Die Schwestern packten so viel von den leckeren Speisen ein, wie sie nur tragen konnten. Mit jedem Sprung und jedem Wurf des Speeres wurde Theia sicherer. Bald schaffte sie es ohne die Hilfestellung der Waffe. Sie brachte all die Speisen auf die andere Seite, dort, wo Medeia auf sie gewartet hatte. Alleine der Geruch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen und für einen Moment vergaß sie den Zwist, den sie mit ihrer Schwester hatte. Der Speer hatte ihr gute Dienste geleistet, doch nun stand er nicht zur Debatte. Im Moment war nur wichtig, dass sie all dieses Essen bekommen hatten und nichts dafür hatten tun mussten, als eine Grube zu überqueren. Theia war so glücklich, als sie den letzten vollen Beutel herübergebracht und Medeia ihre neue Waffe wiedergeben konnte.
„So viel Proviant haben wir!", frohlockte sie. „Nun werden wir sicherlich nicht verhungern. Lass uns so viel nehmen, wie wir tragen können und den Rest werden wir verspeisen."
„Dieses Risiko hat sich ausgezahlt", sagte Medeia glücklich. „Und mein Speer hat uns Glück gebracht!"
„Wohl wahr. Vielleicht habe ich mich geirrt", gestand Theia, beäugte die Waffe dennoch mit Argusaugen, als erwartete sie, dass sich der dicke Holzschaft in eine Giftschlange verwandeln könnte, die sich um ihre Hälse legen und ihre Fangzähne in ihrer Haut versenken würde. Doch sie sagte nichts mehr dazu.
Gemeinsam verstauten sie so viele der köstlichen Speisen in ihren Beuteln, wie möglich war. Sie versuchten jeden Zwischenraum auszufüllen und nichts zu verschwenden, doch irgendwann passte selbst die kleinste Traube nicht mehr in ihre Beutel und sie mussten ihre Taschen wieder verschließen. Auch wenn diese nun viel mehr wogen, so waren sie sich einig, dass es das mehr als wert war.
Wenige Augenblicke späten saßen sie im Schneidersitz auf dem Boden und vor ihnen lagen die übriggebliebenen Köstlichkeiten: saftige Fleischstücke und köstliche Früchte. Sobald Medeia auch nur eine Hand voll blutroter Kerne genommen hatte, lief ihr der Saft des Granatapfels die Mundwinkel hinab und ihre Finger sahen aus, als hätte sie einen blutigen Kampf hinter sich. Theia riss mit ihren Fingern Brotstücke heraus, biss mit ihren Zähnen Fleischsehnen aus dem ganzen Braten und kaute genussvoll, während sie Flaschen voll mit extrasüßem Wein entkorkte.
„So muss ein Mahl auf dem Olymp schmecken", sagte sie mit fettverschmierten Fingern und Bratensoße im Mundwinkel. Der Boden war übersäht mit Essensresten und kleinen Knochen.
Die nächsten Stunden aßen Medeia und Theia so viel, wie sie nur konnten. Sie labten sich an den Köstlichkeiten und als sie schließlich alles vertilgt hatten, was sie konnten, waren sie müde und ihre Mägen gefüllt.
Ermattet und mit einem guten Gefühl in der untersten Bauchgegend, ließen die beiden Schwestern den Rest ihres erbeuteten Mahls zurück und stapften wieder hinaus in den steinernen Gang. Obwohl Theia es anfangs noch vorgehabt hatte, mussten sie all die goldenen Platten und Kelche zurücklassen. Sie wären viel zu schwer gewesen, hatte sie gesagt. Viel schwerer, als sie eigentlich sein sollten! Daher waren sie ohne Goldschatz weitergegangen, aber Medeia konnte sich nicht wirklich beschweren. So gut hatte sie noch nie gegessen und sie war in diesem Moment mehr als zufrieden mit sich und der Welt.
Selbst, dass sie und Theia nicht wussten, wo sie langgingen und dass sie immer mal wieder in eine Sackgasse gerieten, konnte ihre gute Laune nicht mindern. Sie schickte ein Stoßgebet an den Gott Apollo, der ihr das Elysium versprochen hatte und konnte nicht anders, als zu lächeln. Ihre Beine und ihr Rücken taten ihr weh und auch die Haut an ihrer Hand war gerötet und juckte, weil sie den Speer des Toten mit sich herumtrug, aber sie war glücklich.
„Nach diesem schwierigen Beginn unserer Reise", fing Theia an als sie zu ihrer Schwester hinüberblickte, „bin ich doch froh, wie es nun weitergeht. Selbst, wenn es nur für wenige Momente sein sollte, gerade sind wir von den Göttern gesegnet und können uns an der Sicherheit erfreuen, die uns gewährleistet wurde. Auch für den vollen Magen müssen wir uns bedanken."
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Lavýrinthos
Fantasía"Ängstigt euch nicht vor dem Tod, denn seine Bitterkeit liegt in der Furcht vor ihm." - Sokrates Vielleicht hatten sie Angst. Wahrscheinlich würden sie sterben. Aber aufgeben würden sie ganz sicher nicht. Das Labyrinth würde sie nicht brechen...