Der zweite Tag (3)

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Ich schlug die Augen auf. Ich hatte wohl vergessen die Jalousien runterzulassen, denn die Sonnenstrahlen tänzelten fröhlich durch mein Fenster und berührten mein Gesicht. Ich stand übermüdet auf und zog mich an.

Ich ging durch das Haus, die Treppe runter, durch den großen Eingangssaal, auf die Straße und zurück. Nichts, nichts als Gegenstände, keine Spur von Menschen oder anderen Lebewesen.
Nichts hatte sich verändert.
Ich wusste nicht was ich davon halten sollte, ich wusste ja noch nichtmal was passiert war und was ich machen sollte. Wir hatten logischerweise keinen Strom, nur den Notstrom, welcher eigentlich nur für richtige Notfälle gedacht war aber war das nicht auch ein Notfall? Wie lang hielt der eigentlich? Wenn niemand sonst existierte, musste ich auch dafür sorgen, dass ich überlebte. Ich ging von der Haustür, abermals durch die Eingangshalle zur Treppe und von dort in den Keller mit der recht tiefen Decke. Ich hatte mich hier immer zu Hause gefühlt aber jetzt war das Haus nur noch eine Hülle der toten Stille und kalten Leere. Mein Vater musste hier irgendwo ein Buch gelagert haben. Mein Vater war ein Kontrollfreak und hatte immer für jeden Notfall was vorbereitet, bestimmt auch etwas für einen Stromausfall. Ich ging den breiten Kellergang entlang und weil ich mir gestand, dass ich Angst hatte, sang ich „Mama Mia“. Ich las die abwechselnd goldenen und silbernen Schilder an den Türen:„Mama Mia, here we go again, Phees Kindersachen, my my, how can I resist you, Hobbybücherraum.“
Das war er, ich drückte auf die Klinke und betrat den altmodisch eingerichteten Raum mit moosgrünen Tapeten und alten Holzregalen. Ich schlenderte durch die Bücherreihen und genoss den Geruch von frischen als auch von verwitterten Büchern. Die meisten waren schon so verstaubt, sodass man kaum den Titel entziffern konnte. Mein Vater war ordentlich, er hatte es bestimmt nach einem Muster sortiert, wie Themen oder ähnliches. Nach kurzer Zeit war klar, dass es nach dem Alphabet geordnet war. Ich ging zum Regal „S“ und suchte nach „Stromausfall“. Ich ging sie durch, bis ich schließlich das richtige Buch gefunden hatte. Ich nahm es, knipste das Licht aus, rannte den Gang lang und die Treppe hoch bis ins Wohnzimmer. Ich knallte mich auf die Couch und begann zu lesen.

Bis drei Uhr nachmittags hatte ich das komplette Buch verschlungen und mir die wichtigsten Informationen gemerkt. Der Notstrom hielt, wenn ich sparte vielleicht ein Jahr. Ich wollte gar nicht wissen, woher wir solche enormen Mengen von Notstrom hatten, wir hätten ja eigentlich ein Atomkraftwerk „ausrauben“ müssen aber egal, hauptsache Strom. Der Fernseher wurde mit seiner eigenen Batterie betrieben, das war gut, dann konnte ich meine gespeicherten Lieblingsfilme- und serien schauen. Ich wollte auch nichts anderes, nur mit Chips und einer kuscheligen Decke hier vor dem Fernseher verrecken.
Ich dachte nach, vielleicht war es doch nicht so dumm gewesen, dass mein Vater so gut gerüstet war und zwar für alles, ich war gut in Mathe und Physik aber ein Allseitsstreber, der alles wusste, war ich nicht.
Ich schaute 1 Staffel „Vampire Diaries"(irgendwann sehr brutal), 14 Folgen von der Staffel „Pretty little liars"(spannend und geheimnisvoll), dann noch den Film „Vampire Academy" (Dimitri war verdammt sexy) und zum Schluss fing ich auch noch „How I met your mother" an (das kann ja lange dauern). Und während ich so am vergammeln war, hoffte ich auf ein Türklacken, den Ruf meiner Mutter, dass sie zu Hause sei aber man hörte nur den Fernseher.
Als ich nach Stunden wieder auf mein Handy schaute, stand da nur:

Dienstag / 23:55 / Akku 48% / 05.04.2019 / kein Netz

Ich schaltete den Fernseher aus und legte mich ins Bett. Kleine, kalte, im Monde schimmernde Tränen kullerten aus meinen Augen und ich schluchzte. Ich wollte hier raus, ich wollte weg, verschwinden, nicht mehr allein sein. Ich konnte noch nie gut allein sein und jetzt war ich noch nichtmal etwas allein, sondern sehr, sehr allein. Nirgends konnte oder könnte ich mich hin retten. Ich glitt bald mit getrockneten Tränen auf meinen Wangen in einen tiefen Schlaf.
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