8| Schweigen ist Gold.

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Der Sommer hatte drastisch an Fahrt verloren. Es regnete wie aus Eimern und das Thermometer war kaum über die fünfzehn Grad gekommen. Mit dicken Wollpulli, hellblauer Jeans und Stiefeletten bewaffnet griff ich nach meiner Tasche und verließ das Auto. 
Mit schnellen, harten Schritten rannte ich eine Querstraße zum Büro. Doch bis ich es betreten hatte, war ich schon bis auf die Knochen nass. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es tatsächlich regnen würde und war unvorbereitet gewesen. 
Leon saß auf dem kleinen Sofa, sprang aber sofort auf, als er mich sah. "Hey, Larissa." Begrüßte er mich mit einem breiten Lächeln. Ich lächelte zurück. "Guten Morgen." Ich ging zu meinem Schreibtisch, legte meine Tasche ab und begrüßte Susanne, die allerdings in ein Telefonat vertieft war. Leopold war noch nicht da, also ging ich zur Küchenzeile und setzte den Wasserkocher auf. Aus dem Schrank nahm ich einen Teebeutel Heiße Liebe und ließ ihn in meine Tasse fallen. 
Während ich auf das Wasser wartete kämmte ich mir mit den Fingern durch die Haare. Strich gedankenverloren über meinen Hals und schloss die Augen. Noch immer spukte mir der Kuss mit Alexis in meinen Gedanken herum. Und ich fragte mich, warum er es nicht geschafft hatte, mich so zu erschüttern, wie es eine einfach kleine Berührung von Mücke es getan hatte. Und warum mich sein Abgang am Wochenende, die letzten drei Tage so zerstreut haben. 
Das leise Klicken des Wasserkochers riss mich aus meine Träumen und ich konzentrierte mich darauf. Als ich meine Tasse gefüllt hatte ging ich zu meinem Tisch und sah, wie Leon sich auf dem Stuhl gegenüber niedergelassen hatte. 
"Und?" Fragte er als ich mich setzte und die Tasse abstellte. "Und was?" Wollte ich wissen, weil seine Frage mich etwas aus dem Konzept brachte. "Wie läufts?" Sagte er dann und ich runzelte die Stirn, dann lächelte ich. "Gut." Eine eigenartige Unterhaltung.  "Dieser Typ...am Samstag..." Begann er und kratzte sich am Hinterkopf. Ich erstarrte. "Ist der dein Freund?" Fragte er und klang dabei leicht ablehnend. "Vielleicht." Sagte ich skeptisch und sah ihn an. Er nestelte an seinem Kragen herum. "Echt? Ihr seht nicht so..." Diesmal suchte er nach Worten. "Er ist nicht mein Freund." Erklärte ich um ihn aus seinem Gestammel zu holen. "Puuh. Ich dachte schon. Weil er und du..." Er lachte abfällig. "Weil er und ich ...was?" Wollte ich wissen und konnte nicht verhindern, dass ich wütend klang. "Naja, nichts. Ihr seit halt nur sehr unterschiedlich." Erklärte er und ich blickte ihn an. Auch er hatte Mücke verurteilt. Wie lange hatte er ihn gesehen? Durchs Fenster, eine halbe Minute? 
"Ich habe mir Sorgen gemacht." Gestand er und senkte den Blick auf seine Hände in seinem Schoß. Für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. "Das ist ..." Begann ich aber die Tür ging auf und unterbrach uns Leopold kam herein und schüttelte sich einige Regentropfen aus den Haaren. "Guten Morgen." Sagte er freundlich und lächelte mir zu. Susanne schmolz auf ihrem Stuhl förmlich dahin, als er ihr auch ein Lächeln zuwarf. Sofort begann Hektik ihren Körper zu fluten. Ob Leon das merkte? War es ihm peinlich? Er ließ sich nichts anmerken. "Hast du Lust heute mit mir den neuen Laden an der Ecke auszuprobieren? Zum Mittag?" Riss mich Leon aus meinen Gedanken. Perplex nickte ich. Das hatte ich schon seit einigen Tagen vor und Leon wäre eine nette Gesellschaft. "Das klingt nett." Fügte ich meinem Nicken hinzu und lächelte, zeigte ihm dann aber, dass ich einen Haufen arbeit zu erledigen hatte.
Die Nachbereitung des Straßenfestes musste gemacht werden, Rechnungen sortiert, Feedback ausgewertet, Fragen an Kiezbürger beantwortet werden.
Damit begann ich. Ich stellte einen Fragenkatalog zusammen, mit den Fragen, die nicht spezifisch waren und reihte sie auf. Es würde Susanne oder Leopold zufallen, sie zur Gänze zu beantworten. 
Dann beantwortete ich einige E-Mails , die ich beantworten konnte und machte mir einen weiteren Tee. Als Hanna um kurz nach zehn hereinkam war ich in den Terminkalender vertieft und versuchte einige Ungereimtheiten zu beseitigen. Doch es war nur ein Übertragungsfehler. 
Gegen zwölf war ich fertig mit den neuen Vorstellungsmappen von Leopold, die Susanne mir zur Korrektur und dann zum Druck gegeben hatte. Ich sortierte sie auf einen Stapel und legte sie hinter Susanne auf das Regal. Daneben legte ich ein paar der Kugelschreiber mit Leopolds Namen darauf und ebenso viele karierte Schreibblöcke mit dem Logo der Partei darauf. 
Als Leon, Hanna und ich das Büro verließen und zur Ecke schlenderten, da das Wetter aufgeklart hatte, war es schon fast ein Uhr. Ich hatte Hanna gefragt, ob sie uns begleiten wollte und sie hatte sofort zugestimmt. 
Sie erzählte gerade über diese neue Initiative, die für ein plastikfreies Leben einstand und davon, dass sie seit über sechs Wochen kaum noch Plastikmüll produzierte. Sie wollte bei null ankommen, doch es gelang ihr nicht immer, was sie wahnsinnig ärgerte. 
Leon lauschte ihr angestrengt, doch meine Gedanken schweiften ab. Waren wie verstrahlt. Wir kamen an den kleinen Laden, der laut Karte vegane Bürger verkaufte und stellten uns hinter ein paar Leuten an. Ich bekam kaum mit, dass wir dran waren als Leon mich anstupste. "Larissa?" Fragte er mich und ich schüttelte den Kopf um meine Gedanken loszuwerden. "Ich nehme das gleiche wie du." Sagte ich schnell ausweichend, denn ich hatte keinen großen Hunger und keine Ahnung, was genau ich bestellen sollte. Es war mir auch egal. Leon nickte jedoch und bestellte für mich. 
Hanna begann gerade mit mir zu reden, als die Tür aufging und Mücke hereinkam. Neben ihm der blauhaarige Typ den ich schon mal mit ihm zusammen gesehen hatte. Sofort wandte ich den Blick ab und tat so als hätte ich ihn nicht bemerkt, auch wenn das eine fette Lüge war. 
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er zum Kühlschrank ging und sich etwas herausnahm. Dan ging er selbstsicher zum Tresen und bezahlte. 
Meine Gedanken waren völlig absurd, weil mein Körper sich auf ihn ausgerichtet hatte. Ich wollte das er mich ansprach, dass er einfach nur nickte, mir ein Zeichen gab das er mich gesehen hatte und mich nicht ignorieren würde, doch mit jedem Schritt von ihm wurde diese Hoffnung immer weiter zurückgedrängt. 
Hanna und ich standen an einem Stehtisch direkt neben dem Ausgang und ich bebte beinahe als er zur Tür ging, nur ein paar Zentimeter neben mir. ich dachte daran, wie seine Finger über mein Schlüsselbein gefahren sind, wie er mich gedankenverloren gestreichelt hatte. Meine Fingerspitzen kribbelten vor Nervosität. Ich fühlte mich plötzlich als würde ich krank werden. Bitte, sag etwas! Flehte ich stumm. Nur ein Wort. Nur ein Hallo! Bitte!  Rief ich ihm leise zu. Doch er sagte kein Wort. Stattdessen stellte er etwas auf unseren Tisch, sah mich an und schenkte mir ein verschmitztes Lächeln. Dieses Lächeln, dass ich schon in meinen Träumen gesehen hatte. 
Er war also nicht sauer auf mich. Ich hatte befürchtet, dass er sauer über meine Einstellung gewesen war oder weil ich ihn beleidigt haben könnte, doch ich wusste einfach nicht was es sein konnte. Aber er war nicht sauer, stattdessen bekam ich sein Lächeln und ein kurzen Blick in seine schönen grünen Augen.
Mit einer fließenden Bewegung drehte er sich zu seinem Freund um und war verschwunden. Für eine Sekunde sah ich Hanna an, die mich musterte. Dann sah ich die Flasche an, die vor mir auf dem Tisch stand. Eine Flasche von der Cola, die er mir beim Straßenfest gekauft hatte und mich gedrängt hatte sie zu trinken. Lächelnd griff ich danach. "Was war das denn?" Fragte Hanna nur, doch ich schwieg. Ich wusste es nicht genau, aber ich glaubte, dass war ein Friedensangebot. 

Die Prinzessin und der PunkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt