11| Bluten und bluten lassen

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Ruckartig riss ich mein Knie hoch, verfehlte allerdings seinen Schritt. Aber es reichte damit er etwas nach vorne Sackte und einen Schritt von mir wegtaumelte. Sofort reagierte ich, schlüpfte aus seinem Griff und rannte aus dem Eingang. So schnell ich konnte, blind von meinen Tränen und aufgepeitscht durch das Adrenalin rannte ich die Straße runter und sauste um die Ecke. Schmerzhaft prallte ich gegen jemanden und landete unsanft auf den Knien. Schluchzend versuchte ich mich aufzukämpfen, doch meine Kraft ließ nach. Verzweifelt hob ich den Blick. Doch meine Sicht war noch immer verschwommen und die Straße dunkel. "Hey. Shh." Hörte ich eine männliche Stimme. "Was ist passiert?" Wollte er wissen und ich seufzte. Schnell blinzelte ich die Tränen weg.
Vor Erleichterung wäre ich beinahe wieder zu Boden gesunken, als ich erkannte mit wem ich zusammengestoßen war. "Mücke?" Fragte ich dennoch, um auf Nummer sicher zu gehen. Sachte zog er mich hoch an seine Brust, die mit einem schwarzen Rollkragenpullover bedeckt war. Zu seiner Kurzen Jeans sollte es albern aussehen, doch das tat es nicht. Ich presste mich an ihn um die Kälte zu vertreiben und wünschte mir dass dieses Gefühl von Bens Lippen und Fingern endlich verschwand. "Was ist passiert?" Fragte er verbissen und hielt mich auf Armlänge von ihm weg. Sofort vermisste ich die Wärme. Es war wirklich kalt geworden.
Bebend antwortete ich. "Dieser Typ..." Er versteifte sich. Mit einem letzten Blick auf mich, ließ er mich los und ging um die Ecke. Gerade als Ben ihm in den Weg trat. Sofort schoss sein Blick zu mir. "Da bist du ja, Schatz." Schatz? Galle stieg in mir auf. "Larissa, mach keine Szene und komm mit nach Hause." Sagte er ruhig und ich konnte nicht glauben, wie er das schaffte. Ich wollte ihm selbst glauben. "Mann, du weißt ja wie Frauen manchmal sind." Sagte er mit einem Schulterzucken zu Mücke. "Frauen vielleicht, aber nicht sie." Erklärte dieser und bevor ich mich versah, hatte er Ben einen rechten Haken verpasst. Vor Wut schrie er auf, taumelte etwas zurück und hielt sich seinen Kiefer. Doch nur eine Sekunde später stürzte er sich auf Mücke.
Mühelos wich der ihm aus, versetzte ihm einen weiteren Schlag und ich spürte wie meine Wut sich vollends auflöste. Sie machte einem schmerzhaften Pochen in meiner Hüfte platz und diesem Gefühl einer unendlichen Traurigkeit. Mücke hörte erst auf Ben mit Schlägen zu bearbeiten, als er auf die Knie fiel. Blut floss aus seinem Mund und seiner Nase und eine Platzwunde über seinem Auge, sah auch nicht wirklich schön aus. "Wenn ich dich noch einmal auch nur in ihrer Nähe rieche, leg ich dich um. Ist das klar?" Knurrte Mücke, wartete aber keine Antwort ab, wandte sich um und kam auf mich zu. Sachte, als hätte er Angst mich zu verschrecken hob er die Hände. Zärtlich, beinahe als würde er mich nicht berühren, legte er seine Finger an meine Wangen, schob sie in meine Haare und legte seine Stirn an meine. "Geht es dir gut?" Hauchte er und ich versuchte zu nicken. Meiner Stimme traute ich nicht mehr. Ein paar lange Augenblicke standen wir so da, dann trat er zurück, griff nach meiner Hand und zog mich mit sich. Sofort fiel mein Blick auf seine Hand, die mit meiner verschränkt war. "Du blutest." Sagte ich etwas schockiert und blieb stehen. Ich wollte mir seine Finger ansehen, doch er schüttelte nur den Kopf. "Das Meiste ist nicht von mir." Sagte er sichtlich unbehaglich.
Bereitwillig ließ ich mich von ihm weiterziehen. Wir liefen die Oranienstraße entlang und betraten irgendwann einen Durchgang. Er legte mir seinen Arm um die Schulter und führte mich über einen kleine Innenhof, mit gemusterten Bodenplatten, großen Bäumen und Hunderten kleiner Lichter zu einem Seitenhaus. Mit einem Schlüssel öffnete er die Tür und wir betraten ein gepflegten Altbau. Die Treppen waren aus Holz und knarrten unter jedem Schritt, der rote Teppich und die weißen Stufen wirkten edel. Auf jedem Treppenabsatz standen Pflanzen und durch die Fenster hinter ihnen, schimmerten die Glühlämpchen vom Hof.
Mücke führte mich bis in den vierten Stock und öffnete die einzige Tür, die ganz oben in eine Wohnung führte. Weiße Wände, stuckverzierte Decken und alter Dielenboden fielen mir ins Auge. "Ich besorg dir was zum anziehen." Sagte er und ließ mich in dem kleinen Eingangsbereich stehen. Verwirrt blickte ich an mir herunter. Mein weißes Top war zerrissen und wirkte derangiert. Sofort spürte ich wieder seine Finger und Lippen auf mir. Bebend ging ich weiter den Flur hinein, hielt mich aber an der Wand aufrecht. Ich brauchte eine Dusche, am besten eine Dekontaminationsdusche. Der Flur, von dem zwei Türen abgingen, führte in ein gemütliches Wohnzimmer. Mein Körper sehnte sich danach, sich einfach auf die Couch sinken zu lassen und zu schlafen, doch mein Verstand wollte den Abend abwaschen. Seine Finger und seine Lippen abwaschen. Die Scham wegspülen. Ein Schluchzer kämpfte sich aus meiner Kehle. Doch ich schluckte ihn herunter. Es war nicht der richtige Augenblick. ab es überhaupt einen richtigen Augenblick für sowas?
"Hier." Riss mich Mücke aus meinen Gedanken und reichte mir ein schwarzes Shirt und eine graue Jogginghose. Ich stellte mir vor, wie er darin aussehen würde.
"Darf ich dein Bad benutzen?" Fragte ich unsicher und sah ihn an. Er nickte, lächelte leicht. Doch es erreichte nicht seine Augen. Er wirkte angespannt, irgendwie besorgt und ich fragte mich, ob das nur an mir lag.
"Natürlich." Er reichte mir seine Hand und ich ergriff sie vorsichtig. Alleine diese Berührung schaffte es, dass ich mich sofort besser fühlte. Er führte mich in den Flur und zeigte mir ein kleines Bad hinter einer der Türen. Er erklärte mir, dass er im Wohnzimmer auf mich warten würde, dann ließ er mich in dem kleinen, hellen Badezimmer allein.
Mit wackligen Schritten trat ich zum Waschtisch und blickte in den Spiegel darüber. Erschrocken über mein Erscheinungsbild wischte ich mir mein verwischtes Make-Up weg, doch mit meinen Fingern machte ich es nur schlimmer. Schnell schnappte ich mir etwas Klopapier, machte es nass und probierte es nochmal. Das funktionierte besser.
Allerdings fühlte ich mich noch immer dreckig. Langsam zog ich mich aus, versuchte so wenig wie möglich meine Hüfte zu bewegen und stellte mich in die kleine Duschkabine. Hier erst erlaubte ich mir meinen Tränen freien Lauf zu lassen.

Die Prinzessin und der PunkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt