TANDAU (17)

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Meine Stadt hieß Tandau. Eine wunderschöne, einsame, abgelegene Stadt umrandet von einem märchenhaften Wald. Sie war nicht gerade groß aber auch nicht wie ein Dorf. Manche Häuser waren Jahrhunderte alt und manch andere recht modern. Es gab keine richtigen Hochhäuser. Das höchste Haus der Stadt war vielleicht die uralte Müller-Universe-Universität mit vier Stockwerken oder die Code-Labs mit, ich zählte sogar fünf Stockwerke.

Ich hatte keinen Plan, was ich tun sollte, darum beschloss ich erstmal die Müller-Universe-Universität aufzusuchen, die mussten schließlich irgendwelche Materialien für Paralleluniversen oder ähnliches haben, wenn dies überhaupt auf unsere Lage zutraf.
Die Eingangstür war aus schwerem Eisen aber bekam durch die hölzernen, geschwungenen Verzierungen einen leichten Touch von Flair. Mit einem lauten, unangenehmen Quietschen öffnete sie sich.
Eine große Eingangshalle hieß mich Willkommen. Ich schlurfte über den glatten Steinboden in den ersten Korridor und Saal hinein.
Was mich dort erwartete, schockte mich. Fast auf jeder Bank standen noch Computer oder lagen Tablets herum. Auf den Blöcken lagen noch die Stifte rum. Die Tafel war voll beschrieben, ich las und las und mir kam das irgendwie bekannt vor. Ich war gerade beim letzten Satz angelangt aber er endete plötzlich. Als wäre der Feueralarm ausgelöst worden und als ob alle sofort geflüchtet wären.

Ich holte die Chipstüte aus meiner Tasche und begann durch die Reihen zu laufen. Wegen meinem Bein humpelte ich noch etwas, es lief sich allerdings schon viel besser. Mir kam dieser Stoff so bekannt vor und trotzdem verstand ich kein einziges Wort davon. Das half mir nicht weiter. Ich verließ die Uni und noch etwas geschockt vergaß ich in die Bibliothek zu gehen, die mir eventuell helfen hätte können. Ich wanderte die verlassenen, alten Straßen entlang und schaute durch die Fenster in andere Häuser. Wie bei der Uni standen Töpfe und Pfannen verlassen auf dem Herd, in denen schon die zur Hälfte angebratenen Kartoffeln ein weiß-grünes Fell wuchs. Der Tisch in dem grünen, mehrstöckigen Haus, vor welchem ich stand, war gedeckt, die Stühle verrückt und ein Staubsauger an den Strom angeschlossen, den es momentan nicht gab. Ich runzelte die Stirn. Wieso war mir das nicht früher aufgefallen? Vielleicht, weil ich nur an Orten war, die wirklich verlassen waren bei dem „Geschehnis". Wenn es am Mittag passiert ist, was passiert ist, wo nach es aussah, würde es sogar etwas Sinn machen. Unsere Schule hatte am Mittag geschlossen. Geschäfte, wie das Shoppingcenter in Tandau ebenfalls, auch die Bäckerei und in Berlin war ich nur durch die Straßen gefahren. Ich atmete laut aus. Vielleicht hatte ich gerade eine Spur der Vergangenheit entdeckt! Ich war aufgeregt. Ich rannte so gut es ging zum nächsten Haus, dasselbe. Und zum nächsten, dasselbe. Ich wurde mit Angst erfüllt. Das stellte meine Welt ein Stückchen weiter auf den Kopf. Ich schaute auf mein Handy. Es war genug Zeit verstrichen, ich sollte zurück zum Herbert-Kröte-Gymnasium.

Als ich dort ankam, wartete Luc schon auf mich. „Wenn wir an einem Morgen aufgewacht sind, wieso steht dann alles verlassen herum? Und ich meine nicht einfach so verlassen, sondern richtig verlassen. Während die Leute gegessen und Kurse an der Uni besucht haben?“, platzte es aus mir heraus. Tino zuckte mit den Schultern. Ruhig war er nicht, er zappelte immer zu mit seinen Fingern. „Ich weiß es nicht. Ich habe nichts spannendes gefunden, hab nur das gleiche festgestellt wie du“, antwortete er.
„Ich weiß nicht mehr weiter, Luc. Das ergibt alles keinen Sinn?! Ich meine, wir sind beide an einem Morgen aufgewacht, aber alles ist wahrscheinlich doch an einem Mittag passiert. Das würde aber heißen, dass uns Erinnerungen fehlen!“, fasste ich verwirrt zusammen. „Ich weiß. Mir ist das immer mal wieder bei meiner Tour in den ersten Tagen aufgefallen. Ich habe es aber ignoriert, weil-“
„Du hast das gewusst und nichts gesagt?! Wieso?“, unterbrach ich ihn hysterisch. Eigentlich hatte ich nur Angst vor der Situation, das konnte er aber nicht wissen.
„Ich habe auch... Angst, OK?! Ich musste mich auch erst dran gewöhnen allein zu sein. Nicht nur du warst so geschockt. Ich fand es wichtiger mich zurechtzufinden“, verteidigte er sich. Ich schüttelte den Kopf und entschuldigte mich beschämt. Die Hysterie sollte ich mir abgewöhnen. Ich atmete tief durch.
„Hast du Erinnerung an den Tag davor oder nicht?“, fragte ich ihn. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Ich, äh, ich glaube ich war auf dem Campingplatz grillen oder so.“ Das durfte doch nicht wahr sein. Ich brach in durchdrehendes Gelächter aus: „Cool, du hattest gar keinen Grill dabei, Luc! Das sagst du nur zur Beruhigung.“ Auch wenn mir diese Tatsache ein ganz kleines bisschen schmeichelte, ließ ich mich nicht ablenken. „Ok, das ist toll! Du kannst dich offensichtlich ausgezeichnet daran erinnern“, sagte ich sarkastisch und versuchte mich so vor der Angst zu schützen.
„Kannst du dich denn dran erinnern?“, fragte er vorsichtig. Ich dachte nach. Nein, ein weißer Schleier zog sich um meine Erinnerungen. Es fühlte sich komisch an, so seltsam fremd. Ich schüttelte meinen Kopf abermals. Ich sammelte mich kurz wieder.
„Was ist unser Plan? Wir bräuchten mal etwas Ordnung in dem Chaos.“ Luc stimmte mir zu. „Ich habe keine Ideen mehr“, gab Luc zu. Wir drehten uns seufzend um. Unser Blick fiel auf Code-Labs. Wir sahen uns gleichzeitig in die Augen. „Was sollte uns ein Besuch bei Code-Labs bringen?“, fragte ich zweifelnd. „Die sind technisch sehr fortgeschritten. Was haben wir zu verlieren?“, erwiderte Luc. Ich nickte: „Dann lass uns zu Code-Labs laufen. Ich glaube nicht, dass wir da etwas finden, was uns hilft oder unsere Geschichte erzählt.“
Und wie falsch ich damit lag...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 08, 2020 ⏰

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