blieb stumm. Etwas das ihn dazu verleitete, mir keine fünf Sekunden später das Messer über den rechten Oberarm zu ziehen. Der Schnitt war nicht tief, aber ich wusste, dass oberflächliche Wunden mehr und länger weh taten. Und Mason war sich dessen wohl genauso bewusst. Ein dreckiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Ich gebe dir etwas Zeit, um dein Verhalten zu überdenken Liebes", hauchte er an meinem Ohr und ließ mich an Ort und Stelle einfach stehen.

Kaum das es den Raum verlassen hatte, rang ich mich dazu durch erst meinen Arm und anschließend meinen Fuß zu betrachten. Mein Köper hatte ihn bereits automatisch entlastet und ruhte mit dem ganzen Gewicht auf dem rechten, unverletzten Bein. Das Blut floss noch immer aus der Wunde, doch es wurde weniger. Unter meiner Sohle hatte sich bereits eine Pfütze gebildet, die ein schmatzendes Geräusch von sich gab, als ich meinen Fuß zwischen Balken und rechtes Bein klemmte. Der Druck, der dadurch auf der Wunde entstand, war nicht groß, aber ich hoffte dennoch dass es reichte.

Eine Weile stand ich einfach nur so da. Dann realisierte ich etwas. Ich tat gerade etwas, dass mein Leben verlängern würde, statt es zu beenden. Wann hatte ich aufgehört mir den Tod zu wünschen? Es dauerte etwas, bis ich darauf kam: Seit meinem Traum, der trügerische Hoffnung in mir geschürt hatte, egal wie gewaltig der Schmerz in meinem Inneren auch schon sein mochte.

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt