Kapitel 16: Tag

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Verwirrung. Nichts als Verwirrung beschrieb in diesem Augenblick den Zustand meines Kopfes.
Ich sprang auf, lief den Weg nach draußen den ich gekommen war und rannte über die Straße, direkt in den Wald, in der Hoffnung dort etwas mehr Informationen zu finden. Solange es noch hell war, schien es mir das Sinnvollste, was ich hätte tun können. Wer wusste schon, wann hier der nächste Bus käme. Bestimmt nicht innerhalb der nächsten Stunde.

Ich ging den Weg entlang, dem ich in meinen Träumen schon etliche Male folgte. Und es war wirklich genau der selbe. Ich erkannte jeden Baum, jeden Zweig wieder. Manche sind abgebrochen und lagen jetzt verteilt auf dem schmalen Waldweg.

Es war seltsam hier entlang zu gehen, ohne von einem Gewitter geführt zu werden.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, hier zu finden. Es sah alles genauso aus wie in meinen Träumen, nur nicht so dunkel.

Frustriert schoss ich ein paar Äste durch die Gegend, bevor ich mich erschöpft mit dem Rücken an einem Baum heruntergleiten ließ.

Der Wald war wunderschön und doch hatte er eine Wirkung auf mich, die ich nicht als positiv einordnen würde, erklären konnte ich es mir dennoch auch nicht.

Was tat ich hier bloß?
Wie war es möglich, dass es Menschen und Orte aus meinen Träumen, die ich zuvor nie gesehen hatte, wirklich gab?
Wer war dieser Junge mit den Haaren, schwarz wie die Nacht?
Wieso tat er, was er tat?

Frustriert fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare und lehnte meinen Kopf mit etwas zu viel Schwung nach hinten, an den Baum.
„Autsch!", fluchte ich vor mich hin.

Ich grübelte noch lange darüber nach, was ich tun sollte, doch der Wald und ich hatten genauso wenig Antworten wie Sheru.

Irgendwann machte ich mich wieder auf den Weg zurück und je näher ich dem Haus kam, desto vorsichtiger wurde ich. Das letzte was ich wollte war Sheru erneut zu begegnen. Es war eine dumme Idee gewesen, ihm zu folgen. Statt Antworten bekam ich mehr Fragen und ganz nebenbei auch noch meinen ersten Kuss, den ich mir definitiv anders vorgestellt hatte!

Ich schlich, mehr oder weniger, halb gebeugt zu der Haltestelle, auf dessen gegenüberliegenden Straßenseite ich vor ein paar Stunden ausgestiegen war. Ein Blick auf den Fahrplan ließ mich zurückschrecken. Dort stand genau eine Uhrzeit, zu der dieser Bus fahren würde: 7:15 Uhr.

7:15 Uhr.

Die Uhrzeit brannte sich in mein Hirn, welches gleichzeitig kurz davor war, abzuschalten.
Was sollte ich jetzt tun? Laufen war keine Option. Und mein Handy hatte ich natürlich auf dem Küchentisch liegen lassen!
Wütend schlug ich gegen den Fahrplan.
Dad würde verrückt werden, die Polizei rufen, die ganze Nacht nach mir suchen, ...
„Scheiße!", fluchte ich.
Normalerweise sprach ich nicht viel, und jetzt sogar mit mir selbst...

Ich überlegte lange. Sehr lange. Irgendwann entschied ich mich dazu, Sheru zu bitten, von ihm aus Zuhause anrufen zu dürfen.

Zittrig ging ich auf das alte, rissige Haus zu und schaffte es kaum zu klingeln. Genau in dem Augenblick, als ich den kleinen Knopf drückte, wurde die Tür aufgerissen.

„Was willst du?" Sherus graue Augen durchbohren mich, als würden sie nach der Antwort suchen, zu der ich nicht in der Lage war, sie auszusprechen.
Ein Schnipsen vor meinen Augen holte mich zurück ins Hier und Jetzt.
Genervt fuhr sich Sheru durch die Haare, als würde es ihn stören, dass er die Antwort nicht herausfand.
„Egal, ich muss los.", stöhnte er und schob mich ungeduldig zur Seite.
Wie konnte jemand einen küssen und kurz darauf so abweisend sein?!
„Bilde dir bloß nichts darauf ein, Ari...", nuschelte Sheru beim Vorbeigehen, als hätte er mal wieder meine Gedanken gelesen. Da war es wieder. Ari.
Und ganz nebenbei, war das das Letzte, was ich tat.

Sheru || Wenn sich Wirklichkeit mit Traum vermischtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt