Surprise

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Ende Mai 2019

Von Minute zu Minute wurde ich aufgeregter und meine Vorfreude stieg ins Unermessliche, während der ICE über die Schienen bretterte. Eine ganze Woche hatten wir uns nun nicht gesehen, da ich beruflich ins Ausland musste. Es kam zwar hin und wieder vor, dass ich deutschlandweit gebucht wurde, doch ins Ausland musste ich bisher noch nie. Die Zeit in Spanien war schön, hatte Spaß gemacht und war einfach mal etwas komplett anderes, doch ich vermisste ihn.

Mein Rückflug heute Mittag ging nicht direkt nach Berlin, sondern nach Hamburg, da ich dort noch einen Termin hatte, um weitere Bookings zu besprechen. Seit ein paar Jahren stand ich nun schon als Tattoomodel vor der Kamera. Anfangs war es nur eine Art Hobby, doch schnell hatte ich Gefallen daran gefunden und die Angebote kamen nur so hereingeflattert. Ich mochte meinen Job, hatte Spaß daran neue Leute kennenzulernen und hin und wieder in andere Städte zu reisen. Die Auswahl der neuen Angeboten stellte mich zufrieden und ich freute mich jetzt schon darauf, diese wahrzunehmen. Doch noch viel mehr freute ich mich auf ihn. Ihn in ein paar Stunden endlich wieder küssen und in meinen Armen halten zu können.

Nur noch 15 Minuten bis zum Berliner Hauptbahnhof. Langsam begann ich damit, meine Sachen zusammenzupacken, sodass ich nicht wieder kurz vor knapp in Eile alles zusammensuchen musste. Den Laptop, auf dem ich mir mehr oder weniger konzentriert einen Film angeschaut hatte, verstaute ich in meinem Rucksack, zusammen mit dem Ladekabel und meiner Flasche, die ich mir am Bahnhof in Hamburg noch gekauft hatte.

Gerade als ich aufstehen wollte, vibrierte mein Handy in meiner Hosentasche. Langsam zog ich es hervor und entsperrte das Display. Dank der Voransicht, konnte ich die eingegangene Whatsapp Nachricht lesen und sie ließ mich einen Moment lang strahlen.

Dag (21:48 Uhr): Ich vermisse dich und freue mich, wenn du zurück bist!

Vor genau fünf Wochen hatten wir uns kennengelernt. Naja, genauer gesagt hatten wir uns an diesem Abend vor fünf Wochen zum ersten Mal gesehen und sind kurz darauf im Hinterhof des Sage Clubs übereinander hergefallen. Naja, eigentlich war er es, der über mich herfiel. Seitdem hatten wir uns ein paar Mal getroffen, hatten längeren, intensiveren Sex miteinander, der nicht nur im Stehen oder an irgendwelchen heruntergekommenen Orten stattfand. Als ich seinen Körper zum ersten Mal in seiner vollen Pracht zu sehen bekommen hatte, verschlug es mit fast die Sprache. Er war so schön definiert und es passte einfach alles zusammen. Neben dem immer besser werdenden Sex, führten wir auch interessante Gespräche und lachten viel miteinander. Einerseits gingen unsere Interessen in einigen Punkten stark auseinander. Zum Beispiel begeisterte er sich für Geschichte und hielt sich mehrmals die Woche in der Boulderhalle auf, während man mich mit Sport jagen konnte und ich lieber einen Serienmarathon startete, anstatt mir irgendwelche Dokumentationen anzuschauen. Doch andererseits waren wir uns auch sehr ähnlich. Oft waren wir gleicher Meinung, tranken beide gerne Alkohol, rauchten viel zu viel und machten auch vor Drogen jeglicher Art keinen Halt, obwohl wir genau wussten, wie sehr all das unseren Körpern schadete.

Ohne die Nachricht zu öffnen wischte ich sie zur Seite, da ich mich nicht zu sehr von meinen Plänen ablenken lassen wollte. Ich hatte schließlich noch ein paar Dinge zu erledigen. Nachdem ich mein Handy wieder in meiner Hosentasche verstaut hatte, erhob ich mich von meinem Sitz, zog mir meinen Hoodie über den Kopf, setzte mir meinen fertig gepackten Rucksack auf die Schultern und holte meinen Trolley von der Ablage.

Mit einem zufriedenen Lächeln stand ich an der Tür, schaute hinaus auf die Dächer und besprühten Hauswände von Berlin und freute mich darauf, endlich wieder Zuhause zu sein. So gerne ich auch unterwegs war, war es einfach immer wieder schön nach Hause zu kommen. Ich liebte diese Stadt einfach so sehr. Obwohl sie vielen Menschen zu groß, zu hektisch und zu schnelllebig war, machte mich genau das glücklich, denn hier war ich frei und konnte tun und lassen was ich wollte und wann ich wollte. Egal was ich auch suchte, ich bekam es. Berlin war für mich nicht nur Party und Action, Feiern, Alkohol und Drogen. Die Stadt konnte genauso gut ruhig und erholsam sein, mit jeder Menge Parks und Grünanlagen, die mir oft genug das Gefühl gaben, im Urlaub zu sein. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass mein Großvater vor vielen Jahren genau hier ein Haus gekauft hatte. Bereits vor seinem Tod hatte er mir eine Wohnung darin versprochen, denn er wollte, dass ich rauskam aus Brandenburg und mir ein Leben in der großen Stadt aufbauen konnte. Ich vermisste ihn und unsere Gespräche so sehr, denn wir standen uns sehr nahe und er hatte immer großes Potential in mir gesehen. Meine Eltern brachte es stets auf die Palme, dass ich so sprunghaft war und fast täglich Interesse an etwas Neuem hatte, doch mein Großvater hatte das immer als positive Eigenschaft abgetan. Mich selbst nervte es oft genug, dass ich mich einfach nie für etwas entscheiden konnte. Sogar die Sportvereine wechselte ich fast so häufig wie meine Unterwäsche.

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