Leises Rascheln ertönte, als Sotiris neben Dias wach wurde. Sein Atem war hektisch und er blickte sich in der halbdunklen Umgebung des Ganges um. In dem Moment, in dem der Junge bemerkte, wo er war, wurde er gemächlicher. Sotiris setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Er bemerkte Dias' Blick.
„Wie spät ist es?", fragte der gerade erwachte Junge erschöpft, schüttelte aber sofort den Kopf. „Vergiss es."
Dias lächelte schwach. „Tut mir leid, die Sonnenuhr habe ich Zuhause gelassen." Er zog die Knie noch näher an den Körper.
„Schon gut", sagte Sotiris. Er warf einen kurzen Blick auf die noch schlafenden Mädchen ihm gegenüber, lehnte sich mit dem Rücken neben Dias an die Wand und atmete tief ein und aus. Mit der einen Hand zog er seinen Proviantbeutel zu sich und kramte nach etwas Essbarem darin. „Nicht mehr viel", murmelte er so leise, dass Dias ihn kaum verstand.
„Wenn wir es alle aufteilen, dann sollte es zumindest reichen, dass wir nicht zu sehr hungern", meinte Dias. „Und wenn wir hier erst einmal alle raus kommen, dann können wir uns ein riesiges Bankett kaufen!"
Der andere Junge erwiderte seinen enthusiastischen Blick nicht, aber ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Er zupfte mit seinen Fingern an einem Faden herum, der von seiner Tunika herunterhing und auf seinem Oberschenkel lag.
Dias unterdrückte den Drang, selbst danach zu greifen.
„Willst du dich nicht hinlegen?", fragte Sotiris und blickte auf. Seine Augen waren wie zwei matte kleine Lichter, die durch das Halbdunkel strahlten. „Ich kann deine Wache übernehmen."
„Nein, schon gut", log Dias. „Ich bin gar nicht mehr müde." Den seltenen Moment, dass er allein mit dem anderen Jungen war, wollte er nicht verstreichen lassen, selbst wenn Elara und Vaia noch immer bei ihnen waren. Sein Körper passte sich einem schnelleren Rhythmus an, angeführt von seinem rasant schlagenden Herzen. Dias verfluchte es in Gedanken. Bestimmt klopfte es so laut, dass Sotiris es neben ihm auch hören konnte. Noch mehr verfluchte er allerdings, dass er es überhaupt zugelassen hatte, dass er einen seiner Kameraden so nah herangelassen hatte. Es war falsch, in solch einer Situation überhaupt etwas zu fühlen.
Mit der Stille, die zwischen ihnen einkehrte und die nur von gelegentlich lautem Kauen unterbrochen wurde, als Sotiris harte Brotklumpen mit seinen Zähnen abschabte, konnte Dias sich das erste Mal seit Langem wirklich damit beschäftigen, was er wollte. Er wusste, sein oberstes Ziel war es, das Labyrinth zu überleben, aber was geschah danach? In Athen wartete seine Familie auf ihn und betete für sein Überleben. Konnte er überhaupt ein normales Leben führen, nach dem er das Labyrinth überstanden hatte? Vorausgesetzt, er überstand es überhaupt. Dias wusste nicht, welcher Tag es war, wie sie hier rausfinden sollten und was passieren würde, wenn sie wieder rauskommen würden.
Das Labyrinth hatte nicht umsonst den Ruf, perfekt tödlich zu sein. Niemand, der es je betreten hatte, hatte es überlebt. Nicht einmal Dädalus war noch da, um von seinen Erfahrungen beim Bau zu erzählen. Der Einzige, der noch etwas darüber wusste, war Hephaistos, aber der Junge bezweifelte, dass der Gott der Schmiedekunst sich dazu bereiterklären würde, ihnen noch mehr über das Labyrinth zu erzählen. Es war ihm augenscheinlich schon schwer genug gefallen, das erste Mal mit ihnen zu reden und die Geduld eines Gottes sollte man nicht auf die Probe stellen, egal, wie freundlich und hilfsbereit er schien.
„Worüber denkst du nach?", fragte Sotiris leise. „Du bist ein bisschen angespannt." Der Junge deutete mit einem Kopfnicken auf Dias' Knöchel, die hell und weiß von seinen Fäusten abstanden.
„Oh", meinte er und entkrampfte seine Hände, von denen er nicht bemerkt hatte, dass er sie in seine Kleidung gekrallt hatte. „Eigentlich nichts. Und", er seufzte, „irgendwie alles." Dias wandte den Kopf zu seinem Mitstreiter. „Was passiert mit uns, wenn wir hier nicht rauskommen? Also nicht von allein?"
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Lavýrinthos
Fantasy"Ängstigt euch nicht vor dem Tod, denn seine Bitterkeit liegt in der Furcht vor ihm." - Sokrates Vielleicht hatten sie Angst. Wahrscheinlich würden sie sterben. Aber aufgeben würden sie ganz sicher nicht. Das Labyrinth würde sie nicht brechen...