Kapitel 13: Tag

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Wieder einmal war ich früh auf den Beinen, mit dem einzigen Unterschied, dass ich an diesem Tag sogar noch viel früher wach war.

Als ich in den Spiegel blickte erschrak ich mich vor mir selbst, obwohl ich es hätte wissen müssen.
Meine Haare sahen aus wie ein Vogelnest und mit meinen Augenringe hätte man Sackhüpfen spielen können.

Ich wollte nicht zur Schule. Wollte nicht auf Sheru treffen.
Was fiel ihm eigentlich ein, mitten in der Nacht bei mir aufzutauchen? Durch mein Fenster?

Ich muss zugeben, er hatte etwas Anziehendes an sich...
Oh Gott, ich sollte damit aufhören! Was war bloß in mich gefahren? Ich kannte ihn nicht!
Außerdem hatte er neben dieser anziehenden Seite auch eine Seite, die mir wirklich Angst bereitete.

„Weil ich es will."

Seine Worte schwirrten immer wieder durch meinen Kopf.
Kannte er seine Wirkung auf andere? Wusste er, wie er sie kontrollierte? Hatte er noch mehr Opfer?

Überfordert raufte ich mir die Haare.
Konnte er nicht einfach wieder verschwinden? Was wollte er hier? Und was wollte er von mir?

Erschöpft ließ ich meine Arme wieder sinken und machte mich widerwillig fertig für die Schule.

„Du redest mit mir, wenn es dir nicht gut geht, ja?", verabschiedete sich mein Vater von mir. Mit aufgezwungenem Lächeln nickte ich. Ich konnte mit ihm wirklich über alles reden, aber das behielt ich lieber für mich... Nicht, dass er mich auch noch für verrückt erklärte.

...

„Hey, Ari!", begrüßte mich Amber glücklich, als sei nie etwas gewesen. Ich schenkte ihr ein Lächeln, umarmte sie und ging dann neben ihr her zum Klassenzimmer.
„Sheru ist schon da.", verkündete sie mir, als wäre es eine wichtige Botschaft. Ich ging nicht darauf ein. Zumindest nicht direkt, denn das Zusammenkrampfen meines Magens konnte ich nicht verhindern. Viel zu schnell öffnete sie die Tür und ich atmete erst aus als ich erkannte, dass Sheru mir keine Beachtung schenkte, sondern seinen Blick gesenkt hielt. Es war seltsam, Amber nichts von der letzten Nacht zu erzählen, doch ich konnte es nicht.
Ich tat es also Sheru gleich und schenkte ihm einfach keine Beachtung. Oder ich versuchte es zumindest. Mein Blick schien wie durch Magie an ihm zu kleben und irgendetwas an seinem Blick, der immer nich starr auf seinen Tisch gerichtet war, sagte mir, dass er es wusste. Genauso spürte ich aber auch Ambers stechendenden Blick in meiner Seite, die natürlich sofort mein Verhalten bemerkte und mich unsanft in die Seite boxte. Ich schenkte ihr nur einen genervten Blick, war ihr aber fast dankbar, dass sie mich von ihm abgelenkt hatte.

Der Unterricht war mal wieder sterbens langweilig und ich war kurz davor einzuschlafen, als mich wie aus dem Nichts einer der Blitze traf und ich vor Schreck beinahe vom Stuhl fiel. Die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse galt nun mir, und die fragenden blicke schienen mich zu erstechen, doch am schlimmsten war der von Sheru.
„Geht es dir gut, Ariana?", fragte nun auch meine Klassenlehrerin, „Hat der liebe Gott dir die Aufmerksamkeit wieder geschenkt?"
Ein kichern erfüllte den Klassenraum, der mir plötzlich viel zu klein vor kam. Mein Blick wanderte langsam und verängstigt durch die Klasse, bis er an Sheru hängen blieb, welcher mir entschuldigend ansah. Er wusste es!

Die Klasse verlor ihr Interesse an mir genau so schnell wieder, wie es aufgetaucht war und ich verbrachte den Rest der Stunde damit, meinen Gedanken hinterher zu hängen.

Der Pausengong erlöste mich aus meiner Starre und ließ mich beinahe aufspringen. Ambers besorgten Blick ignorierte ich gekonnt. Meine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Sheru. Als dieser den Raum verließ schmiss ich mir meinen Rucksack über die Schulter und stolperte ihm hinterher, weitere merkwürdige Blicke ignorierend.
Bei den Spinden holte ich ihn ein, packte ihn an der Schulter und drehte ihn zu mir herum, was sich als gar nicht so einfach herausstellte, aufgrund seiner Größe.
Beinahe blieben mir die Worte im Hals stecken, doch ich fing mich gerade noch rechtzeitig wieder.
„Was fällt dir ein, nachts in mein Zimmer zu spazieren, als wäre es ganz normal und nebenbei auch noch meine Träume zu kontrollieren?", zischte ich möglichst leise, um zu verhindern, dass uns jemand zuhörte. Erst im Nachhinein würde mir bewusst, was ich gerade gesagt hatte. Sheru jedoch, verzog keine Miene.
„Ganz ruhig, Löwin.", sagte er fast spottend, ein Grinsen in seinem Gesicht. Ich spürte sofort, wie ich rot wurde.
„Das ist nicht witzig!", zischte ich erneut, doch ihn schien mein Verhalten nicht aus der Fassung zu bringen.
„Hört mal her!", rief er nun durch den langen Flur und sofort langen um die zwanzig Blicke auf uns, „Dieses Mädchen hier denkt, ich würde ihre Träume kontrollieren!", lachte er, „Falls nich jemand hier von mir träumt: vielleicht liegt es auch einfach daran, wie gut ich aussehe, als daran, dass ich irgendwas kontrollieren würde."
Ich hörte ein paar Mädchen kichern, sah ein paar Jungs, die sich verwirrt umdrehten und andere, die sich wirklich darüber lustig zu machen schienen.
Aber... er hatte es doch letzte Nacht selbst zugegeben, oder etwa nicht? Er hat gesagt, er wisse davon. Vielleicht meinte er etwas anderes als ich? Nein, das kann gar nicht sein! Natürlich wusste er, wovon ich sprach.
In diesem Moment, im Flur, spürte ich, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Schnell drehte ich mich um und verschwand auf der Mädchen Toilette. Ich hört noch, wie Amber mir nach rief, doch mein Name vermischte sich mit den Lachern und spöttischen Blicke der anderen und ich blendete es, so weit es für mich möglich war, aus. Als ich die Toilette betrat verriegelte ich die Tür so schnell, wie noch nie zuvor, setzte mich auf den geschlossenen Klodeckel und ließ die Tränen mein Gesicht herunter laufen. Jede von ihnen war, wie einer der Träume. Nicht zu verhindern, wie von allein und verunsichernd.

Nach einem kurzen Moment, in dem ich nur mich selbst hörte, klopfte es plötzlich an der Klotür.
„Ari, was ist passiert? Warum hast du ihm von deinen Träumen erzählt?"
Ja, warum eigentlich? Er und der Rest der Schüler haben allen Grund, mich deshalb für verrückt zu erklären..
Ein Schluchzen verließ meinen Mund anstelle einer Antwort, doch davon hatte ich eh keine. Ich wusste es doch selbst nicht!
„Ari, mach bitte die Tür auf!", bat sie mich mit etwas Nachdruck. Unsicher und mit zittrigen Händen beugte ich mich nach vorne und entriegelte die Tür. Sofort kam Amber rein, zog mich auf meine Beine und schloss mich in eine Umarmung, was bloß zu noch mehr Tränen führte, die nun wie kleine Bäche meine Wangen herunter flossen und kleine dunkle Flecken auf Ambers Shirt hinterließen.

„Was hast du ihm gesagt?", fragte mich meine beste Freundin, als ich mich etwas beruhigt hatte. Ich erzählte es ihr schließlich wiederwillig, denn ich wusste, sie würde nicht nachlassen, bis ich es tat, und sie riss ihre Augen auf, als hätte sie es sich nach Sherus Aussage nicht bereits denken können.
„Du hast einem fast fremden Jungen erzählt, dass du von ihm träumst?", fragte sie, immer noch ungläubig dreinschauend, „Flirten müssen wir wohl nach mal üben!", sagte sie zwinkernd, um mich aufzuheitern und ich zwang mich zu einem Lächeln, doch innerlich wusste ich, dass niemand das hier jemals verstehen würde.

Sheru || Wenn sich Wirklichkeit mit Traum vermischtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt