14. 2 Apóleia - Verlust

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Der Schmerz über den Verlust einer ihrer Kameraden saß tief. Jetzt, in just diesem Moment, in dem sie ihn zurückließen, wurde die Gefahr real. Die Bedrohung, die sie hinter jeder Ecke erwarten könnte, wurde greifbarer. Zuvor waren es schattenhafte Schemen gewesen, die in den dunkelsten Gedanken nach ihnen gepackt hatten.

Jetzt konnten die Klauen sie wirklich verletzen.

Eos packte sein Schwert so fest, als wäre es ein Teil seines Körpers. Es kümmerte ihn nicht, dass seine Finger vom Griff schmerzten. Es kümmerte ihn nicht, dass der Schmerz seinen kompletten Handrücken lähmte. Was sollte es ihn auch kümmern? Es zeugte wenigstens davon, dass er am Leben war.

„Es fühlt sich so falsch an", flüsterte Calypso neben ihm. „Ihn dort liegenzulassen, als wäre er ein verendetes Tier."

Er nickte grimmig. „Ich weiß", erwiderte er. „Aber wir hatten keine Wahl."

„Das macht es schlimmer", murmelte sie und schniefte. „Ich – Ich mag mir gar nicht vorstellen, was jetzt mit ihm passiert."

Eos verzog das Gesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse.

„Irgendjemand oder irgendetwas wird ihn finden", ertönte Lyras Stimme vor ihnen. Sie klang nicht genervt oder wütend. Eher antriebslos.

„Das ist grausam", erwiderte Calypso.

„Ist es", stimmte Lyra ihr zu. „Lasst uns hoffen, dass wir keinen der – der anderen auf diese Weise finden."

Dass sie damit ihre Schwestern meinte, musste sie nicht aussprechen. Es war klar und deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören, dass sie sich gerade den Kopf darüber zerbrach, ob das Labyrinth schon eines ihrer Geschwister als Opfer gefordert hatte. Wenn Eos nicht familienlos hergekommen wäre, dann würde er genauso denken.

„Vielleicht treffen wir irgendwann auf eins der anderen Trupps", meinte er mit schwacher Stimme, die nicht ganz die Hoffnung untermauerte, die er damit bewirken wollte. „Dann könnten wir uns zusammenschließen."

„Wer weiß", murmelte Lyra trübe. „Ein schöner Gedanke ist es wenigstens."

Wenn er auch nicht Wirklichkeit werden wird, schloss er. Niemand wusste, wie groß das Labyrinth von Kreta war; es gab keine Karte, keine Möglichkeit der Orientierung. Nach dem, was sie wussten, könnten sie die große Stadt schon längst verlassen haben.

„Wir sollten einen Platz zum Rasten suchen", schlug Calypso nach einiger Zeit des Schweigens vor. Sie unterdrückte ein Gähnen und blickte beschämt zur Seite.

„Ja", stimmte er zu. „Ich bin müde und hungrig."

„Ich weiß zwar nicht mehr, welche Uhrzeit wir haben", erwiderte Lyra leise und blieb stehen, damit sie sich zu ihren verbliebenen Kameraden umsehen konnte, „aber es fühlt sich auf jeden Fall so an, als wären sie schon den ganzen Tag unterwegs."

Ihre Füße flogen über die Steine und Eos konnte sich den Grund für ihre neue Reisegeschwindigkeit nur zu gut ausmalen: Sie wollten so schnell wie möglich weg. Weg von diesem Raum. Weg von der Bürde, die sie nun mit sich herumtrugen mussten. Weg von der schaurigen Erinnerunge an das Geschehene. Während das Echo seiner Schritte sich mit dem von Calypsos und Lyras verband, konnte er seinen Gedanken nicht folgen. Sie wirbelten genauso schnell durcheinander, wie sie durch die Gänge liefen.

Immer, wenn sie eine Ecke passierten oder an einer Kreuzung Halt machten, zog Calypso ihr Schwert hervor und rammte die Schneide mit solch einer Wucht und Stärke in die Wand, dass die Steinsplitter, die daraus hervorkrachten, wie kleine Geschosse die Luft durchschnitten. Ihre x-förmige Markierung im Stein war tiefer und ausgefranster und jedes Mal, wenn sie eine geschlagen hatte, keuchte sie heftig. In ihren Augen brannte es.

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