Nie versendete Briefe an Leta

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Liebste Leta,

in letzter Zeit habe ich viel über Freundschaft nachgedacht. Du weißt, ich hatte nie viele Freunde. Zumindest keine menschlichen. Zwei meiner wenigen menschlichen Freunde sind mit mir verwandt gewesen. Zählt das dann überhaupt?

Und dann gab es da dich. Meine einzige richtige Freundin in Hogwarts. Darüber möchte ich mich eigentlich gar nicht beschweren. Ab und zu in meiner Jungend gab es aber Momente, an denen ich mir gewünscht habe, es wäre anders. Momente, an denen ich besser mit Menschen hatte auskommen wollen als es mir möglich war. Schließlich redete doch jeder über Freundschaft und wie wundervoll diese zwischenmenschliche Beziehung war. Bedeutete Freundschaft nicht auch, dass man dazu gehörte? Nicht zwingend zur Mehrheit oder das, was man die etablierte Gesellschaft nannte. Es bedeutet, dass man zu jemand anderem gehört, ein besonderes Band mit jemandem teilt.

Ich hatte jedoch nie das Händchen für Freundschaften. Und wenn wir ehrlich sind, auch du nicht, Leta. Natürlich weiß ich nicht wie es inzwischen bei dir aussieht. Doch zu Hogwartszeiten gab es nur diejenigen, die dir untergeben waren, weil sie dich fürchteten, oder zumindest deinen Namen fürchteten und wofür dieser stand. Es gab dann auch diejenigen, die aufgrund absurder Familienverbundenschaften sich zu gegebenen Zeiten mit dir abgaben. Prestige, nanntet ihr das in deinen Kreisen.

Deine Beziehungen zu den Menschen um dich rum machten stets den Eindruck als würden sie ausschließlich vertraglicher Natur sein. Ein durch und durch rationales Geben und Nehmen, ganz fern von irgendwelcher Sympathie. Deine Familie wegen des Blutes. Deine Stiefmutter wegen deinem Vater. Die Malfoys, Blacks und wie sie alle hießen, wegen vermeintlichem Ansehen und Tradition. Verträge über Verträge, so waren deine sozialen Beziehungen geregelt. Woher hättest du es auch anders kennen sollen?

Und dann bin ich in dein Leben aufgetaucht.

Eine Beziehung, die du nicht richtig einzuschätzen wusstest. Ich war auf dem Papier ein scheinloser, unwichtiger Hufflepuff, der dir nicht einmal eines Blickes würdig gewesen wäre. Doch du hattest etwas an mir entdeckt, das du irgendwie gebraucht hast. Ja, gebraucht ist schon richtig ausgedrückt. Denn du konntest nicht genug davon haben, ich hab es dir jedes Mal angesehen. Das Leuchten in deinen Augen, den Nachdruck in deiner Stimme, wenn ich dir keine Antwort zu deiner Zufriedenheit geben konnte. Die Briefe, die deine aufdringliche Eule an mein Fenster brachte. "Scamander, wann gehen wir wieder in den Wald? Es wird Zeit." Solche Briefe sind wirklich oft gekommen. Damals habe ich mich sehr darüber gefreut. Klar, die Briefe waren nicht besonders nett, aber ich konnte es immer noch nicht ganz glauben, jemanden gefunden zu haben, der sich nur annähernd für dieselbe Sache begeistern konnte wie ich. Damals habe ich das Andere, also die andere Seite der Medaillie nicht gesehen. Obwohl...doch, ich habe sie gesehen, es aber irgendwie geschafft großzügig drüber hinwegzuschauen. So sehr habe ich dich gebraucht.

Heute sieht es da anders aus.

Ich befinde mich gerade in New York und glaub es mir oder nicht, ich habe Begegnungen hier gemacht, die sich zu einer Freundschaft entwickeln könnten. Dir würden sie, fürchte ich, nicht besonders antun. Aber du bist generell von niemandem besonders angetan, Leta, oder ist das jetzt anders?

Ich mag sie.

Ich mag sie wirklich sehr. Und noch schöner, sie scheinen mich auch zu mögen. Woher ich das annehme? Ich, mit meiner katastrophalen Menschenkenntnis? Es ist ganz einfach. Weil sie es mir zeigen, Leta. Weil sie es mir nicht nur zeigen, sondern auch sagen. Weil sie mich gut behandeln, zu jeder Zeit. Es tut mir leid, dir das so sagen zu müssen, aber du hast das nicht gemacht. Du hast das nicht nur nicht gemacht, du hast mich sogar sehr schlecht behandelt, obwohl ich etwas an mir hatte, was du brauchtest. Obwohl du in mir endlich jemanden hattest, der über Blut und Ansehen, an dir interessiert war.

Du hast mir zwar unzählige Briefe zukommen lassen, in denen du mich beinahe anflehtest, dass ich mich mit dir traf. Beinahe, denn eine Lestrange flehte selbstverständlich nicht, um nichts und für niemanden, hattest du mir mal gesagt. Aber du bist auch stets meinen Blicken ausgewichen, wenn ich in der Großen Halle nach dir Ausschau gehalten habe. In der Hoffnung ein Lächeln abzubekommen. Aber das hab ich nicht. Ich kann mich auch daran erinnern, wie einmal einige Slytherins mich wegen irgendwas gehänselt haben. Du standest daneben. Du hast zugeschaut. Aber gesagt hast du nichts. Dabei hätten sie auf dich gehört, denn du warst eine Lestrange und auf Lestranges hatte man zu hören zu unserer verkorksten Zeit. Ist das Freundschaft, Leta?

Ich frage mich wirklich, ob du nun, als, wie ich vermute, wunderschöne erwachsene Frau an die Zeit zurückdenkst und verstehen kannst, was ich hiermit sagen möchte. Einen Freund lässt man nicht so in Stich, von einem Freund sollte man nicht die ganze Zeit etwas anfordern, aber selbst nicht einmal ein kleines Lächeln schenken.

Ich wünschte sagen zu können, dass du nur Anfangsschwierigkeiten gehabt hast. Dass es später besser geworden ist mit uns. Und das ist es ja schon, irgendwie, aber irgendwie eben auch nicht. Zu einem gewissen Grad ist diese Undifferenziertheit immer geblieben. Du hast mir nie ganz entgegen gebracht, was ich wiederum für dich getan habe. Wegen dir weiß ich nicht  wie ich mit der Aufmerksamkeit meiner neuen Bekanntschaften umgehen soll.

Natürlich, wir hatten eine tolle Zeit miteinander, als wir Kinder waren und uns anfreundeten. Als wir gemeinsam durch den Wald huschten, ihn und seine Bewohner entdeckten und erforschten. Vielleicht hätte ich aber mehr von dir zurückverlangen müssen. Vielleicht hätte ich dir mehr Ultimaten stellen müssen. Vielleicht hätte ich dich einmal nehmen und kräftig durchschütteln müssen. "Leta, so funktioniert das hier nicht! ", hätte ich mehr durchsetzen können. Vielleicht. Vielleicht hätte ich dich dann nicht auf die Weise verloren, wie ich es letztendlich habe.

Sag mir Leta, wärst du dann noch bei mir?

Sag es mir, wie kann ich von neuen Freundschaften sprechen und doch am Ende hier sitzen, dir einen Brief schreiben, der nie bei dir ankommen wird und mir dabei nichts sehnlicher wünschen als, dass du plötzlich in meiner Werkstatt auftauchst und deine Hand auf meine Schulter legst?

Egal wie sehr ich versuche es zu wenden, es aus einer objektiven reflektierenden Sicht zu betrachten, bei der du nie sonderlich gut davon kommst, am Ende bleibt es doch gleich. Du fehlst mir. Verdammt. Du fehlst mir, du fehlst mir.

In Liebe,

Dein Newt

A Taker (Newt Scamander)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt