Asche. Staub. Geröll.
Nicht mehr existierte von dem Ort, welchen sie einst ihr Zuhause genannt hatte. Nicht mehr als zerfallene Wände, zerbrochene Fenster und schwere, graue Asche.
Asche, welche den Boden bedeckte, wie sanfter Schnee in den Tiefen des Winters. Die sich wie eine Decke über die verbrannten Reste ihres Zuhauses legte und nichts zurückließ als die ihr bleibenden Erinnerungen.
Erinnerungen, die in Vergessenheit geraten sollten. Und die dennoch niemals vergessen werden könnten.
Bis auf das leise Knirschen der kleinen Steine unter ihren Schuhsolen, waren ihre Schritte vollkommen geräuschlos. Ihre Augen wanderten langsam über die zerfallenen Überreste; versuchten jedes Detail zu analysieren, um es in ihrem Kopf zu speichern.
Sie wollte diesen Ort nicht vergessen.
Wollte nicht vergessen, dass es endgültig vorbei war. Dass sie ihre Entscheidung getroffen hatte – unwiderruflich – und dass es die richtige Entscheidung gewesen war.
Selbst wenn sie diesen zuschnürenden Knoten in ihrem Hals verspürte. Selbst wenn die Last auf ihren Schultern nur noch schwerer zu werden schien. Selbst, wenn ein kleiner Teil von ihr es bereute.
Es war richtig.
Ein notwendiges Übel.
Ihre vorsichtigen, beinah unsicheren Schritte trugen sie die schmalen Gänge entlang. Nur mit Mühe kämpften sich die Strahlen der Sonne durch die tiefhängende Wolkendecke hindurch; das kalte Licht ließ diesen einsamen, zerstörten Ort nur noch düsterer und verlassen wirken.
Noch kälter, als er ohnehin schon war.
Der lange Gang mündete in einem weiten, runden Raum dessen Decke zu Boden gestürzt war. Sie trat über die Trümmer hinweg; ignorierte die hinabgefallenen Bilder, welche sie all die Jahre mit Ehrfurcht betrachtet hatte. Ignorierte die Überreste der dunklen Torbögen, der hohen Säulen und der verschnörkelten Lampen, die ihr Zuhause geschmückt hatten.
Stattdessen betrat sie den Raum, den sie trotz der Verwüstung erkennen konnte. Den sie selbst ohne ihr Augenlicht vor sich sehen würde, auf ewig eingebrannt in ihren Erinnerungen.
Trotz der Trümmer war es noch immer ein Ort des Stolzes. Der Ehre.
Ein Ort der Perfektion und Schönheit; ein Ort, zu dem nur den Besten der Besten der Zutritt gewährt wurde. Nur denen, welche frei von Fehlern und Makeln waren. Die die absolute Perfektion erreicht hatten.
Sie erinnerte sich noch an dem Tag, als sie diesen Ort betreten durfte. Doch diese Erinnerungen glichen immer mehr einem entfernten Echo, welches allmählich verstummte.
Sie war nicht mehr perfekt, wie die schimmernde Oberfläche eines Diamanten. Sie war dieses Ortes unwürdig geworden. Und diese Realisation schmerzte.
Schmerzte so sehr, obwohl es doch richtig war.
„Ich habe mich schon gewundert, wann wir beide hier aufeinandertreffen werden."
Sie hatte gewusst, dass sie ihr begegnen würde. Hatte darauf gehofft. Und dennoch war der Klang der ihr so vertrauten und gleichzeitig so fremden Stimme ein solcher Schock, dass ihr Herz einen unangenehmen Sprung machte.
Langsam wandte sie sich zu ihr um, der Griff um die Waffe verstärkend, bis ihre Augen auf das blaue, durchdringende Paar ihr gegenüber trafen.
Es war so lange her, doch sie schien um keinen Tag gealtert zu sein. Sie war noch immer perfekt; die Perfektion, nach welcher sie selbst ihr Leben lang gestrebt hatte. Die sie niemals erreichen konnte.
Sie hob die Waffe an. Der Knoten in ihrem Hals schnürte sich zusammen und raubte ihr jegliche Luft zum Atmen.
Doch die Frau ihr gegenüber lächelte nur.
„Du bist hier aufgetaucht, obwohl ich dich eines Besseren gelehrt habe. Sei unvorhersehbar. Eine der ersten und simpelsten Lektionen, die du zu lernen hattest."
Sie hatte Recht. Es war ein dummer Fehler ihrerseits gewesen. Doch nicht ihr erster – und auch nicht ihr letzter.
„Du warst immer gut. Sehr gut. Aber nie die Beste. Und deshalb konnte ich dich schon immer durchschauen."
Ungeachtet der erhobenen Waffe trat die Frau weiter an sie heran. Sie ignorierte das leise Klicken der gelösten Sicherung.
„Ich weiß, warum du hier bist. Du bist hier, weil du mit der harten Wahrheit nicht leben konntest. Weil du sie nie akzeptieren wolltest."
Sie kam vor ihr zum Stehen. So nah, dass sie ihr auch ohne eine Waffe das Genick brechen konnte.
„Du hast keinen Platz in dieser Welt. Den hattest du nie. Und den wirst du auch niemals haben. Keiner von euch."
Ihre Finger hoben sich langsam zu ihrem Gesicht an, strichen vorsichtig über die Haut ihrer Wange; über ihr langes Haar, welches sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.
„Du bist nicht mehr, als was ich aus dir gemacht habe. Ich habe dich geschaffen. Du bist meine Kreation. Und das wirst du niemals vergessen können. Keiner wird es. Dafür habe ich gesorgt."
Ein fester Griff wickelte sich um ihr freies Handgelenk und drehten es gen Himmel. Aber sie brauchte nicht hinabschauen, um das auf ewig in ihre Haut eingebrannte Zeichen zu sehen. Sie konnte den Schmerz noch spüren, selbst wenn er Jahre zurücklag.
„Du bist nicht mehr als ein Schatten. Ein Phantom. Und du wirst nie mehr sein als das. Denn zu mehr warst du nie bestimmt."
Langsam wandte sie sich um. Drehte ihr den Rücken zu und ließ sie alleine zurück. So sicher, dass sie den Abzug der Waffe nicht betätigen würde.
„Deshalb weiß ich, dass du es niemals tun wirst. Dass du niemals von mir frei sein wirst. Denn das kannst du nicht."
Sie ging. Ließ sie zurück.
Und der alles endende Schuss war nie zu hören.
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Phantom 1 - a crack in creation {Captain America: TWS}
PertualanganEine anhaltende Mordserie erweckt die Aufmerksamkeit S.H.I.E.L.D.s, doch nicht einmal die besten Agenten scheinen irgendwelche Informationen über ihren reuelosen Angreifer finden zu können. Sie verfolgen nicht mehr als ein Schatten; ein gesichtslose...