Kapitel 10

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Wegen der Dunkelheit  fiel es mir schwer nicht zu stolpern und es kostete mich viel Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Carter zog mich hinter sich her durch schmale Gassen und versuchte die Männer abzuhängen. So oft wie wir abgebogen waren, würde es mich nicht wundern, wenn auch er bald die Orientierung verliert würde. Schwer atmend setzte ich einen Fuß vor den Anderen, darauf bedacht nicht hinzufallen. So lange und schnell zu laufen war ich, selbst wenn ich manchmal joggte, einfach nicht gewöhnt. Ich drehte meinen Kopf nach hinten und mein Herz setzte vor Erleichterung einen Schlag aus. Unsere Verfolger waren nicht mehr zu sehen, wir müssen sie abgeschüttelt haben. „S-Sie sind weg." keuchte ich, woraufhin Carter nur nickte, aber trotzdem noch nicht stehen blieb. Er verlangsamte lediglich das Tempo. „Wir müssen noch etwas weiter." gab mir der Schwarzhaarige zu verstehen.

Nach einer Weile erkannte ich trotz der Dunkelheit einen kleinen Innenhof, welcher wohl Carters Ziel war, da er aufhörte zu laufen. Die Gegend hier war heruntergekommen und die Häuser könnten alle mal wieder eine Renovierung gebrauchen. Carter drehte sich zu mir um und sein intensiver Blick verankerte sich in meinem. Er wirkte kaum außer Atem. Einzig und allein der dünne Schweißfilm, der auf seiner Haut glänzte verrit, dass wir eben noch davon gelaufen sind. „Was machen wir jetzt?" fragte ich verlegen. „Wir müssen warten, bis wir sicher sein können, dass sie weg sind.", war seine Antwort. „Wer sind sie?", wollte ich wissen aber Carter quittierte meine Frage nur mit einem „Ist unwichtig!" Betreten schaute ich durch die Gegend bis er die Stille mit der entscheidenden Frage brach. Mit der Frage, die mich daran erinnerte wieso das alles hier überhaupt passierte. „Wieso? Wieso bist du verdammt nochmal wieder raus gegangen?", fragte er genervt, fast schon wütend. Dabei schaute er mich so durchdringend an, dass ich mich unwohl fühlte. „Ich..." setzte ich meinen Erklärungsversuch an, doch wurde direkt wieder von ihm unterbrochen. „Reicht es denn nicht, dich einmal zu retten? Aber nein... Du stürzt dich Hals über Kopf in die nächste Gefahr!"  Während er das sagte, kam er mir näher und drückte mich mit seinem muskulösen Körper an die Wand hinter mir. Diese Nähe wurde mir zu viel. Die Situation erinnerte mich an Dad, und es machte mir Angst, zu wissen dass ich mich gegen Carter genau so wenig wie gegen ihn wehren konnte. „Also sag mir, wieso du so dumm warst und nochmal rausgekommen bist!" Gegen Ende des Satzes wurde er immer lauter und hob die Hand. Reflexartig zuckte ich zusammen und kniff meine Augenlider fest zusammen. Vor meinem inneren Auge spielten sich Szenen ab, wie mein Dad zum Schlag ausholte und Tränen versuchten meine Augenwinkel zu verlassen. Doch ich wollte nicht vor ihm weinen. Mit aller Kraft unterdrückte ich die aufkommenden Emotionen und öffnete meine Augen. Leise, aber mit einer mich selbst überraschenden Stärke sagte ich: „Deshalb." und ließ den Rucksack vor seinen Füßen fallen.

Verdutzt löste Carter seine Hände von meinen mittlerweile schmerzenden Oberarmen und hob ihn auf. Er zog an dem Reisverschluss und nach einem Blick in das Innere des Rucksacks stieß er hörbar die Luft aus. „Was? Woher?" stotterte er. „Ich weiß, dass du einer von ihnen bist und wollte nicht dass ihr meinetwegen Schwierigkeiten bekommt." flüsterte ich beinahe, weil ich mich vor seiner Reaktion fürchtete. Würde er wütend werden? Oder gar gewalttätig? Eigentlich war alles möglich. Doch damit hatte ich nicht gerechnet. Carter fuhr sich durch sein pechschwarzes Haar und murmelte sanft: „Danke.". Nur ein Wort, doch es reichte vollkommen aus. Denn es gab mir Bestätigung. Dafür, dass es richtig war heute Nacht nochmal aufzustehen und mich auf den Weg zu machen. „Wie geht es jetzt weiter?"  fragte  ich und unterdrückte ein Gähnen der aufkommenden Müdigkeit. „Ich muss das hier."-er deutete auf den Rucksack „...zurück bringen und du solltest nach Hause gehen!"  Ich nickte.

Carter begleitete mich noch ein Stück weit, bis ich wieder wusste , wo ich mich befand.  Von hier aus war es nicht mehr weit bis zu mir. Carter schaute mich so an, als ob er nachdenkt, also fragte ich: „ist irgendwas?"
„ Wie heißt du überhaupt?"
Anscheinend hat er mich bis jetzt in der Schule noch nicht wahrgenommen oder meinen Namen mitgekriegt.  Das war eigentlich ein gutes Zeichen, wenn man bedenkt, das ich nie auffallen wollte.
„Ruby" antwortete ich knapp. „Du weißt, dass du niemandem hiervon erzählen darfst?" Ich nickte . „Gut... Na dann, man sieht sich, Kleine!" sagte er und zwinkerte mir mal wieder zu. Mit diesen Worten drehte er sich um und lief davon. Ich schaute ihm noch nach bis die Umrisse seines Körpers komplett im Schatten der Nacht verschwanden und machte mich dann ebenfalls auf dem Weg...

Ruby Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt