Die Todesschlucht (7)

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Ich war aus dem Auto ausgestiegen und machte mich auf den Weg zu der Lichtung. Eigentlich dürfte es nur zehn Minuten dauern, danach würde ich meine Sachen aus dem Auto holen und wenn möglich näher heran fahren. Ich ging den üblichen kleinen Pfad entlang der dorthin führte, nur wenige Meter neben der wirklich engen Straße. Ich lauschte, es war still, alle Tiere wie vom Erdboden verschluckt. Man hörte nur den Wind durch die Äste und Baumkronen an den Blättern vorbei rauschen. Es war ein wirklich wundervoller Wald, der im Frühling vor Farben aller Blüten nur so erstrahlte.

Kindheitserinnerungen wurden wach, ich erinnerte mich, dass ich sogar mehrmals hier war, auch aufgrund der Entfernung natürlich. Ich sah nach oben in eine Baumkrone, die farbenfroh wie keine andere war.
Ich wanderte weiter, vermutlich nur noch fünf Minuten.
Ich schaute auf mein Handy:

Montag / 13:23 / 91% / 13.04.19 / Netz

Momentmal! Netz? Wieso hatte ich hier plötzlich Netz? Das konnte nicht sein, mein Handy war kaputt, definitiv. Ich hatte keine andere Erklärung parat. Ich steckte es wieder in meine Hosentasche und prüfte die Umgebung, der Wald war dichter geworden und sollte ich jetzt weitergehen, musste ich durch etwas Gestrüpp. Ich guckte genervt und zuckte trotzdem mit den Schultern. Na gut, dann eben Mal etwas Dreck abbekommen, kann auch nicht schaden. Dieses Stück des Waldes war hauptsächlich mit Nadelbäumen bewachsen und zu meiner Missgunst auch mit Büschen, die eng beieinander standen und manche mit Dornen beschenkt waren. „Autsch",gab ich von mir als ein Dorn mir die Hand ankratzte. Hätte ich nur den Autoweg genommen, zu spät.
Jetzt, schon wieder etwas blöd gelaunt, kämpfte ich mich durch das Gestrüpp, das immer mieser wurde.

„Raschel", ich war wie gelähmt, mein Puls stieg innerhalb von Sekunden auf 180. Ich war mir sicher, dass dieses Geräusch nicht von mir kommen konnte. Aber von wem dann? Dem Wind? Doch nicht hier unten. Ich erinnerte mich an das Klingeln, an die Angst, das Kaufhaus. Doch keine Einbildung? Es musste eine sein. Ich stand da und setzte meine Sinne ein. Der Wind, der süße, herrliche Duft der Blüten, die angenehme Waldluft, die Dornen, welche meinen Armen gefährlich nah kamen, der Sonnenschein, der trotz des Dickichts, den Wald erhellte und das Rascheln. Ich drehte mich langsam um, um mich zu versichern, dass da niemand war. Aber eine Fehlentscheidung. Sobald ich mich umgedreht hatte, entdeckte ich die umhertanzenden Büsche. Sie bewegten sich, das Rascheln wurde lauter. Ich musste nicht lang überlegen um zu erkennen, dass das eine Gefahr war.

Plötzlich schoss eine Hand aus dem Gebüsch. Ich fing an zu schreien, mein Körper verkrampfte sich. Schock. Meine Urinstinkte übernahmen die Herrschaft meines Körpers, ich rannte. So schnell ich konnte, schneller als ich jemals geglaubt hatte rennen zu können. Die Dornen zerkratzten meine Arme und mein Gesicht, aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich rannte aus dem Dickicht, ein paar Meter an dem Campingplatz vorbei, direkt weiter auf einen kleinen Weg der eigentlich gesperrt war. Meine Eltern hatten mich immer davor gewarnt, ich wusste nicht was dahinter lag. Ich hörte meinen Herzschlag, ich konnte ihn fühlen.


„Warte!", rief eine Stimme hinter mir. Warte. Warte!? Da war jemand und er wollte dass ich warte! Nein! Was würde passieren?! Mord?! Ich hatte Angst. Auf einmal ergab alles Sinn. Ich rannte um mein Leben, Äste knackten und in meinen Augenwinkel erkannte ich einen Schatten.

Was war das hier?! Ich kam auf eine Lichtung, mit voller Geschwindigkeit stoppte ich. Es ging nicht weiter. Dort war eine Schlucht. Mein Brust hebte und senkte sich wieder. Einen Centimeter weiter und 'Leb wohl'. Es waren mindestens hundert Meter. Ich drehte mich nicht um. „Hey!", ein Wort. Ein Wort weswegen ich mich falsch bewegte. Das Gestein unter mir bröckelte und gab nach. Schreiend fiel ich. War das, das Ende? Ich wollte noch nicht sterben. Tränen stiegen mir in die Augen, ich war noch nicht bereit. Ein scharfer, kleiner Felsvorsprung verpasste meinem Oberschenkel eine schöne, große Fleichwunde, die sich von meinem Knie bis zu meiner Hüfte zog.
Eine kräftige Hand fing mich in letzter Sekunde. „Ah", es war mein stöhnendes Schreien. Mein Oberschenkel schmerzte und ich merkte, dass warmes Blut meine enge, weiße Hose tränkte. Eine zweite Hand packte mich und zog mich mit einem Ruck nach oben. Ich schluchzte, wäre meine Angst ein Gegenstand, hätte sie das Universum füllen können. Ich lag da, auf dem weichen, grünen Gras. Jemand schnaufte neben mir, es war ein Junge. Mehr erkannte oder hörte ich nicht mehr. Die Gedanken verdrehten sich in meinem Kopf und mir wurde schwarz vor Augen.
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