Kapitel 35

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Stetige Gongschläge, die durch den Palast hallten und wie das erhabene Gongspiel der Götter selbst klangen, weckten mich. Ich warf einen Blick nach draußen. Die Sonne hatte noch nicht einmal den Horizont erklommen. Etwas war geschehen.

Kaum hatte ich mich aufgesetzt, stürmten auch schon Dayana und die anderen Hofdamen herein.

»Der Sultan ist tot. Steh auf! Wir müssen dich fertig machen.«, sagte Dayana ernst und ihre Miene war dunkel. Ob der Tod des Sultans Ihr nahe ging?

Auch Anjuli, Mhysa und Lissa schienen bedrückt, obwohl sie den Sultan eigentlich gar nicht kannten. Sie waren zur gleichen Zeit wie ich an den Hof gekommen und da der Sultan die meiste Zeit seine Gemächer nicht verlassen hatte, hatten sie ihn kaum zu Gesicht bekommen.

Erst als man mich in weiße Gewänder hüllte und ein ebenso helles Seidentuch an meiner Tiara befestigte, welches mein Gesicht verdeckte, fing ich an den Tod des Sultans zu realisieren.  Ich hatte ihn nur kurz gekannt, weshalb mich sein Tod fast genauso wenig kümmerte, wie wenn auf meinem Balkon ein Vogel sein Geschäft hinterließ. Dennoch hatte er sich als weniger grausam und eiskalt entpuppt, als ich mein Leben lang gedacht hatte. Im Grunde war er einfach nur ein gebrochener alter Mann, der sich seiner Fehler bewusst geworden  und der Kriege müde war.

Der Tod war eine Erlösung für ihn. Auch wenn dies hieß, seine Kinder und sein Land für immer zu verlassen. Seine Ära war vorbei. Nun begann ein neues Zeitalter, mit Kijan als neuer Sultan an der Spitze.


Worüber ich mehr nachdachte als über den Tod des Sultans, war, wie es jetzt mit mir weiterging, wenn Kijan Sultan wurde.
Wie mir bereits am Tag meiner Ankunft mitgeteilt wurde, nahm ich nun eine neue Rolle ein. Ich erlangte neue Autorität und neue Aufgaben gingen damit einher, die bedauerlicherweise hauptsächlich representativer Natur waren.
Dadurch war es schwierig, etwas im Land zu verändern. Denn Kijan war immer noch der, dem die wahre Macht innewohnte.
Außerdem durfte ich nicht zu unvorsichtig agieren.

Jalons Vorschlag war vermutlich immer noch die beste Lösung; Kijan bezirzen und meine Ideen zu seinen eigenen machen.
Ja, diesen Plan würde ich vorerst verfolgen.
Doch dazwischen kam immer noch die Sache mit dem Teufelsgeneral und dem was er mir erzählt hatte. Auch nach dieser Nacht, gelang es mir nicht, das Erfahrene einzuordnen. Es war so unwirklich, dass ich es beinahe für einen Traum halten würde, wenn ich denn jemand wäre, der regelmäßig unwirkliches Zeug träumen würde.


»Umdrehen.«, befahl Dayana und schnürte die Choli an meinem Rücken. Wie bei meiner Hochzeit folgten Unterrock und Sari. Allerdings alles aus weißem Stoff.

In der tawardanischen Kultur wurde der Tod zwar betrauert, aber gleichzeitig auch wie ein Aufstieg in das himmlische Reich der Götter betrachtet. Man trauerte um das Ende eines Menschenlebens und feierte gleichzeitig den Übergang der irdischen Seele in höhere Sphären, wo sie ihren Platz in den Hallen der Götter einnahm. Vor allem den Geister von Herrschern, wurden noch königlichere Plätze im Götterreich zugesprochen.

Und so war es an den Hinterbliebenen, für einen reibungslosen Aufstieg des Verstorbenen zu sorgen, indem sie angemessen trauerten. Dazu zählte mindestens einen Mondzyklus Opfergaben an die Grabstätte des Toten zu legen und weiße Kleidung zu tragen, um die Reinheit der verstorbenen Seele zu repräsentieren.


Im Gegensatz zur Hochzeit wurde auf pompösen Kopfschmuck verzichtet. Stattdessen befestigte Anjuli mir einen hauchzarten, weißen Schleier an eine schlichte silberne Tiara. Schwerelos legte er sich über meine Augen und reichte mir gerade einmal bis zur Nasenspitze. Diese Art von Schleier wurde lediglich zu dieser Art von Anlass getragen. Er sollte die offensichtliche Trauer der Frauen verstecken, indem er die möglicherweise verquollenen Augen verdeckte, jedoch die untere Gesichtshälfte unbedeckt ließ, damit Andere die silbernen Tränen sahen, die die Wangen herunterliefen.


Atlas - Die Geschichte einer Diebin, die Prinzessin wurde *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt